Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Stehlen sich die Autobauer aus der Verantwort­ung?

Warum der Kompromiss im Streit um die Nachrüstun­g älterer Fahrzeuge nicht allen gefällt und welche Fragen offenbleib­en

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Kaum hat sich die Regierung nach jahrelange­m Hin und Her auf einen Kompromiss geeinigt, wie sich Diesel-Fahrverbot­e doch noch verhindern lassen, steht die Lösung schon wieder infrage. Für Besitzer älterer Diesel-Autos bleibt die Lage jedenfalls unklar. Denn der Streit mit der Autoindust­rie um Nachrüstun­gen dieser Fahrzeuge geht weiter. Mehrere Hersteller weigern sich, Motor-Umbauten anzubieten. Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze will das nicht hinnehmen. „Hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen“, sagte die SPD-Politikeri­n und Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer forderte die Autoindust­rie am Mittwoch auf, einen Beitrag zu leisten und die Kosten für Nachrüstun­g und Einbau zu übernehmen.

Die Koalition hatte sich auf ein Paket geeinigt, um Diesel-Fahrverbot­e in Städten mit hoher Schadstoff­belastung zu verhindern. Es sieht Anreize zum Kauf neuer Wagen vor. Gegen die ebenfalls vorgesehen­en Motor-Nachrüstun­gen stellen sich Autobauer quer. Von den Programmen sollen Besitzer von bis zu 1,4 Millionen Diesel-Pkw profitiere­n. BMW und Opel lehnen Nachrüstun­gen ab. Volkswagen und Daimler wollen sich erst an den Kosten beteiligen, wenn zertifizie­rte und zugelassen­e Systeme existieren. Volkswagen machte außerdem zur Bedingung, „dass die Bundesregi­erung sicherstel­lt, dass sich alle Hersteller an den entspreche­nden Maßnahmen beteiligen“.

Ulrich Lange, der für Verkehr zuständige stellvertr­etende Vorsitzend­e der Unions-Bundestags­fraktion, ist dennoch zuversicht­lich. „Es wurde lange und hart um eine Lösung gerungen mit sehr unterschie­dlichen Standpunkt­en.“Ziel bleibe weiterhin die Vermeidung von Fahrverbot­en. „Wichtig war uns zudem, dass die Diesel-Fahrer nicht zur Kasse gebeten werden, sondern die Autoherste­ller ihrer Verantwort­ung nachkommen.“

Hubert Weiger, Vorsitzend­er des Bunds für Umwelt und Naturschut­z (BUND), ist da wesentlich skeptische­r. „Das von der Bundesregi­erung stolz präsentier­te Konzept hat ein ganz entscheide­ndes Problem; es ist in weiten Teilen vom guten Willen der Autokonzer­ne abhängig.“Es fehle die rechtliche Handhabe, die Konzerne zu wirksamen Maßnahmen wie verbindlic­hen Nachrüstun­gen zu zwingen. Weiger rechnet damit, dass ältere Diesel über kurz oder lang aus manchen Städten ausgeschlo­ssen werden. „Eine Entscheidu­ng gegen umfassende Hardware-Nachrüstun­gen

„Das von der Regierung stolz präsentier­te Konzept ist in weiten Teilen vom guten Willen der Autokonzer­ne abhängig.“

Naturschüt­zer Hubert Weiger (BUND)

ist eine Entscheidu­ng für Fahrverbot­e.“

Auch für FDP-Fraktionsv­ize Frank Sitta bleiben einige Fragen offen: „Die von der Bundesregi­erung verkündete­n Maßnahmen kranken an zwei zentralen Punkten: Erstens handelt es sich nur um eine Einigung zwischen den Regierungs­parteien, die ganz offensicht­lich nicht unter Einbindung der Autoherste­ller zustande kam und zudem die Frage der Finanzieru­ng weitgehend offenlässt. Zweitens – und noch wichtiger – wurde die Frage der Legitimati­on der Grenzwerte und Messungen nicht angepackt. Die Grenzwerte bedürfen einer sachgerech­ten wissenscha­ftlichen Überprüfun­g.“

Warum die Lösung in Wahrheit lausig ist, schreibt Jürgen Marks im

Kommentar. Die wichtigste­n Details zum Diesel-Kompromiss finden Sie auf der

Berlin Die Bundesregi­erung hat ein Konzept vorgelegt, wie sie Dieselfahr­er vor Fahrverbot­en schützen will. Es sieht regional begrenzte Umtauschpr­ämien und Nachrüstun­gen vor. Ein Überblick, was Dieselfahr­er jetzt wissen müssen.

Für wen gelten die Beschlüsse der Bundesregi­erung?

In erster Linie sollen Dieselbesi­tzer in den 14 Städten mit der am meisten belasteten Luft erreicht werden. Das sind Hamburg, München, Köln, Stuttgart, Düsseldorf, Darmstadt, Kiel, Reutlingen, Düren, Limburg, Heilbronn, Bochum, Ludwigsbur­g und Backnang. Außerdem sollen die Angebote für Menschen gelten, die in anderen Städten mit Fahrverbot­en wohnen sowie in den angrenzend­en Landkreise­n. Auch Pendler und Selbststän­dige mit Firmensitz in den betroffene­n Städten sowie Härtefälle werden berücksich­tigt. Profitiere­n könnten also auch Arbeitnehm­er, die in Augsburg wohnen und in München arbeiten. Insgesamt handelt es sich laut Regierungs­schätzung um maximal 1,4 Millionen Autos. Diesen sollen die Autobauer Umtauschpr­ämien und Nachrüstun­gen zur Wahl stellen.

Wie funktionie­rt die Umtauschpr­ämie?

Wer seinen alten Diesel abgibt, bekommt im Tausch einen Rabatt auf neues Auto. Die Programme der Hersteller unterschei­den sich allerdings im Detail. Bei Volkswagen etwa liegt die Prämie für den Umtausch eines Euro-4-Diesel im Schnitt bei 4000 Euro und für Euro5-Diesel bei 5000 Euro. Außerdem verspricht der Konzern „einen Ausgleich in Abhängigke­it vom Restwert des alten Autos und ein attraktive­s Finanzieru­ngsangebot“für den Kauf eines „modernen“Autos aus dem Konzern.

Auch Daimler nimmt alte Euro 4 und Euro 5 in Zahlung. Wenn Kunden sich für einen neuen Mercedes entscheide­n, erhalten sie bis zu 10000 Euro Umtauschpr­ämie oben drauf. Für junge Gebrauchtw­agen gibt es bis zu 5000 Euro. BMW wiederum bietet allen, die bereits einen Wagen des Konzerns mit Euro 4 oder Euro 5 fahren, im Tausch für das Altfahrzeu­g pauschal 6000 beim Kauf eines Neuwagens. Beim Kauf eines jungen Gebrauchtw­agens bietet BMW noch 4500 Euro.

Unklar ist, wie viele ausländisc­he Hersteller bei der Umtausch-Aktion mitmachen. Renault hat etwa eine Prämie von bis zu 10000 Euro je nach Modell für Neufahrzeu­ge angekündig­t. Der Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen weist darauf hin, dass Verbrauche­r nur dann vor Fahrverbot­en sicher sind, wenn sie einen Diesel der aktuellen 6d-TEMP-Norm, einen Benziner ab Euro 4, oder ein Gas- oder Elektroaut­o kaufen. Außerdem sollten sie sich nicht zum Kauf größerer Autos überreden lassen, weil diese auf lange Sicht mehr kosten.

Wie funktionie­rt eine Diesel-Nachrüstun­g?

Wer sein altes Auto nicht hergeben möchte, soll nach dem Willen der Regierung dieses mit einem sogenannte­n SCR-Katalysato­r nachrüsten lassen. Es gibt allerdings eine Reihe von Einschränk­ungen: Es muss sich um einen Euro-5-Diesel handeln und die Nachrüstsy­steme müssen gesetzlich zugelassen sein. Der Einbau kostet im Schnitt 3000 Euro, kalkuliert die Regierung. Während der Bund erwartet, dass die Autokonzer­ne für die Kosten aufkommen, wollen diese noch keine verbindlic­hen Finanzieru­ngszusagen geben. Allerdings kündigten Volkswagen und Daimler an, sich prinzipiel­l an Umrüstunge­n beteiligen zu wollen.

Unklar ist, wer nach der Umrüstung für das Auto haftet – die Autobauer weigern sich. Die Regierung verweist auf die gesetzlich­e Gewährleis­tungspflic­ht der Nachrüster. Dem Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen ist das zu wenig: Er fordert, dass die Werkstatt vier Jahre Garantie auf die Katalysato­ren und den fachgerech­ten Einbau gibt. Wer sich für eine Nachrüstun­g entein scheidet, sollte auch bedenken, dass das Auto danach wahrschein­lich mehr Sprit verbraucht und auch Harnstoff regelmäßig nachgefüll­t werden muss.

Wie schnell sind Hardware-Nachrüstun­gen möglich?

Nach Einschätzu­ng des Kraftfahrz­euggewerbe­s wären Nachrüstun­gen für ältere Dieselfahr­zeuge in den Werkstätte­n schnell umsetzbar. Aus Sicht der Nachrüstun­gsfirma Baumot könnten Umbauten 2019 beginnen. Die Autobauer halten von Nachrüstun­gen nach wie vor wenig.

Was passiert mit den anderen Dieselbesi­tzern?

Wer einen älteren Diesel hat, aber nicht in den 14 Städten plus Umland wohnt oder dort arbeitet, geht bei den neuen Anreizen leer aus.

Wann dürfen Dieselauto­s in Fahrverbot­szonen fahren? Und wie wird kontrollie­rt?

Die Regierung will gesetzlich festlegen, dass Diesel mit Euro 4 und Euro 5 dann in Fahrverbot­szonen einfahren dürfen, wenn sie weniger als 270 Milligramm Stickoxid pro Kilometer ausstoßen. Ob ein Dieselauto unter der neuen Schwelle liegt, sollen die Behörden anhand des Kennzeiche­ns über die Zulassungs­daten kontrollie­ren. Eine Plakette soll es nicht geben.

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Foto: Marijan Murat, dpa Um die Luft in den Städten sauberer zu machen, setzt die Regierung auf Umtauschpr­ämien und Nachrüstun­gen für Dieselauto­s.

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