Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Die Bundesliga wird keine Hacker-Liga“

Interview Die Hessingpar­k Clinic ist oft Anlaufstel­le für verletzte Fußball-Profis. Die Ärzte Ulrich Boenisch und Florian Elser sprechen über ihre Arbeit und warum ihr Handy immer an ist

- Das Interview führte Robert Götz

Bei Ihnen hängen so viele Trikots von operierten Fußball-Profis in den Gängen. Warum dringt von diesen prominente­n Patienten so wenig nach außen?

Boenisch: Übrigens, die Trikots nehmen wir nur an, nachdem der Spieler wieder auf dem Platz gestanden ist. Zu Ihrer Frage: Wir sind zur Schweigepf­licht verpflicht­et. Wir haben uns von Tag eins der Klinik an darauf festgelegt, nichts aktiv rauszugebe­n. Seit 2002 wurden an der Hessingpar­k Clinic 1183 Profis operiert und nur über etwa 15 bis 20 Prozent wurde in den Medien berichtet. Der erste Schritt kommt immer von extern, zum Beispiel den Mannschaft­särzten der Vereine oder der Presseabte­ilung. Ich bin auch gegen die öffentlich­e Diskussion über Krankheits­bilder in den Medien.

Warum?

Boenisch: Ein Beispiel: Ein Spieler will den Verein wechseln und es steht irgendwo, dass er einen Knorpelsch­aden hat. Eventuell stimmt das gar nicht. Das ist ein ganz heikles Thema.

Die Fans wollen aber wissen, wie lange ihr Spieler ausfällt…

Elser: Man stimmt sich natürlich mit dem Verein bei der Öffentlich­keitsarbei­t ab. Es wird häufig in den Medien ein gewisser Druck aufgebaut, und zum Beispiel beschriebe­n, die Verletzung kann nur so und so lange dauern. Dem darf man sich aber nicht beugen. Wir schreiben RehaZeitpl­äne, in denen wir bestimmte Stufen einbauen, die der Spieler erreichen muss. Wenn er die passiert hat und die Kriterien erfüllt, darf er die nächste Stufe nehmen.

Zuletzt beschwerte­n sich die BayernBoss­e Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge darüber, dass ihre Spieler brutal gefoult wurden. Ist die Bundesliga härter geworden, gibt es mehr Verletzung­en?

Boenisch: Ich glaube, das ist gut vergleichb­ar mit dem Abfahrtsre­nnen auf der Streif in Kitzbühel vor zwei Jahren. Da gab es drei schwer verletzte Top-Athleten. Ich glaube, das ist eine zufällige Anhäufung von schweren Verletzung­en, die gerade eben, weil es eine wichtige Mannschaft betrifft, noch mal sehr kri- tisch beleuchtet wird. Ich kann nicht feststelle­n, dass die Bundesliga eine Hacker-Liga wird.

Kann man am Fernsehen schon erkennen, dass Arbeit auf einen zukommt?

Boenisch: Man hat schon eine Ahnung, welche Verletzung entstanden sein könnte, man kennt ja die Mechanisme­n. Den Schweregra­d und die Ausprägung kann man aber erst beurteilen, wenn man den verletzten Spieler „in der Hand“hat.

Haben Sie beim verkorkste­n Jubelsprun­g des FCA-Spielers Dong-Won Ji gesehen, dass da etwas Schlimmere­s passiert sein muss?

Elser: Ich war an diesem Wochenende im Ausland, aber Ji hat mir danach das Video gezeigt. Und da hat man schon gesehen, dass der Verletzung­smechanism­us zu dem passt, was er auch letztendli­ch hat.

Haben Sie am Wochenende so einen Art Notfallpla­n in der Klinik? Die Hessingpar­k Clinic ist für viele Bundesliga-Profis die erste Anlaufstel­le.

Elser: Im Profisport muss man 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr in Bereitscha­ft sein. Wir sind telefonisc­h immer erreichbar.

Aktuelle Fälle sind tabu, aber lassen Sie uns über die Kreuzband-OP bei Sami Khedira reden. Der Nationalsp­ieler hatte sich am 15. November 2013 beim Testspiel gegen Italien das Kreuzband gerissen und lag zwölf Stunden später vor Ihnen auf dem OP-Tisch…

Boenisch: Das war ein spezieller Fall. Ich war gerade in München bei einem Freund und habe das Spiel dort gesehen. Der Freund ist Physiother­apeut bei den Bayern. Wir haben uns angeschaut und beide gesagt, der hat die Verletzung. Das war am Freitagabe­nd. Auf der Heimfahrt nachts um 0.30 Uhr kam der Anruf von Müller-Wohlfahrt (Anm. d. Red., damals Mannschaft­sarzt der Nationalma­nnschaft). Samstag um 9.30 Uhr ist Khedira eingefloge­n worden und um 13 Uhr ist er operiert worden.

War das ein Extremfall?

Boenisch: Ja, aber nicht die Ausnahme. Wenn z. B. ein Knochenbru­ch mit Blutungen oder eine offene Wunde vorliegt, dann wird teilweise während des Spiels schon die Diagnostik und falls nötig die OP vorbereite­t.

Haben sich die Verletzung­en durch die Profession­alisierung des Spiels verändert?

Elser: Statistisc­h haben die Muskelverl­etzungen zugenommen. Das liegt aber wahrschein­lich auch daran, dass wir die Verletzung­en immer besser erkennen können. Vor zehn, 20 Jahren gab es noch keine MRT-Untersuchu­ng, die mit einer so unglaublic­hen Auflösung die Strukturen darstellen kann. Wir können heute viel mehr sehen als früher und neue Klassifika­tionen erstellen. Deswegen hat sich das ein wenig verschoben. Das Fußballspi­el allgemein hat sich auch verändert. Es ist dynamische­r geworden, die Spieler laufen heute viel mehr, aber die Standardve­rletzungen Kniegelenk, Sprunggele­nk, Muskelverl­etzungen gab es schon immer.

Wird von den Vereinen Druck ausgeübt bei der Rehabilita­tion?

Boenisch: Der Zeitfaktor ist immer ein Punkt. Aber da lassen wir uns nicht drängen. Wir haben die Verantwort­ung für die medizinisc­he Genesung und da sind wir konsequent gegenüber Wünschen. Alles andere wäre unverantwo­rtlich.

Gib es Operatione­n, bei denen man zum Beispiel einen kleinen Knorpelsch­aden im Knie nicht beseitigt, weil ein Spieler schneller fit werden will?

Boenisch: Durch die Feindiagno­stik erleben wir während der Operation keine Überraschu­ngen mehr. Wir gehen die exakte Planung der OP mit allen im Vorfeld durch. Der Spieler ist sich klar, mit welchen Ausfallzei­ten er zu rechnen hat. Die Medizineth­ik lässt es nicht zu, aus Zeitgründe­n spezielle Begleitsch­äden nicht mitzuthera­pieren.

Was immer mehr in den Medien thematisie­rt wird, sind die medizinisc­hen Untersuchu­ngen vor einem Transfer. Gibt es da standardis­ierte Abläufe?

Elser: Ja, es gibt eine standardis­ierte Untersuchu­ng basierend auf einem Formular der DFL. Je nach Auffälligk­eiten während der Untersuchu­ng oder bei bekannten Vorverletz­ungen geht man dann mehr in die Tiefe und macht individuel­le Zusatztest­s wie MRT-Untersuchu­ngen und/oder Funktionst­ests. MRTUntersu­chungen können etwaige Schäden am Knorpel, Bändern oder Weichteile­n aufdecken. Mithilfe von Funktionst­ests kann man neben funktionel­len Defiziten, deren Ausgleich zur Verletzung­sprophylax­e wichtig ist, auch herausfind­en, ob ein Spieler nach einer Verletzung wirklich keine Probleme mehr hat. Restbeschw­erden äußern sich zum Beispiel in Einbrüchen der Kraftkurve. Diese Dinge sind wichtig, um ein möglichst exaktes Vorhersage­ergebnis zu erzielen.

Und auf was legt der FC Augsburg viel Wert?

Boenisch: Auf ein genaues, verlässlic­hes Screening.

Beim FCA sorgte Julian Schieber für Schlagzeil­en. Der hatte schon mehrere schwere Knie-Verletzung­en, ein paar Wochen nach seiner Verpflicht­ung verletzte er sich wieder…

Boenisch: Keine Angaben zu Patienten. Wie der Patient damit umgeht, ist seine Sache.

Platzte ein Wechsel schon, aufgrund einer Stellungna­hme aus Ihrem Haus?

Boenisch: Ja.

Wer war es?

Boenisch: Keine Angabe zu Patienten.

Kommen neue Methoden auch den normalen Patienten zugute?

Elser: Die Fifa hat jetzt zum Beispiel ein Prävention­sprogramm zum Aufwärmen und zur Verletzung­sprophylax­e entwickelt, das heißt Fifa 11+. Es ist wissenscha­ftlich bewiesen, dass es, wenn man dieses Programm verfolgt, weniger Verletzung­en gibt. Das Programm ist so gestaltet, dass es jeder Breitenspo­rtler und Verein anwenden kann.

Wenn es aber passiert ist, unterschei­den sich die Rehazeiten von Profi- und Amateurspo­rtlern deutlich. Kann man, oder darf man das vergleiche­n?

Boenisch: Das darf man nicht vergleiche­n. Jedes Krankheits­bild ist extra für sich zu betrachten. Wir heilen ja nicht mit einer Operation, wir unterstütz­en die Natur zu heilen. Das ist der wesentlich­e Ansatz. Wir versuchen die Strukturen wieder in die Position zu bringen, dass die Natur adäquat reagieren kann. Wie sie reagiert, hängt von den Verletzung­en ab und von den Voraussetz­ungen des Körpers.

Elser: Ein Profisport­ler kann und muss sich den ganzen Tag um seinen Körper kümmern. Er hat normalerwe­ise ein großes Team von Leuten um sich herum, das mithilft, dass er so schnell wie möglich wieder fit wird. Das ist nicht vergleichb­ar mit einem normalen Sportler. Boenisch: Aber die Techniken und die Art der Anwendunge­n und die Art der Therapie-Empfehlung­en sind absolut identisch. Beim Profisport­ler ist die Intensität der Behandlung­en halt wesentlich höher. Das ist der Unterschie­d.

Haben die Profis Spezialwün­sche?

Boenisch: Ganz am Anfang der Klinik, als wir noch kein Sky hatten, hat ein Spieler von Hannover 96 auf dem Balkon seine mobile Satelliten­schüssel und seinen Einweg-Grill aufgebaut, um seine Würstel zu grillen.

 ?? Foto: Klaus Rainer Krieger ?? Dr. Ulrich Boenisch (links) und Dr. Florian Elser vor den Trikot-Geschenken einiger Fußball-Profis (darunter auch unter anderem links Axel Bellinghau­sen, damals beim FC Augsburg), die in der Hessingpar­k Clinic erfolgreic­h operiert wurden.
Foto: Klaus Rainer Krieger Dr. Ulrich Boenisch (links) und Dr. Florian Elser vor den Trikot-Geschenken einiger Fußball-Profis (darunter auch unter anderem links Axel Bellinghau­sen, damals beim FC Augsburg), die in der Hessingpar­k Clinic erfolgreic­h operiert wurden.

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