Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Zwischen Gipfelglück und Tal der Tränen
Sportskanonen Wie sich das Ehepaar Kai und Sylvia Fiedler auf den Transalpin-Run vorbereitet und kurz vor dem Ziel scheitert. Was das für ihre Katze Sally bedeutet
Nordendorf Wer 260 Kilometer mit 16500 Höhenmetern in sieben Tagen bewältigen will, der muss Opfer bringen. Und so haben Sylvia und Kai Fiedler in diesem Jahr kaum etwas von den herrlichen langen Sommertagen und den lauen Nächten mitbekommen. „Wir sind regelmäßig um neun Uhr ins Bett gegangen, als es noch hell war, um am nächsten Tag um vier Uhr morgens aufzustehen und noch vor der Arbeit Trainingseinheiten zu absolvieren“, erzählt das Nordendorfer Ehepaar mit einem Lächeln. „Da war es dann aber schon wieder hell.“Bis zu fünf Mal in der Woche haben sie trainiert, auf Alkohol verzichtet, wenig Fett und Zucker zu sich genommen. „Aber sonst essen wir, was uns Spaß macht.“
Als Belohnung für die umfangreiche und zeitintensive Vorbereitung, die sie bereits Anfang des Jahres begonnen haben, konnten sie beim Goretex-Transalpin-Run an den Start gehen.
Dieser Ultralauf führte von Garmisch nach Brixen – über Stock und Stein mitten durch die Bergwelt der Alpen. 300 Zweier-Teams haben sich auf den Weg gemacht, um die sieben Etappen zu bewältigen. Am Start wird zunächst einmal die Ausrüstung kontrolliert. Erste-HilfeSet, Regenjacke, Handschuhe und Mütze sowie ein Handy sind Pflicht. Die Fiedlers haben stets Wanderstöcke dabei. „Die muss man dann aber immer mitschleppen, auch wenn die Strecke eben ist“, erklärt Kai Fiedler. Nicht fehlen dürfen Energieriegel und die Trinksäcke, die wie ein Rucksack umgeschnallt werden. Übernachtet haben die Fiedlers im Hotel. „Viele campieren aber auch auf Feldbetten in Turnhallen. Das riecht man dann am Start“, erzählt Sylvia Fiedler.
Für jede Etappe gibt es ein Roadbook, in dem der Streckenverlauf, die Entfernungen, Höhenunterschiede, die Verpflegungsstellen und die kalkulierten Zeiten erfasst sind. Für die längste mit 52 Kilometer waren elfeinhalb Stunden als Sollzeit vorgegeben. Fünf hat Sylvia Fiedler, die sich drei Wochen vorher beim Training eine Sehne an der Fußsohle eingerissen hatte, noch geschafft. Vor der sechsten musste sie passen. „Ich habe es zwar nochmals probiert, bin in den Startraum gegangen, obwohl der Fuß dick geschwollen war. Mit Schmerzmitteln wollte ich mich aber auch nicht vollpumpen. Als ich dann gehört habe, dass die Strecke extrem matschig ist und mit Gewittern gerechnet wird, habe ich schweren Herzens verzichtet. “In diesem Moment der Tränen zeigte sich der Zusammenhalt der Läuferschar ganz besonders. „Es herrscht eine ganz enge Verbindung. Man teilt seine Leiden, man teilt sich bei der abendlichen PastaParty die Nudeln. Es ist faszinierend, wie viel Herzblut manche da reinstecken, wie selbst gestandene Mannsbilder weinen, wenn sie eine Strecke geschafft haben“, schwärmt Sylvia Fiedler: „So wenn es immer wäre auf der Welt.“Auch sie erfuhr Trost von ihren Mitläufern nach dem Aus. Während Kai Fiedler mit einem anderen Partner weiterlief, stieg Sylvia Fiedler ins Begleitfahrzeug, mit dem ihre Eltern mit dabei waren.
Um Gewicht zu reduzieren, hat Sylvia Fiedler mit dem Laufen begonnen. Seitdem hat die 41-jährige selbstständige Physiotherapeutin rund 25 Kilo verloren. „Laufen ist so toll, weil man es immer und überall machen kann“, sagt sie. Deshalb stehen statt High Heels und Pumps auch locker 20 Paar Sportschuhe im Schrank. Über Stadtläufe und Halbmarathon steigerte sie sich bis zum ersten richtigen Marathon. 2010 lief sie in München, anschließend in Berlin.
Noch schöner ist es, wenn man seiner Leidenschaft gemeinsam mit dem Partner nachgehen kann. Und so ließ sich auch Kai Fiedler vom Lauffieber seiner Frau anstecken. „Durch sie bin ich dazu gekommen“, sagt der 40-Jährige, der aus Gessertshausen stammt und im Bauamt der Gemeinde Dinkelscherben beschäftigt ist. Er hatte bis dato beim SSV Wollishausen Tischtennis gespielt. „Beim Halbmarathon bin ich dann ausgestiegen“, sagt Fiedler, der sich mehr für Berglauf und Wandern begeistern konnte. „So sind wir dann zum Trail-Run gekommen.“Und so ist das Ehepaar Fiedler viele Wochen im Jahr unterwegs, um bei Ultraläufen Grenzerfahrungen zu machen. Zum Training muss oft der Langenreicher Berg herhalten. „Meine 74-jährige Mutter begleitet mich da oft mit dem Fahrrad. Sie sagt mir dann schon mal: ,Jetzt beweg mal deinen Hintern!‘ “, amüsiert sich Sylvia Fiedler. Alternativ fährt das Ehepaar mal eben schnell ins Altmühltal, nach Füssen oder Garmisch.
Die Leidtragende ist Katze Sally, die allein zu Hause bleiben muss. Wenn Herrchen und Frauchen dann zurückkommen, stürzt sie sich auf die Ausrüstung. „Sie liebt verschwitze Schuhe“, lacht Kai Fiedler. Der Stubentiger wird noch öfter in den Genuss verschwitzter Klamotten kommen, denn die Fiedlers haben noch viel vor. Frauchen will den abgebrochenen Transalpin-Run unbedingt noch einmal zu Ende bringen. Und außerdem gibt es da noch der Transvulcania in Las Palmas oder einen Ultralauf in Hawaii. Katze Sally wird sich ans Alleinsein gewöhnen müssen.
„Mit Schmerzmitteln wollte ich mich nicht vollpumpen. So habe ich schweren Herzens aufgegeben.“Sylvia Fiedler