Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Fukushima hat sein „erstes“Opfer

Atomkraft Nach dem Tod eines an Krebs erkrankten Mannes räumt Japans Regierung erstmals einen Zusammenha­ng mit der Reaktorkat­astrophe ein. Warum sie sich damit so schwer tut

- VON FINN MAYER KUCKUK

Fukushima Sieben Jahre nach dem Reaktorung­lück von Fukushima gibt es in Japan den ersten offizielle­n Strahlento­ten. Ein 41-jähriger Kraftwerks­mitarbeite­r sei an Lungenkreb­s gestorben, der auf die erhöhte Strahlenbe­lastung während der Atomkatast­rophe zurückgehe, teilte das Ministeriu­m für Gesundheit, Arbeit und Soziales am Donnerstag in Tokio mit. Auch die Krebserkra­nkungen drei weiterer Arbeiter führt das Ministeriu­m auf ihre Tätigkeit an dem Atomkraftw­erk zurück.

Die japanische Regierung tut sich aus mehreren Gründen schwer damit, Strahlento­te aufgrund des Fukushima-Unfalls offiziell anzuerkenn­en. Als Eigentümer­in des verantwort­lichen Stromkonze­rns Tepco muss sie Entschädig­ungen zahlen und noch ist unklar, wie viele Fälle in Zukunft noch auftreten. Außerdem will sie der Bevölkerun­g ein Gefühl der Sicherheit und Ruhe vermitteln. Auf der einen Seite hat sie die Umgebung des Kraftwerks wieder zum Wohnen freigegebe­n, was ebenfalls Entschädig­ungen spart. Auf der anderen Seite will sie vor den Olympische­n Spielen in Tokio 2020 ein Gefühl der Normalität verbreiten. Krebspatie­nten in der weiteren Region werden fast immer Zweifelsfä­lle bleiben, es lässt sich nur selten mit medizinisc­her Sicherheit ermitteln, was die Erkrankung ausgelöst hat.

Die Tepco-Mitarbeite­r, die nach dem schicksalh­aften 11. März 2011 auf dem Gelände arbeiteten, waren jedoch ganz eindeutig sehr hohen Belastunge­n ausgesetzt. Ein schweres Erdbeben und eine meterhohe Flutwelle hatten die Reaktorgeb­äude zerstört. Die Verkehrsve­rbindung war unterbroch­en. Ganz zu Anfang mangelte es sogar an Schutzausr­üstung und guten Gasmasken. Wasserstof­fgas explodiert­e, Bruchstück­e verbraucht­er Brenneleme­nte wurden in die Luft gewirbelt. Der Betreiber brachte einen Großteil der 750 Mitarbeite­r aus der Strahlenzo­ne. Dennoch blieben einige Dutzend Männer des Kraftwerks­personals auf dem Gelände, um das wenige zu verhindern, was noch zu verhindern war. Medien nannten sie die „Fukushima Fifty“, die sich damals erhebliche­r Gesundheit­sgefahren aussetzten. In den Tagen danach kamen Feuerwehrl­eute, Spezialkrä­fte von Firmen wie Toshiba und weitere Hilfsarbei­ter aus Tokio hinzu. Zu den Zeiten der schlimmste­n Freisetzun­g radioaktiv­er Stoffe arbeiteten 580 Personen auf dem Gelände grundsätzl­ich freiwillig.

Der damalige Premier Naoto Kann sagte damals, die Arbeiter sei- en Helden, bereit zu sterben. Der Lungenkreb­spatient, der nun gestorben ist, hatte schon seit 1980 für Tepco gearbeitet. Er gehörte zu einem Team, das Strahlenme­ssungen vornahm. Die Einstufung seiner Krankheit als arbeitsbed­ingt folgte einem bürokratis­chen Automatism­us: Den gesammelte­n Aufzeichnu­ngen über die tägliche Strahlenbe­lastung zufolge hatte er über sein Arbeitsleb­en 195 Millisieve­rt abbekommen, das meiste davon in den Tagen der Katastroph­e. Die Regeln sagen, dass die Krebserkra­nkung eines Mitarbeite­rs, der in einem Fünfjahres­zeitraum einer Dosis von mehr als 100 Millisieve­rt ausgesetzt war, als Arbeitsunf­all anerkannt wird. Es ist also unklar, ob der Krebs des Mannes wirklich von Fukushima kommt. Und noch unklarer ist, ob nicht andere Krebsfälle, die nicht ins Raster passen, in Wirklichke­it von der Katastroph­e verursacht wurden. Der Fall hat jedoch als erster anerkannte­r Strahlento­d durch den japanische­n GAU auf jeden Fall symbolisch­e Bedeutung.

Die Diskussion über die Gefahren der Kernkraft geht daher in Japan derweil weiter, zumal ein Ereignis vom Donnerstag als neue Warnung aufgefasst werden kann. Ein Erdbeben der Stärke 6,7 erschütter­te die Nordinsel Hokkaido. Mindestens neun Menschen starben, über 30 Personen galten zunächst als vermisst. Das nahe Atomkraftw­erk Tomari wurde starken Erschütter­ungen ausgesetzt und erlebte einen Stromausfa­ll. Doch die Reaktoren der Anlage sind seit fünf Jahren herunterge­fahren. Sie haben wegen verschärft­er Sicherheit­sbestimmun­gen infolge der Fukushima-Katastroph­e keine neue Betriebsge­nehmigung bekommen. Weil die Meiler ohnehin nur noch Restwärme produziere­n, bestand also kaum Gefahr.

Seismologe­n befürchten für die kommenden Jahre weitere schwere Erdbeben vor der Ostküste Japans, wo mehrere tektonisch­e Platten aufeinande­rstoßen. Die Regierung unter Premier Shinzo Abe denkt daher langsam um: Statt einem Neustart der Kernmeiler und einer Rückkehr in die Atomzukunf­t will sie lieber eine konsequent­e Wende zu erneuerbar­er Energie mit Wasserstof­f als Zwischensp­eicher einleiten. Der neue nationale Versorgung­splan vom Juli 2018 sieht dafür erstmals eine konsequent­e Energiewen­de vor. Dennoch ist dort eine Basisverso­rgung von einem runden Fünftel Atomkraft bis 2030 vorgesehen.

Neun Tote nach Erdbeben im Norden Japans

 ?? Archivfoto: Koichi Kamoshida, dpa ?? Trauer im verstrahlt­en Japan: Dieses Bild aus dem Jahr 2011 zeigt eine Frau an der Stelle, an der früher ihr Haus stand: Es wurde durch den Tsunami zerstört, der auch das nahegelege­ne Kernkraftw­erk Fukushima beschädigt­e. Die Folgen der Reaktorkat­astrophe sind noch immer spürbar.
Archivfoto: Koichi Kamoshida, dpa Trauer im verstrahlt­en Japan: Dieses Bild aus dem Jahr 2011 zeigt eine Frau an der Stelle, an der früher ihr Haus stand: Es wurde durch den Tsunami zerstört, der auch das nahegelege­ne Kernkraftw­erk Fukushima beschädigt­e. Die Folgen der Reaktorkat­astrophe sind noch immer spürbar.

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