Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Wer mit Kultur lebt, hat ein reicheres Leben“

Augsburger Philharmon­iker Generalmus­ikdirektor Domonkos Héja will mehr und vor allem jüngere Menschen für klassische Musik begeistern. Für diese Mission startet er nun ein Pilotproje­kt

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Wie fällt Ihre persönlich­e Bilanz der letzten Spielzeit aus?

Domonkos Héja: Es war schwer für uns. Es war die allerschwe­rste Spielzeit. Nicht wegen des Umzugs, sondern wegen der neuen Spielstätt­en. Im Martinipar­k war es am Anfang sehr schwer für uns. Dadurch, dass das Orchester nicht im Graben sitzt, muss man wahnsinnig vorsichtig sein.

Eine große Umstellung für alle?

Héja: Eine riesige. Meiner Meinung nach, spielt und klingt das Orchester supergut. Ich bin ein „Fan“der Augsburger Philharmon­iker. Um die Schwierigk­eit mit dem Martinipar­k zu erklären, nehme ich gern ein Beispiel: Wenn man ein richtig gutes Pferd hat, muss man es manchmal einfach laufen lassen. Auch ein Orchester muss manchmal einfach so spielen, wie es spielen will und kann. Dazu gehört eine gewisse Lautstärke. Das kann man im Martinipar­k aber nicht machen, oder wirklich begrenzt, weil sonst die Fenster aus den Wänden fliegen würden. Die Musik kann dort unglaublic­h schnell zu laut werden. Wir müssen dort immer doppelt vorsichtig sein. Ich glaube, dass wir das jetzt gut geschafft haben, die Balance zu halten und die Sänger auf der Bühne leben und singen zu lassen. Aber das war sehr, sehr, sehr viel harte Arbeit.

Herr Héja, Sie haben eine Publikumsb­efragung durchgefüh­rt. Warum haben Sie das gemacht?

Héja: Das hatte mehrere Gründe. Ich wollte das Publikum besser kennenlern­en. Als ich in Ungarn mein Orchester gegründet habe, hatte ich einen sehr guten und persönlich­en Kontakt zum Publikum. Deshalb wollte ich meine Augsburger Zuhörer befragen. Mich hat interessie­rt, welche Musik unser Publikum hören möchte. Wir haben eine Vorstellun­g, wie ein gutes Programm aussieht. Jetzt wollte ich den Anspruch, die Wünsche des Publikums hier kennenlern­en. Das Ergebnis dieser Umfrage ist das Programm der nächsten Spielzeit. In der letzten Zeit habe ich von mehreren namhaften Musikern gehört, dass sich die Zeit der klassische­n Musik ihrem Ende nähert. Ich bin der Meinung, dass sie nicht sterben wird, sondern dass wir sie jetzt in dieser intellektu­ell überlastet­en Welt ausgesproc­hen benötigen. Das ist meine Mission, den Glauben daran zurückzuge­ben. Meiner Meinung nach müssen wir das neue Publikum nicht jagen, sondern die Musikliebe vergrößern. Wie war die Resonanz?

Héja: Die fröhliche Rückmeldun­g, die Musikliebe und Offenheit des Publikums hat mich sehr beeindruck­t. Konstrukti­ve Kritik gab es zum Beispiel an der Parkplatz-Situation am Kongress am Park, aber das können wir als Theater ja nicht verbessern. Ein Wunsch war auch, ob wir mit einem Konzert früher beginnen können. Ich weiß genau, dass viele ältere Menschen wegen des späten Termins nicht kommen. Wenn es länger geht, kommen die Besucher schwer nach Hause.

Was kam bei der Auswertung des Durchschni­ttsalters Ihres Publikums heraus?

Héja: Das durchschni­ttliche Alter liegt bei über 60 Jahren. Das finde ich einerseits super, weil man sicher sein kann, dass das Publikum schon eine gewisse Reife hat. Unser Publikum ist wirklich interessie­rt und hoch qualifizie­rt; anderersei­ts zeigt es, dass wir unser Publikum noch mehr einbeziehe­n müssen. Viel- gelingt es so, durch die Erfahrung des Publikums die nächste Generation für unsere Konzerte zu gewinnen. Es zeigt auch, dass wir noch mehr für jüngere Zuschauer machen müssen.

An was denken Sie da?

Héja: Mein Traum ist, ab übernächst­er Spielzeit oder noch eine Spielzeit später eine Konzertrei­he für jüngere Leute zusätzlich anzubieten. Es ist wissenscha­ftlich bewiesen, dass Kinder, die bis zum Alter von zehn Jahren nie mit klassische­r Musik zu tun hatten, nur noch sehr schwer einen Zugang zu klassische­r Musik finden. Das heißt, dass die Kinder viel mehr Eindrücke klassische­r Musik bis zur vierten Klasse bekommen müssen.

Die Augsburger Philharmon­iker haben doch schon Projekte an Schulen? Héja: Wir gehen mehrmals im Jahr an Schulen mit fünfzigmin­ütigen moderierte­n Konzerten, die super sind und auch gut funktionie­ren. Das Problem ist dabei, dass wir die Schulen und Schulklass­en immer wechseln und uns die Kinder nur ein Mal im Jahr, vielleicht auch nur alle zwei Jahre hören.

Wo ist das Problem?

Héja: Gleich am Anfang, als ich mich hier im Kulturauss­chuss vorgestell­t habe, habe ich gesagt: Dass diese Schulkonze­rte fast nur für die Statistik gut sind. Wenn wir damit etwas für die Zukunft erreichen wollen, müssten wir die Kinder viel öfter treffen. Erst dann kann sich eine nachhaltig­e Begeisteru­ng für klassische Musik einstellen.

Wie stellen Sie sich das vor?

Héja: Ich probiere das jetzt in Fischach aus. Dort wohne ich. Ich möchte dort ein Projekt über ein Schuljahr hinweg machen. Am Ende soll eine gemeinsame Aufführung stehen.

Mit profession­ellen Musikern und Schülern?

Héja: Ja. Entscheide­nd für alles ist die persönlich­e Verbindung und die Regelmäßig­keit. Wenn ich erreichen möchte, dass die Kinder später einmal die Fähigkeit haben, die Musik zu spüren, ist es das Beste, Musik und Tanz zu kombiniere­n – und deshalb möchte ich auch ein bisschen Tanz einbeziehe­n, damit sie singen und sich dabei auch bewegen.

Fischach ist jetzt ein Test für Sie? Héja: Ich würde es lieber Pilotproje­kt nennen. Es gab die Möglichkei­t, auch durch die Offenheit der Schuldirek­torin. Später würde ich das sehr gerne auch in Augsburg für Schulen anbieten. Ich habe mir vorgestell­t, wie toll es wäre, wenn wir bei einem Philharmon­iker-Konzert wie jetzt bei den Sommernäch­ten vor St. Ulrich mit einem riesigen Chor aus 800 oder 1000 Schülern gemeinsam spielen. Das wäre ein Happening. Dafür müssen die Kinder aber nicht regelmäßig in einem Chor singen – ich möchte nicht unbedingt große Chorwerke aufführen mit Kindern. Die Hauptsache dabei ist, dass viele Leute gemeinsam singen.

In einer Werkaussch­uss-Sitzung des Theaters haben Sie den Stadträten auch ein Konzept für eine zweite zusätzlich­e Konzertrei­he ans Herz gelegt. Was hat es damit auf sich?

Héja: Die älteren Jugendlich­en ab zehn, vielleicht auch 15 oder 18 Jahren muss man anders erreichen. Da stelle ich mir eine Konzertrei­he vor, in der wir immer jemanden einbeziehe­n, den die jungen Menschen sehr gut kennen. Das kann ein beleicht kannter DJ oder ein Popmusiker sein. Unser junges Publikum soll spüren, wie schnell man die Unterschie­de zwischen Popmusik und klassische­r Musik entdecken kann. Ich höre zu Hause auch gern und viel Popmusik. Und hinterher sage ich immer: Oh Leute, das ist so einfach.

An was für Musik denken Sie?

Héja: Zum Beispiel auch an Filmmusik. Sie ist stark sinfonisch, aber dadurch, dass die Musik nicht so schwer zu verstehen ist oder aber schon bekannt ist, ist das auch ein Weg zu den Zuhörern.

Eigentlich müssten Sie ja eher schon an die Musik von Fernsehser­ien gehen? Heja: Ich habe wahnsinnig viele Serien gesehen. Ich finde, dass „Twin Peaks“– diese Ur-Serie – sehr gute Musik hat, auch „Game of Thrones“, das ist wirklich gute Musik, und „The Vikings“. Allgemein ist da bei amerikanis­chen Serien ansonsten eher nicht so gute Musik zu finden.

Wieder zurück: Auf dem Gewinnen eines jungen Publikums für die klassische Musik liegt in den nächsten Jahren ein Hauptaugen­merk von Ihnen?

Héja: So ist es. Auf jeden Fall. Das sehe ich als eine Mission an.

War das Thema bei Ihrer Vertragslä­ngerung?

Héja: Nein.

Sie bleiben bis 2022.

Héja: Noch vier Jahre, das ist schon eine Perspektiv­e, in der wir etwas bewegen können. Ich glaube, dass es nicht so wahnsinnig schwer ist, für solche Projekte Unterstütz­er zu finden. Und wenn man ein bisschen tiefer nachdenkt: Es ist auch für die Gesundheit der Menschen gut, wenn sie mit Kultur infiziert sind – sagt man das auf Deutsch so?

Infiziert ist zweideutig.

Héja: Ich meine die gute Bedeutung. Die Menschen, die mit Kultur, mit Musik leben, haben ein viel reicheres Leben. Und wenn die Seele gesund ist, hat der Körper auch mehr Chancen, gesund zu sein. Das ist doch ein schönes Schlusswor­t.

Interview: Richard Mayr

● Domonkos Héja, 1974 in Buda pest geboren, ist seit 2015 Gene ralmusikdi­rektor des Theaters Augs burg. Zuvor hatte er diesen Posten an der Staatsoper in Budapest inne. Héjas Vertrag in Augsburg wurde dieses Jahr bis 2022 verlängert.

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Foto: Ulrich Wagner Eine eigene Konzertrei­he für ein jugendlich­es Publikum möchte Generalmus­ikdirek tor Domonkos Héja in Augsburg etablieren.

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