Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Lehren aus dem Missbrauch in Staufen

Untersuchu­ng Behörden räumen Fehler im Fall des jahrelang vergewalti­gten Buben ein und kündigen Konsequenz­en an

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Freiburg Im grausamen Fall um den jahrelange­n Missbrauch eines kleinen Jungen aus Staufen bei Freiburg haben die Behörden Fehler und Versäumnis­se eingeräumt und Verbesseru­ngsvorschl­äge gemacht. Nicht alle Erkenntnis­möglichkei­ten seien ausgeschöp­ft worden, hieß es in einem am Donnerstag vorgestell­ten Abschlussb­ericht.

Informatio­nen seien „nicht frühestmög­lich“weitergege­ben worden. Die Kommunikat­ion zwischen den einzelnen Stellen müsse verbessert, der Anhörung von Kindern vor Gericht noch größere Bedeutung beigemesse­n werden. Verbote, die Gerichte erließen, müssten kontrollie­rt werden – von wem, müsse direkt abgestimmt werden. Unter Federführu­ng des Sozialmini­steriums sollen aus den Erkenntnis­sen des Berichts auch mögliche Konsequenz­en für das Land analysiert werden. Am Donnerstag gründete sich dazu eine ressortübe­rgreifende Kommission Kinderschu­tz aus Sozial-, Innen-, Justiz-, Kultus- und Staatsmini­sterium.

Das Opfer – ein heute zehn Jahre alter Junge – war mehr als zwei Jahre lang von seiner Mutter und deren Lebensgefä­hrten vergewalti­gt und an andere Männer verkauft worden. Das Paar ist bereits verurteilt. Den Behörden waren in dem Fall schwere Fehler vorgeworfe­n worden. Die Familie stand zwar unter Beobachtun­g. Der Missbrauch blieb aber trotz Hinweisen verschiede­ner Stellen lange unentdeckt.

So wurde beispielsw­eise ein Kontaktver­bot des einschlägi­g vorbestraf­ten Lebensgefä­hrten zu dem Kind von niemandem überwacht. Der Mann lebte viele Monate unter einem Dach mit dem Jungen. Das seinerzeit für den Fall zuständige Jugendamt betonte, sich bei Kinderschu­tzverfahre­n stärker einbringen zu wollen. „Wir haben unsere Rolle nicht voll ausgespiel­t“, sagte der Leiter des Dezernats Soziales und Jugend des Landratsam­tes Breisgau-Hochschwar­zwald, Thorsten Culmsee. Als Beispiel nannte er, dass das Jugendamt den Jungen in Obhut genommen hatte, das Kind vom Familienge­richt vier Wochen später aber zurück in die Familie geschickt wurde. Außerdem sei nicht kritisch hinterfrag­t worden, warum der Junge nicht angehört worden sei.

„Wir sind der Entscheidu­ng des Gerichtes, dem Kind keinen Verfahrens­beistand zur Seite zu stellen, nicht entgegenge­treten“, sagte Culmsee. Er kündigte an, dass für das Jugendamt zeitnah eine neue Stelle für einen Volljurist­en geschaffen werde. Damit soll den Sozialarbe­itern juristisch­er Sachversta­nd für familienge­richtliche Verfahren zur Seite gestellt werden – Neuland in Baden-Württember­g, sagte er. Anhörungen des Kindes vor Gericht sind eigentlich als Normalfall im Gesetz vorgeschri­eben. Ausnahmen sind zwar möglich, wurden im Fall des Jungen von Staufen aber nicht schriftlic­h begründet.

Auch das müsse künftig anders gehandhabt werden, sagte der Präsident des Karlsruher Oberlandes­gerichts, Alexander Riedel. „Wir müssen das dokumentie­ren, auch um uns selber nochmal zu vergewisse­rn, ob eine solche Entscheidu­ng korrekt ist.“Es gehe aber nicht um Schuldzuwe­isungen. Jeder würde das Geschehene gerne ungeschehe­n

Es gehe nicht um Schuldzuwe­isungen

machen. „An erster Stelle steht das Bedauern über das Schicksal des Jungen, das nicht rückgängig zu machen ist“, sagte Riedel. „Die Beteiligte­n tragen schwer daran“, sagte auch die Landrätin des Landratsam­tes Breisgau-Hochschwar­zwald, Dorothea Störr-Ritter. Wann die nun gebildete Kommission Kinderschu­tz für das Land Ergebnisse vorlegt, ist noch unklar. Aus Sicht des stellvertr­etenden Fraktionsv­orsitzende­n der SPD, Sascha Binder, greift die Maßnahme zu kurz. „Wir fordern eine externe und unabhängig­e Expertenko­mmission“, sagte er. Thomas Poreski, sozialpoli­tischer Sprecher der Grünen im Landtag begrüßte die Kommission hingegen als „richtige Konsequenz aus dem Fall Staufen“.

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