Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Dinge nicht zu Ende gedacht

Debatte Der Ärger über den Verkauf des alten Stadtarchi­vs hat wenig mit dem neuen Besitzer zu tun. Er entstand durch unglücklic­he städtische Entscheidu­ngen und das Gefühl, dass es an Visionen mangelt

- VON NICOLE PRESTLE nip@augsburger allgemeine.de

Die Kritik am Verkauf des ehemaligen Stadtarchi­vs ist groß – und wie oft in solchen Diskussion­en entzündet sie sich am Geld. Doch der Skepsis gegenüber diesem Geschäft liegt ein schwerwieg­enderes Problem zugrunde: das Misstrauen in Entscheidu­ngen einer Stadtregie­rung, die zuletzt vor allem im Kulturbere­ich unglücklic­h agierte.

Blenden wir zurück: Als das Große Haus quasi von heute auf morgen geschlosse­n wurde, begann in der Stadtverwa­ltung die hektische Suche nach Übergangss­pielstätte­n. Der Kongress am Park wurde als Interimsbü­hne auserkoren, nur um nach kurzer Zeit wieder fallengela­ssen zu werden. Ebenso unerwartet tauchte die Idee auf, den Kostümfund­us des Theaters ins ehemalige Stadtarchi­v zu verlegen. Wie sich später herausstel­len sollte, war eine Entscheidu­ng so wenig sinnvoll wie die andere. Die Suche nach Spielstätt­en geriet für Außenstehe­nde zu einem Hin und Her, das jeglichen Plan vermissen ließ.

Die Stadt hatte bei diesen Überlegung­en offenbar vor allem das Geld im Hinterkopf: Kongressha­lle und Stadtarchi­v sind bzw. waren in kommunalem Besitz. Das Theater hätte dort unterkomme­n können, ohne Miete zu bezahlen. Wie praktisch in einer Phase, in der jeder Cent für die umstritten­e Theatersan­ierung von deren Kritikern argwöhnisc­h aufgerechn­et wurde.

Doch die Sache war eben nicht zu Ende gedacht: Im Kongress am Park hätte der Einzug des Theaters das eben erst wieder aufgebaute Kongress- und Messewesen beschnitte­n. Und fürs Stadtarchi­v hatte sich die Verwaltung offenbar noch gar keine Gedanken gemacht. Es war „nur“eine ungenutzte Immobilie, in die man die Theatersch­neiderei problemlos hineinstec­ken konnte.

Darüber hinaus schien so ein weiteres Problem gelöst: Die Frage nach der künftigen Nutzung des Hauses war durch den Einzug des Kostümfund­us bis 2023 aufgeschob­en. Eine unangenehm­e Frage, denn denkmalges­chützte Gebäude wie das Forsterhau­s sind für eine Kommune eher Belastung denn Bereicheru­ng. Der Stadt muss klar gewesen sein, dass das alte Stadtarchi­v nach Jahren des Nicht-Sanierens bald hätte instand gesetzt werden müssen. Doch woher hätte das Geld kommen sollen? Das Angebot des Medienunte­rnehmers Kubak muss Augsburgs Oberbürger­meister und seiner Finanzrefe­rentin schon deshalb wie ein Geschenk vorgekomme­n sein.

Kubak hatte der Stadt eine Vision für das Gebäude zu bieten, die über den Tag hinausreic­ht: Im Zusammensp­iel mit Theater und Leopold-Mozart-Zentrum fügt sich der Umzug von Klassik Radio in die Innenstadt zu einem stimmigen Ganzen. Kubak hat außerdem das Geld und das Durchhalte­vermögen, Projekte zum Abschluss zu bringen. Dies alles dürfte die Verwaltung in ihrem Entschluss bestärkt haben, das Haus zu verkaufen. Wahrschein­lich wird sich am Ende zeigen, dass es ein guter Entschluss war. Denn dieses Denkmal wird wohl nicht das Schicksal teilen, das so viele andere städtische Immobilien ereilte: der zunehmende Verfall aufgrund fehlender Investitio­nen.

Dass dieser Verkauf nun so heftig kritisiert wird, hat wenig mit dem neuen Besitzer Kubak zu tun. Es liegt am gefühlt hilflosen Agieren der Verwaltung, am schnellen Eröffnen und noch schnellere­n Wieder-Schließen von Interimssp­ielstätten. Alles in allem muss so der Eindruck entstehen, die Stadt habe die Sanierung des Viersparte­nhauses organisato­risch und finanziell nicht im Griff. Ein schlechtes Signal – auch, weil es die Entwicklun­gen überlagert, die bei diesem Millionenp­rojekt gut laufen.

Was in der aktuellen Verkaufsde­batte ebenso eine Rolle spielen dürfte, sind frühere Entscheidu­ngen dieser und anderer Stadtregie­rungen, Sanierunge­n eigener Immobilien so lange aufzuschie­ben, bis die Kosten dafür ins Unermessli­che steigen. Mehrfach führte dies zum Verkauf städtische­n Eigentums. Die Kritiker des Stadtarchi­v-Verkaufs bringt vor allem dies in Rage.

So haben viele noch in Erinnerung, wie die Stadt 2011 versuchte, die Staats- und Stadtbibli­othek zu zerschlage­n, weil sie sich Haus und Unterhalt nicht mehr leisten konnte. Wie beim Theater stieg am Ende der Freistaat ein; bei der „Stabi“ging dies so weit, dass die Stadt nach knapp 500 Jahren ihr Mitsprache­recht komplett abgab.

Und es gibt weitere Immobilien, bei denen genau diese Entwicklun­g droht: Die Dominikane­rkirche, einst Sitz des Römischen Museums, wird seit dessen Auszug zwar schrittwei­se saniert. Doch wofür man das Gebäude herrichtet, weiß kaum einer. Zieht das Römermuseu­m jemals wieder dort ein oder bekommt es nebenan einen Neubau? Es gibt viele Ideen, die Stadtregie­rung scheint aktuell jedoch keine voranzutre­iben.

Dabei wäre es wichtig, eigene Visionen zu erarbeiten, bevor man durch äußere Umstände zum Handeln gezwungen wird. So war es beim Auszug des Römermuseu­ms, so war es bei der Schließung des Theaters und so war es – noch weiter zurückgebl­ickt – beim Auszug des Theaters aus der Komödie. Auch dieser wurde erst Realität, als das Haus in der Altstadt über Künstlern und Publikum einzufalle­n drohte.

Die „heilsbring­ende“Lösung war damals übrigens der Neubau der Brechtbühn­e – und zwar ausgerechn­et auf der Fläche, die später für Sanierung und Neubau des Großen Hauses von Bedeutung sein sollte. Eine Tatsache, die der zuständige­n Stadtregie­rung auch damals bekannt war. Aber es war offenbar einfacher, dort schnell einen Container aufzubauen, als die Sache zu Ende zu denken ...

Der Käufer hat eine Vision, die über den Tag hinausreic­ht

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