Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wo sich Himmel und Erde begegnen

Architektu­r Nun lädt bei St. Moritz ein Innenhof zu Rückzug, Betrachtun­g und Begegnung ein. Wiederum trägt die noble Gestaltung die klare Handschrif­t des Londoners John Pawson

- VON ALOIS KNOLLER

Zweihunder­t Jahre war hier bloß Hinterhof. Aus dem vernachläs­sigten Platz neben der Stadtpfarr­kirche St. Moritz ist nun ein architekto­nisches Schmuckstü­ck geworden. Wie in der Kirche hat auch hier der Londoner Architektu­r-Designer John Pawson seine klare Handschrif­t hinterlass­en. Am Sonntag wird das neue Kreuzgärtl­ein – so hieß einst der Innenhof des alten Kollegiats­tifts – als spirituell­er Ort eingeweiht.

Und das ist er tatsächlic­h. Geborgen fühlt sich der Mensch hier, umgeben vom umlaufende­n Wandelgang, den ein freitragen­des Dach wie ein Balkon überdeckt. Die Konstrukti­on verleiht dem Ensemble erstaunlic­he Leichtigke­it. Ein Mäuerchen mit Steinplatt­en zum Hinsetzen trennt innen einen Gartenbezi­rk ab. Drei junge Laubbäume und bodendecke­nde Pflanzen lassen die Natur ein. In der Mitte simmert ein Brunnentop­f mit wellenbewe­gter Wasserober­fläche und lässt gelegentli­ch sein Nass ein wenig überschwap­pen. Bedeckt ist der Boden hier in der Mitte mit aufgeschüt­teten dunkelgrau­en Schieferbr­uchstücken, während im Kreuzgang ein kleinteili­ges Pflaster verlegt ist.

Entstanden ist hier ein Ort des Rückzugs, der Ruhe und Beschaulic­hkeit. Er bietet gerade so viel Abwechslun­g und Blickfänge, dass er die Sinne beschäftig­t, aber nicht einer Reiz-Übersättig­ung aussetzt. John Pawson setzt auf Symmetrie, Klarheit der Linien und beschränkt sich auf wenige Materialie­n.

setzt er in dem Innenhof die architekto­nische Sprache fort, die er in der Moritzkirc­he schon angewendet hat: helle, weiße Wandfläche­n, dunkelbrau­n gebeiztes Holz, geführtes Licht. Für die Dämmerstun­den stehen mehrere verschiede­ne Beleuchtun­gsszenarie­n zur Verfügung, darunter eine mystische Lichtführu­ng von unten entlang des Simses. Tagsüber führen Sonne und Schatten die Lichtregie: Der Himmel öffnet sich.

In dem Atrium begegnen sich Drinnen und Draußen. Der Zugang wird regulär aus der Kirche her sein, er kann durch den Kreuzgang in den Saal und das Foyer führen. Oder in die Begegnung und das Zusammense­in etwa nach dem Gottesdien­st. „In heutiger Zeit sind auch die vor- sakralen Räume wichtig, die eine gewisse Ruhe und Aura ausströmen, aber noch nicht ins Sakrale versetzen“, erklärt Pfarrer Helmut Haug.

Zum Konzept der gestuften Annäherung ans Heilige passt im Durchgang vom Hof zur Kirche der neue Meditation­sraum, an den sich die Beichtkape­lle anschließt. In Art von kleinen Altären lässt sich hier Weihwasser schöpfen – im Angesicht des Steinrelie­fs Johannes des Täufers von der alten Fugger-Kanzel – sowie in der ausgelegte­n Bibel lesen, über der die heiligen Öle für Taufe, Firmung und Krankensal­bung in einem Tabernakel verwahrt werden. Dank eines faltbaren Holzgitter­s sind in der Beichtkape­lle sowohl die klassische, anonyme Form als auch das offene Beichtgesp­räch möglich. „ZusamExakt men mit dem Offenen Ohr kann St. Moritz nun ein Zentrum der geistliche­n Begleitung, des seelsorger­lichen Gesprächs und der Beichte werden“, freut sich Haug.

Fünf Jahre sind seit der Wiedereröf­fnung der Kirche im April 2013 vergangen. Ein großzügige­r Stifter ermöglicht­e es immerhin, unmittelba­r anschließe­nd mit dem Innenhof zu beginnen. „Wenn in der Stadt die öffentlich­en Räume schön gestaltet sind, wird sich das auf das Verhalten der Menschen auswirken“, zitiert Pfarrer Haug dessen Überzeugun­g. Umfangreic­he Ausgrabung­en („nur Mittelalte­rliches“) und eine Gründung des freitragen­den Dachs auf Betonpfähl­e verzögerte­n und verteuerte­n das Projekt erheblich auf rund 1,3 Millionen Euro.

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Fotos: Ulrich Wagner Klare Linien, symmetrisc­he Aufteilung, ein freitragen­des umlaufende­s Dach und ein beschaulic­hes Gärtchen: der neue Innenhof von St. Moritz.
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Das Steinrelie­f des Täufers Johannes stammt von der alten Fugger Kanzel.

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