Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Der Pflege Rebell will weiter aufrütteln
Gesundheit In einem offenen Brief an Minister Jens Spahn kritisiert der Augsburger Armin Rieger, dass Branchenriesen Gewinne einfahren, während bei Bedürftigen und Personal zu wenig Geld ankommt. Ob ihm der Minister antwortet, ist offen
In einem offenen Brief an Gesundheitsminister Jens Spahn kritisiert der Augsburger Armin Rieger, dass Branchenriesen Gewinne einfahren, während bei Bedürftigen und Personal zuwenig Geld ankommt. Ob ihm der Minister antwortet, ist offen.
Herr Rieger, Sie sind als „Pflege-Rebell“bekannt und waren im April bei Sandra Maischbergers Sendung „Wie lösen wir den Pflegenotstand“zu Gast. Später haben Sie einen offenen Brief an Gesundheitsminister Jens Spahn geschrieben. Warum?
Armin Rieger: Als ich Jens Spahn in der Sendung auf seine Tätigkeit bei der Lobbyfirma Politas (Beratungsgesellschaft, die unter anderem für Klienten aus der Pharmabranche arbeitet, Anm. d. R.). ansprach, warf er mir vor, ich würde nichts Konstruktives zur Diskussion beitragen. Diesen Vorwurf wollte ich mit diesem Brief entkräften.
Was steht in dem Brief?
Rieger: Der Minister sprach in der Sendung an, mehr Menschen für den Pflegeberuf motivieren zu wollen. Außerdem will er ein Mindestgehalt für Fachkräfte einführen und den Beitragssatz für die Pflegeversicherung anheben.
Das klingt doch ganz vernünftig ... Rieger: Die Forderung nach mehr Personal und bessere Bezahlung schon. Aber bereits jetzt wäre genügend Geld in der Pflege, wenn die Politik dafür Sorge tragen würde, dass die Gelder, die in die Pflege fließen, bei den Pflegebedürftigen und den Pflegekräften ankommen.
Tun sie das nicht?
Rieger: Nein, nur ein Bruchteil. Branchenriesen aber fahren Gewinne in Millionenhöhe ein. Immerhin machte Korian, zu welchem unter anderem die Pflegeheimketten Casa, Reha und Curanum gehören, 2017 einen Gewinn von 440 Millionen Euro. Solche gigantischen Summen sind möglich, da die Vergütungsvereinbarungen zum Betrug einladen.
Wie meinen Sie das?
Rieger: Bei den Pflegesatzverhandlungen wird mit fiktiven Zahlen verhandelt. Der lukrativste Posten ist das Personal. Hier wird mit Zahlen operiert, die mit den tatsächlich beschäftigten Mitarbeitern nichts zu tun haben. Es wird auch nicht kontrolliert, ob die Personalkosten mit dem in der Realität vorhandenen Personal übereinstimmen. In meinem Brief fordere ich Herrn Spahn auf, dafür zu sorgen, dass nur noch für Leistungen und Personal bezahlt wird, welches auch vorgehalten wird. Die menschenunwürdige Gewinnsucht gehört beschnitten. Sind Ihnen Gewinne in der Pflegebranche zuwider?
Rieger: Ich bin nicht dagegen, Gewinne zu machen. Auch ich musste von etwas leben, als ich in Augsburg noch das Pflegeheim Haus Marie geleitet habe. Aber ich prangere an, dass exorbitante Gewinne auf den Rücken der Arbeiter ausgetragen werden, die wie Sklaven arbeiten müssen. Jens Spahn will mehr Menschen für Pflegeberufe gewinnen. Wie kann er das schaffen?
Rieger: Eine Umfrage unter Pflegekräften hat ergeben, dass das Gehalt nicht unbedingt an erster Stelle steht, sondern die Arbeitsbedingungen. Die aktuellen Umstände veranlassen viele, aus dem Beruf zu fliehen. Es gehört verboten, dass Pflegekräfte putzen und Frühstück und andere Mahlzeiten zubereiten müssen. Das sind fachfremde Leistungen. Aufgabe des Pflegepersonals muss einzig und allein sein, sich um die Menschen zu kümmern, sie morgens etwa zu waschen und anzuziehen und ihnen Essen zu geben.
Das Image des Pflegeberufs hat gelitten, oder?
Rieger: Ja. Deshalb genügt es nicht, mehr Stellen in der Pflege zu schaffen. Damit der Beruf wieder interessant wird, müssen die Arbeitsbedingungen verändert werden. Erst dann wird Spahns Plan, Pflegekräfte, die dem Beruf den Rücken gekehrt haben, wieder zurückzugewinnen, Erfolg haben.
Sie haben Herrn Spahn in Ihrem Brief Unterstützung angeboten. Glauben Sie, dass er überhaupt antworten wird? Rieger: Ich gehe nicht davon aus. Auf meinen Angriff in der Sendung von Sandra Maischberger hat er sehr pampig reagiert. Ich bin seitdem vermutlich ein rotes Tuch für ihn.
Herr Spahn scheint ja auch ein rotes Tuch für Sie zu sein. War das bei seinen Vorgängern auch so?
Rieger: Was ist zum Beispiel von Daniel Bahr übrig geblieben? Er ist jetzt im Vorstand der Allianz Krankenversicherung. Das werde ich doch nur, wenn ich Gesetze für die Krankenkasse gemacht habe. Oder schauen Sie Ulla Schmidt an. Sie ist Lobbyistin eines Schweizer Pharmaunternehmens ...
Sie sind als Geschäftsführer und Einrichtungsleiter des Pflegeheims Haus Marie Anfang des Jahres ausgestiegen. Was machen Sie derzeit?
Rieger: Mich ärgern über die Politik und das gesamte Gesundheitssystem. Wir brauchen keine Reformen, sondern ein komplett neues Gesundheitsund Pflegesystem, das ineinandergreifen muss.
Man kann sich nicht den ganzen Tag nur ärgern ...
Rieger: Ich gebe viele Interviews zum Thema Pflege, schreibe Beiträge für die Fachpresse und berate Menschen.
Wen beraten Sie?
Rieger: Ich erhalte viele Anfragen von Menschen, die im Bereich Pflege Probleme haben. Ich bin ja inzwischen als der Pflege-Rebell bekannt. Das mache ich ehrenamtlich. Aber um alle kann ich mich aus zeitlichen Gründen natürlich nicht kümmern.
Interview: Ina Marks
● Armin Rieger, 60, leitete 20 Jah re lang das Augsburger Pflege heim „Haus Marie“. Über seine Er fahrungen mit dem deutschen Pflegesystem veröffentlichte er 2017 das Buch „Der Pflege Aufstand“.