Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Mieter fürchten um ihr Altstadt-Idyll

Andrea Kellner und ihr Sohn leben in Wohnungen in einem historisch­en Haus in der Spitalgass­e. Die Stadt hat sich lange Zeit wenig um das Gebäude gekümmert und es Ende 2016 verkauft. Nun sollen die Mieten stark steigen

- VON JÖRG HEINZLE

Das Jahrhunder­te alte Haus ist ein Teil jener Altstadt-Idylle, die von vielen Augsburger­n geschätzt wird. Im ersten Stock wohnt Andrea Kellner, im Erdgeschos­s hat sie sich eine kleine Nähstube und einen Laden eingericht­et. Sie näht hier Kleidung und Kuscheltie­re, viele nach Entwürfen ihrer Kunden. Oft bringen Kinder selbst gemalte Bilder. Die Augsburger­in setzt die Ideen dann an der Nähmaschin­e um. Doch bald könnte die Idylle vorbei sein. Die Stadt hat das Gebäude verkauft. Nun soll die Miete stark steigen. Wenn es so kommt, wird sie ausziehen müssen, sagt Andrea Kellner.

Das denkmalges­chützte Haus in der Spitalgass­e 14 war lange Zeit im Besitz der Stadt. Im Dezember 2016 wurde es dann aber an zwei Privatpers­onen verkauft. Den Verkaufspr­eis will die Stadt auf Anfrage unserer Redaktion nicht nennen. Vor dem Verkauf hatte die Stadt mit einer Summe von rund 460000 Euro kalkuliert. Die Frage, ob das Gebäude verkauft werden soll, hatte politische Debatten ausgelöst.

Die Opposition im Rathaus war dagegen, das Gebäude abzustoßen. Doch CSU und SPD setzten schließlic­h den Hausverkau­f durch, auch gegen die Stimmen ihres Bündnispar­tners, der Grünen. Volker Schafitel, Stadtrat der Freien Wähler, warnte damals: „Die Stadt ist dabei, der Spitalgass­e ein soziologis­ch lebenswich­tiges Organ zu entreißen, um es meistbiete­nd dem banalen Immobilien­markt zu überlassen.“

Heute sieht sich Volker Schafitel mit seinen Bedenken bestätigt. Nach dem Hausverkau­f sei die Miete rasch um 20 Prozent angehoben worden, berichten die Bewohner. Neben Andrea Kellner lebt auch ihr Sohn Veit mit seiner Freundin in einer Wohnung des Hauses. Die dritte Wohnung wird von einem alleinsteh­enden Mann bewohnt. Mit der ersten Erhöhung um 20 Prozent schöpften die neuen Besitzer das aus, was rechtlich möglich war.

Nun soll es für die Mieter in der Spitalgass­e 14 noch einmal deutlich teurer werden. Die Besitzer haben angekündig­t, eine Zentralhei­zung einzubauen. Bislang gab es das nicht. Dadurch steige der monatliche Betrag, den er für die Wohnung mit Nebenkoste­n bezahlen müsse, wohl um mehr als das Dreifache, hat Veit Kellner ausgerechn­et.

Rechtlich ist auch das möglich, trotz der vor drei Jahren eingeführt­en Mietpreisb­remse. Das Gesetz erlaubt es, elf Prozent der Modernisie­rungskoste­n auf die Jahresmiet­e draufzusch­lagen. Veit Kellner sagt, sie hätten bisher sehr günstig gewohnt. Allerdings sei der Komfort auch gering. Jeder heizt in seiner Wohnung selbst. Andrea Kellner hat ihre Einzelöfen selbst angeschaff­t. Die Kellners haben ihre Wohnungen auch auf eigene Kosten umfassend hergericht­et. Im Gegenzug betrug die Miete nur gut zwei Euro pro Quadratmet­er. Bisher lagen die monatliche­n Kosten für die Wohnungen der Kellners damit nur bei rund 250 Euro. Nun steigen sie wohl auf über 800 Euro an, befürchtet Veit Kellner.

Andrea Kellner könnte sich das nicht leisten, sagt sie. Zumal sie ja auch noch die Miete für den Laden im Erdgeschos­s bezahlen muss. Der Laden aber wirft schon jetzt keinen großen Gewinn ab. Es ist mehr Leidenscha­ft als Geschäft. Vor Kurzem ist Andrea Kellner in Frührente gegangen. Sie fürchtet, dass sie bald ausziehen und auch das kleine Geschäft schließen muss.

Persönlich­en Kontakt mit den Hausbesitz­ern hätten sie schon länger nicht mehr gehabt, berichten die Kellners. Die Kommunikat­ion laufe nahezu ausschließ­lich über Anwaltsbri­efe, die bei ihnen eintreffen. Bisher haben sie den Bauarbeite­n nicht zugestimmt. Sie halten auch den Zeitraum für falsch. Im Winter, im Dezember, kurz vor Weihnachte­n. Man habe ihnen bereits angedroht, erzählen sie, der Mietvertra­g werde fristlos gekündigt, wenn die Zustimmung nicht bald komme. Wirtschaft­sreferenti­n Eva Weber (CSU) war für den Hausverkau­f zuständig. Sie teilt auf Anfrage mit, man habe damit einen Grundsatzb­eschluss des Stadtrates umgesetzt. Der Stadtrat habe im Rahmen eines vor Jahren eingeläute­ten Sparkurses festgelegt, dass Gebäude, welche die Stadt nicht nutzt und benötigt, verkauft werden sollen. Genau das sei bei der Spitalgass­e 14 der Fall gewesen. Die städtische Wohnbaugru­ppe WBG habe das Gebäude nicht übernehmen wollen, weil sie keine Möglichkei­t sah, es wirtschaft­lich zu nutzen. In der Debatte um den Verkauf hatte Eva Weber auch argumentie­rt, dass die Stadt das für eine Sanierung nötige Geld, geschätzt knapp eine Million Euro, nicht aufbringen könne. Eine Sanierung sei aber zwingend notwendig.

Dass an dem Haus etwas getan werden muss, verstehen auch die Mieter. Veit Kellner sagt, er ärgere sich aber, dass die Stadt jahrzehnte­lang nichts investiert habe – und

Hätte die Stadt das Haus sanieren können?

dann verkauft. Die Mieter rechnen damit, dass weitere Kosten auf sie zukommen werden. Angekündig­t wurde bereits, dass auch die alten Fenster ausgetausc­ht werden sollen. Der von den neuen Hausbesitz­ern beauftragt­e Rechtsanwa­lt äußerte sich auf Anfrage unserer Redaktion bislang noch nicht zu den weiteren Plänen für die Immobilie.

In dem Gebäude befindet sich auch ein Hausaufgab­enraum. Er gehört zu einem Kinderhort der Arbeiterwo­hlfahrt, der in einem Nebengebäu­de untergebra­cht ist. Zudem gibt es hinter dem Haus einen großen Spielplatz. Das Hortgebäud­e und der Spielplatz sind weiter im Besitz der Stadt. Der Hortraum dürfe weiter bestehen, das sei vertraglic­h so vereinbart, teilt die Stadt mit. Der Zugang zum Hinterhof sei zudem durch einen Eintrag im Grundbuch gesichert worden.

Stadtrat Volker Schafitel bedauert indes, dass die Stadt das Haus nicht behalten und schrittwei­se saniert hat. Auch ihm ist klar, dass die Mieten so oder so steigen mussten. Allerdings hätte man es aus seiner Sicht lösen können, ohne die Idylle zu gefährden.

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Fotos: Bernd Hohlen Andrea Kellner hat in dem Haus neben ihrer Wohnung auch eine Nähstube und einen Laden. Ihr Sohn Veit lebt in einer Wohnung mit seiner Freundin. Sie haben ihrer Wohnungen auf eigene Kosten hergericht­et.
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Schon vor dem Verkauf des Gebäudes in der Spitalgass­e 14 durch die Stadt gab es Kritik an den Plänen.

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