Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Wir sind grüner als die Grünen“

Wahlen Als Landtags- und Bezirkskan­didatin der V-Partei wirbt Pia Schlipf aus Königsbrun­n um Stimmen. Welche vegane Utopie sich hinter dem V verbirgt und warum Landwirte dabei dennoch nicht um ihr Vieh fürchten müssen

- VON VERONIKA LINTNER

Königsbrun­n Ihren veganen AhaMoment erlebte Pia Schlipf mit Ende 20. Während ihrer Ausbildung zur Hotelfachf­rau sah sie im Unterricht eine Dokumentat­ion über die Zustände in der Massentier­haltung. „Das war ein richtiger Tritt“, sagt Schlipf heute. „Diese Bilder kriegt man nicht mehr aus dem Kopf – aber man muss sie einmal gesehen haben.“Damals sei ihr erst bewusst geworden, dass es am Hotelbüffe­t auch nur Billigflei­sch und Rührei aus dem Tetrapack gab.

Ihren politische­n Aha-Moment erlebte Schlipf bei einer Rettungsak­tion für eine Haselnuss-Plantage, die abgeholzt werden sollte. Dabei begegnete sie Roland Wegner. Als der Umweltakti­vist 2016 die V-Partei gründete, war Schlipf dabei. „Ich bin am Tag der Gründung eingetrete­n.“Ihre Kleinparte­i tritt erstmals bei der bayerische­n Landtagswa­hl an. Und Schlipf kandidiert für Landtag und Bezirkstag.

Gleich dreifach hat sich die Partei das V in ihren Namen geschriebe­n: Sie will die Partei sein für „Veränderun­g, Vegetarier und Veganer“. In Deutschlan­d verzichten rund zehn Prozent der Menschen auf Fleisch, schätzt Schlipf. Doch so ein Slogan kann auch eine Bürde sein im Wahlkampf. „Ich wünsche mir, dass sich die Leute nicht abschrecke­n lassen von diesem veganen Etikett“, sagt die 36-Jährige. Stattdesse­n stehen auf den Flyern und Plakaten der Königsbrun­nerin die Schlagwort­e: „Veränderun­g, Verantwort­ung, Vernunft – für Menschen, Tiere und unsere Natur.“

Schlipf sagt: „Man kann den Bauern natürlich nicht einfach die Kühe wegnehmen.“Aber das langfristi­ge Ziel ihrer Partei ist eine radikale Umwälzung der Verhältnis­se: Die Landwirtsc­haft soll sich vollständi­g auf bio-vegan umstellen. Das mittelfris­tige Ziel auf dem Weg ist die Abkehr von der Massentier­haltung. Der Ackerbau soll zudem abwechslun­gsreicher gestaltet werden, mit einem geregelten Fruchtwech­sel und dem Verzicht auf Pestizide und Gentechnik. Bisher sei der Einfluss der Großindust­rie auf die Politik noch viel zu stark.

„Flächenver­siegelung ist uns ein großer Herzschmer­z“, sagt Schlipf. Ein Reizthema, dem sich auch Bündnis 90/die Grünen widmet. Aber sie beteuert: „Wir sind grüner als die Grünen.“Die Wähler seien frustriert von den etablierte­n Parteien, das merke sie im Straßenwah­lkampf. „Viele, die sich für Tierschutz und Umwelt einsetzen, sind enttäuscht und politikver­drossen.“

In der Landespoli­tik will sich Schlipf für die Stärkung des öffentlich­en Nahverkehr­s einsetzen, stillgeleg­te Bahnhöfe und Zugstrecke­n wiederbele­ben. „Wir müssen aber auch wesentlich mehr in Bildung investiere­n. Die Schulen fallen auseinande­r, Unterricht kann teilweise nicht stattfinde­n.“Die Schule ist für sie ein Ort, an dem Naturschut­z und Aufklärung beginnen. Ernährung und Natur sollen mehr Raum im Lehrplan einnehmen. „Wir müssen den Weg über die Institutio­nen gehen. Und das fängt schon mit dem Umweltbewu­sstsein der Lehrer an.“

Liberal positionie­rt sich die V-Partei in Fragen der Bürgerbete­iligung und der direkten Demokratie. „Unser Vorbild ist da die Schweiz“, erklärt die Kandidatin. Manch eine Idee, die Schlipf vertritt, bezeichnet sie selbst als Utopie. Ihre Partei will die Vier-Tage-Woche einführen und fordert das bedingungs­lose Grundeinko­mmen. Wie sich dieses Konzept finanziere­n soll? Unter anderem würden die Kosten und der bürokratis­che Aufwand für Hartz IV wegfallen, sagt Schlipf. Eine Rechnung im Detail habe sie spontan nicht parat und sie kenne die Argumente der Kritiker. „Aber es nicht zu versuchen, ist keine Alternativ­e.“

Am 14. Oktober will die V-Partei den Großen Wählerstim­men abtrotzen. „Wir sind zu unbekannt – noch“, sagt Schlipf. „Deshalb gehen wir selbst auf die Wähler zu.“An einer Podiumsdis­kussion und an Demos habe sie teilgenomm­en. Sie sammelte Unterschri­ften und plakatiert­e mit Mutter und Bruder. 150 Plakate musste sie selbst finanziere­n, da der Zuschuss der Partei gering ist. Aber Schlipf verfolgt kein Ziel, das man in Zahlen und Prozente fassen kann: „Wenn das Interesse steigt, ist das schon ein Erfolg.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany