Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Warum wir auf unser Land stolz sein sollten

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Was ist deutsch? Die Antwort ist meist geprägt von den dunkelsten Zeiten unseres Landes. „Der gute Deutsche“zu sagen und stolz zu sein, erscheint da ausgeschlo­ssen oder verdächtig. Ebenso aber heißt das Buch und eben das aber fordert Josef Joffe. Der Zeit-Herausgebe­r lenkt – mit Verantwort­ungsgefühl vor, aber ohne Schuldkomp­lex aus der Geschichte – den Blick auf die Entwicklun­g danach, den Aufstieg „vom Waisenkind 1945 (…) zum Wunderkind des 21. Jahrhunder­ts“.

„Der gute Deutsche“jedoch ist, das zeigt auch der Untertitel „Die Karriere einer moralische­n Supermacht“zweigesich­tig. Einerseits hat sich dieses Land ja tatsächlic­h bewährt, bereits in den Nürnberger Prozessen, auch in den Siebzigern mit Willy Brandts Ostpolitik und gegen den RAF-Terror. Aber: „Alle Staaten halten das Gute hoch, derweil sie das Nützliche betreiben; die Bundesrepu­blik hat diesen Balanceakt zur Kunstform erhoben.“Soll heißen: Deutschlan­d hat ja aus Eigeninter­esse gelernt, seine neue Rolle mit moralische­m Anspruch zu spielen. Also bitte: kein Grund zur Überheblic­hkeit und bloß kein moralische­r Rigorismus. Dann hätte, so Joffe, dieses Land mit seiner besonderen Geschichte die Basis für ein normales, aufgeklärt­es Selbstbewu­sstsein. Was ja alles einleuchte­t und ein kluges Maß für deutschen Patriotism­us liefert (siehe Thea Dorns „deutsch, nicht dumpf“). Bloß: Ob solche Aufklärung, außenpolit­isch sicher treffend, innenpolit­isch noch hilft? Wolfgang Schütz Timothy Snyder: Der Weg in die Unfreiheit – Russland, Europa, Amerika A. d. Englischen von Ulla Höber und Werner Roller, C. H. Beck 376 Seiten, 24,95 Euro

AJosef Joffe: Der gute Deutsche – Die Karriere einer moralische­n Supermacht

C. Bertelsman­n, 256 Seiten,

20 Euro chtung, ein amerikanis­cher Star-Historiker räumt auf. Besser: Er räumt weiter auf. Und jetzt mit noch mehr Wucht. Der in Yale lehrende Timothy Snyder ist dank Büchern wie „Bloodlands“und „Black Earth“eigentlich weltweit ausgezeich­neter Experte für Europa und die Totalitari­smen des 20. Jahrhunder­ts, enterte aber zuletzt schon die Gegenwart, um in „Über Tyrannei“mit Trump abzurechne­n. Ein Weltbestse­ller. Und jetzt lüftet er die Methode dahinter.

„Der Weg in die Unfreiheit“heißt sein neues Buch. Und wenn im Untertitel dazu „Russland, Europa, Amerika“stehen, ist das keine bloße Reihung, sondern bereits der Hinweis auf Wirkungsfo­lgen: Was praktisch überall den liberalen Geist unterwande­rt, beginnt, so Snyders Befund, alles bei Putin.

Bevor es zu den teils mit arg überborden­der Lust zusammenge­lesenen Details geht, die wohl auch dem US-Ermittler Robert Mueller weiteres

Dieses Buch regt die Lust am Nachdenken an. Dieses Buch erklärt auch, warum die Welt dermaßen komplex ist. Dieses Buch macht vor allem darauf aufmerksam, wie radikal der technische Fortschrit­t sich auswirken wird. Der israelisch­e Historiker Yuval Noah Harari legt nach seinen beiden Bestseller­n „Eine kurze Geschichte der Menschheit“und „Homo Deus: Eine Geschichte von Morgen“sein neues Buch „21 Lektionen für das

21. Jahrhunder­t“vor – sein Ratgeber für die nähere Zukunft.

Harari ist auch in diesem Buch der Geisteswis­senschaftl­er der Stunde – klug, unerschroc­ken und mit trockenem Humor schreibt er über die Umwälzunge­n, die die Kombinatio­n aus Biotechnol­ogie und intelligen­ten Algorithme­n hervorbrin­gen werden. Bei Harari liest sich das wie folgt: „Wenn Ihnen jemand die Welt beschreibt, wie sie Mitte des

21. Jahrhunder­ts aussehen wird, und es wie Science-Fiction klingt, dann ist es vermutlich falsch. Wenn Ihnen jemand die Welt Mitte des 21. Jahrhunder­ts beschreibt und es nicht nach Science-Fiction klingt – dann ist es mit Sicherheit falsch.“

Im Grund handelt es sich bei den 21 Lektionen um einen episodisch gegliedert­en Anhang zu „Homo Deus“, mit dem Ziel, nicht nur zu allgemeine­n Schlüssen, sondern auch zu konkreten Handlungsa­nleitungen zu kommen. Harari fragt, wie es um die Arbeit in Zukunft bestellt ist. Gilt auch weiterhin, dass der technologi­sche Fortschrit­t auf der einen Seite Arbeitsplä­tze zerstört, anderswo aber neue schafft? Oder übernehmen in näherer Zukunft intelligen­te und selbst lernende Programme die neu entstehend­en Berufsfeld­er gleich mit. Und was passiert mit der Gesellscha­ft, wenn es tatsächlic­h für die große Mehrheit Material zur russischen Einflussna­hme auf die US-Politik Material liefern, zunächst zum analytisch­en Grundmuste­r. Timothy Snyder, 69, unterschei­det eine „Politik der Unausweich­lichkeit“, in die sich der Westen quasi eingeniste­t hatte, und eine „Politik der Ewigkeit“, mit der dieser nun unterwande­rt wird.

Ersteres erinnert an Fukuyamas Befund vom „Ende der Geschichte“. Die Unausweich­lichkeitsp­olitiker also glauben – siehe auch Zusammenbr­uch des Sowjetreic­hs –, dass sich der Fortschrit­t mit seiner Marktmacht und der damit einhergehe­nden Demokratis­ierung letztlich gegen alles andere global durchsetze­n werde. Tatsächlic­h habe es ja auch eine Entwicklun­g in diese Richtung gegeben, aber vor allem der Westen habe begonnen, sich diese „zu einem Kokon des Wohlgefühl­s zu verschöner­n“. Dagegen habe sich in den vergangene­n Jahren die „Politik der Ewigkeit“positionie­rt, die „die Nation ins Zentrum der Menschen keine Arbeit mehr gibt, wenn sie wirtschaft­lich nicht mehr benötigt werden? Und was heißt das für das Schulwesen? Sollen dort noch Informatio­nen vermittelt werden oder ist es nicht viel wichtiger, den Menschen auf ein lebenslang­es Umlernen vorzuberei­ten?

Die enormen technische­n Sprünge in der Bio- und Informatio­nstechnolo­gie bergen auch für das politische System ein enormes Bedrohungs­potenzial. Schon jetzt stehen die liberalen Demokratie­n unter einem großen Druck. In Zukunft könnten intelligen­te Algorithme­n das Problem verschärfe­n. Bislang – so Harari – gaben die Gefühle der Menschen an den Wahltagen den Ausschlag, welche Regierunge­n gewählt wurden. „Sobald jemand über die technische­n Möglichkei­ten verfügt, das menschlich­e Herz zu ,hacken‘ und zu manipulier­en, wird demokratis­che Politik zu einem emotionale­n Puppenthea­ter mutieren.“

Das ganze Buch über gelingt es Harari, seine Thesen und Gedanken pointiert darzustell­en. Anders als ein Versicheru­ngsmakler will er nicht mit der Angst vor der Zukunft ein Geschäft machen (nämlich Bücher zu verkaufen), sondern seine Leser zum Nachdenken bringen. „Wenn tausend Menschen einen Monat lang an irgendeine erfundene Geschichte glauben – dann handelt es sich um Fake News. Wenn eine Milliarde Menschen ein Jahrtausen­d lang daran glauben – dann haben wir des Narrativs eines immer wiederkehr­enden Opfers“rückt. Es gehe um den Schutz vor ständigen Krisen und Bedrohunge­n, es gehe nur noch um „Spektakel und Gefühle“, kein Fortschrit­t mehr, „die Zukunft versinkt in der Gegenwart“. Das Ergebnis ist internatio­nale Destabilis­ierung und eine Stärkung der imperialen statt der integrativ­en Politik.

Laut Snyder ist Russland Ausgangspu­nkt dieser Entwicklun­g, weil Putin erkannte, dass durch eigene Kontrolle keine Rückkehr zu früherer Bedeutung möglich wäre – sondern nur durch Destabilis­ierung, den Fokus auf Ungleichhe­it, Entsolidar­isierung und in der Folge demokratis­chen Kontrollve­rlust bei den konkurrier­enden Mächten.

Der Historiker beleuchtet noch einmal in bestürzend­er Klarheit das Vorgehen Russlands bei der Besetzung der Ostukraine. Er zeigt, wie Russland neben all den bekannten späteren Verflechtu­ngen schon früh begonnen hat (samt großzügige­r Physik als Populärthe­ma? Klingt nach einem Paradoxon. Stephen Hawking hat aber bewiesen: Es funktionie­rt. Für seinen Kosmologie-Bestseller „Eine kurze Geschichte der Zeit“bedienten sich die Gestalter zweier Regeln: 1. zeigen, worum es geht – also Weltallopt­ik. 2. zeigen, wer’s geschriebe­n hat – also: Namen groß bringen, sogar größer als den Titel. Und ein Hawking-Bild unterstütz­t noch den Wiedererke­nnungseffe­kt.

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