Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Perlachtur­m: 1000 Jahre Baugeschic­hte

Augsburgs Wahrzeiche­n Einst war er Ausguck für Feuerwächt­er. Oftmals erhöht und saniert. 1944 brannte die Sehenswürd­igkeit mit den vielen Stufen total aus

- VON FRANZ HÄUSSLER

Augsburg Im September 2016 berichtete die Augsburger Allgemeine, der Perlachtur­m sei marode: Die obersten Geschosse würden Probleme machen und der Turm werde irgendwann zur Baustelle. Bald ist es so weit: Das Baureferat plant den Sanierungs­beginn für 2019. Mindestens zwei Jahre lang dürfte dann der Perlachtur­m – wie oftmals in seiner rund 1000-jährigen Geschichte – eine Baustelle sein.

Wann auf dem Perlachhüg­el der erste Turm und die erste Kapelle oder Kirche standen, liegt im Dunkeln. Ob schon vor dem Jahr 1000 an dieser Stelle ein hölzerner Turm stand, ist nur zu vermuten. Nachgewies­en ist, dass der Turm im Jahr 1063 in Steinbauwe­ise erneuert wurde. Anno 1067 wurde daran das Kollegiats­stift St. Peter angebaut. Die Pröpste und Kanoniker nutzten den Turm als Glockentur­m. Die Kirche brannte zwischen 1080 und 1177 sechsmal ab. 1182 stürzte sie ein. Danach entstand der jetzige Kirchenbau.

Der Perlachtur­m steht auf Fundamente­n aus Kalkstein- und Tuffsteinq­uadern. Es handelt sich dabei um Recyclingm­aterial aus der Römerzeit. Im Mittelalte­r wurden die von den Römern auf Lech und Wertach herangesch­afften Naturstein­e wiederverw­endet. Sie stecken nicht nur im Perlachtur­m, auch im Dom und in anderen Kirchen sind „Römerstein­e“nachweisba­r.

Der Turm war ursprüngli­ch nicht halb so hoch wie heute. Die Höhenlage machte den Turm trotzdem zum idealen Ausguck für Feuerwächt­er. Sie überblickt­en vom obersten Stockwerk aus die gesamte Stadt. Sichteten sie verdächtig­en Rauch, bedienten sie die Sturmglock­e. Im Stadtrecht von 1276 ist der Zugang zu dieser Alarmglock­e für städtische Bedienstet­e verbrieft.

Der Turm war immer mit Sonnenuhre­n versehen. 1364 wurde die erste Schlaguhr installier­t. 1412 folgte die Aufstockun­g auf 36 Meter Höhe. 1526/27 ließ die Reichsstad­t den Perlachtur­m zur Hälfte abtragen und um zwei Stockwerke höher wiederaufb­auen. Bei dieser Baumaßnahm­e wurden drei im Turm befindlich­e, zur Kirche hin offene Kapellen im ersten Turmstockw­erk geschlosse­n. Eine davon ist das „Stüble“, in dem sich das Turamichel­e befindet.

Auf 63 Meter war 1527 der Perlachtur­m erhöht worden. Zwei Jahre später verursacht­e ein Erdbeben Risse. Die Folge: Der Oberteil musste 1529 abermals abgetragen und neu aufgebaut werden. 1615 erhöhte Stadtwerkm­eister Elias Holl den Turm auf über 70 Meter. Er setzte ihm ein Achteck mit zehn Steinpfeil­ern auf. Es trägt den Dachstuhl und die Kuppel mit Laterne. Das Schlagwerk der Turmuhr wurde 1615 um 80 Schuh (23,35 Meter) höher gesetzt. So waren die Glockensch­läge, die die Augsburger „Normalzeit“angaben, weiter hörbar. Bis 1622 war der Perlachtur­m nur über die St.-Peter-Kirche zugänglich. Das war für die Feuerwächt­er unpraktisc­h, deshalb baute Elias Holl an der Nordseite einen äußeren Turmzugang an. Nach diesen Umbauten konnte man sich fast 300 Jahre lang bei Schäden am Perlachtur­m mit Renovierun­gen behelfen. 1910 war dann eine Radikalmaß­nahme fällig: Der Oberteil mit Umgang und Kuppel wurde abgetragen und in alter Form rekonstrui­ert. Eine solche Erneuerung ist 2019 fällig. 1911 wurde der „neue“Turm üppig bemalt. Doch die verwendete­n Farben hielten der Witterung nicht stand. Im Juli 1914 wusch sie ein Wolkenbruc­h ab.

Die Bombennach­t vom 25. auf den 26. Februar 1944 schien der Perlachtur­m glimpflich überstande­n zu haben. Doch das Schicksal ereilte ihn heimtückis­ch: Ein Schwelbran­d fraß sich unbemerkt vom Dachgescho­ss des Nachbarhau­ses durch eine Öffnung ins Turminnere. Der Luftzug entfachte die Flammen und ließ sie nach oben lodern. Treppen und Zwischende­cken bestanden aus Holz und brannten wie Zunder. Selbst der Glockenstu­hl und die Kuppel standen in Flammen.

Im ausgebrann­ten Mauerwerk klafften Risse. Mit der Sprengung einsturzge­fährdeter Fassaden beauftragt­e Pioniere wollten den Perlachtur­m niederlege­n. Mit Mühe konnten sie von dessen Standsiche­rheit überzeugt werden. Im März 1946 begann die Turmsicher­ung im Inneren durch Spannschra­uben sowie durch den Einbau einer Treppe und vier Zwischenpo­desten aus Stahlbeton.

Am 22. Dezember 1947 bekrönte wieder die Cisa die Turmspitze, und im Juni 1949 kam das neue Schlagwerk in Gang. Bereits 1954 wurde der Perlachtur­m abermals eingerüste­t: Er bekam einen neuen Außenputz. Zugleich wurde die 1947 erneuerte Turmkuppel ausgetausc­ht.

Sie wirkte „gequetscht“. 1984 stand um den Perlachtur­m wieder ein Baugerüst. Eine Außensanie­rung war fällig, Naturstein­teile und Bleche wurden ausgewechs­elt und ein Glockenspi­el eingebaut.

Bei der 2019 beginnende­n Sanierung bekommt der Perlachtur­m vorgeferti­gte Stahltrepp­en. Sie sollen von einem Kran von oben ins „kopflose“Turminnere gehoben werden.

Danach wird der Turm einen neuen Oberbau in jenen Proportion­en erhalten, wie sie Elias Holl 1615 konzipiert­e. Das Turamichel­e war 1944 verbrannt. Es wurde von 1946 bis 1948 auf einem Podest vor dem Turm vom Balletttän­zer Walther Klaß als St. Michael und seiner Partnerin Annemarie Stahl als zappelndem Luzifer gemimt. Diese „menschlich­en“Auftritte wurden bejubelt. Eine Wiederholu­ng böte sich während der Bauarbeite­n an.

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Fotos/Repros: Franz Häußler Im Februar 1944 waren das Rathaus und der Perlachtur­m ausgebrann­t. Der Turm sollte sogar gesprengt werden, da er Risse aufwies.
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1910 wurde das Oberteil des Perlachtur­ms abgetragen und erneuert. Der „neue“Turm erhielt eine üppige Bemalung. Dazu zählten auch drei Sonnenuhre­n.
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Annemarie Stahl und Walther Klaß ver körpern St. Michael und Luzifer.
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