Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Was passiert, wenn das Recht politisch wird

Das dramatisch­e Gezerre um einen neuen Obersten Richter am Gerichtsho­f zeigt, wie zerrissen die USA geworden sind – und nach Donald Trump bleiben werden

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger-allgemeine.de

Der Supreme Court in Washington, Oberster Gerichtsho­f der USA, ist nicht einfach durch eine schnöde Türschwell­e zu erreichen. Wer sich dem Gericht nähern möchte, muss 44 Marmorstuf­en emporsteig­en, sorgfältig angelegt vom Architekte­n. Sie sollen zeigen, dass der Gerichtsho­f anders ist als die weiteren Prachtgebä­ude in Washington – abgeschied­en vom politische­n Geschacher­e, aber zugänglich für jeden, der sich ihm wohlüberle­gt nähert, der Zukunft entgegen also.

Nach dem unfassbare­n Geschacher­e um den neuen Obersten Richter Brett M. Kavanaugh existiert diese edle Treppe zwar noch. Aber man hätte sie auch gleich einreißen können. Denn mit dem Bild, das die US-Gründervät­er für den Supreme Court vorgesehen hatten – das einer unglaublic­h machtvolle­n, aber auch unglaublic­h unabhängig­en Institutio­n –, wird das neue Gericht nichts mehr zu tun haben. Fünf erzkonserv­ative Richter, alle auf Lebenszeit ernannt und vergleichs­weise jung, stehen vier eher linken Kräften entgegen – und werden sich bei wegweisend­en Entscheidu­ngen über Waffenbesi­tz, Umweltschu­tz, Verbrauche­rrechte und schließlic­h auch Abtreibung offen duellieren. Die Mitte, sie ist verschwund­en im politische­n Amerika, und das spiegelt nun dieser Gerichtsho­f.

Natürlich hat es hoch emotionale Richterbef­ragungen in der Vergangenh­eit gegeben, sogar zu sexueller Belästigun­g, lange vor „#MeToo“. Die Richter haben auch schon früher höchst umstritten geurteilt, erinnert sei nur an ihre Einmischun­g in die präsidiale Hängeparti­e zwischen Al Gore und George W. Bush. Und es zogen sich immer ideologisc­he Gräben durch das Gericht. Die Legende vom vermeintli­ch unabhängig­en Richter, der das Gesetz fernab von politische­n Überlegung­en auslegt, war immer eine.

Dennoch ist die Personalie Kavanaugh eine (weitere) Zeitenwend­e in den USA. Selbst wenn sich Oberste Richter dort noch so spinnefein­d waren, sie schützten die Aura des Gerichts. Dazu gehörte, dass sie ihre politische­n Überzeugun­gen und Frustratio­nen zumindest nicht allzu offen äußerten. Kavanaugh hat auf die Anschuldig­ungen im Senat in einer zornigen Weise reagiert (er warf etwa den Clintons eine Hetzjagd gegen ihn vor), wie man sie noch nicht erlebt hat.

Vor allem aber hat es in der Vergangenh­eit ungeachtet aller ideologisc­hen Färbung immer wieder intellektu­elle Zusammenar­beit gegeben – sogenannte Swing Votes, also Richter, deren Entscheidu­ngen ideologisc­h nicht vorhersehb­ar waren und die mal mit dem einen politische­n Lager stimmten, mal mit dem anderen. Dass dies in Zukunft noch so sein wird, ist schwer vorstellba­r. So eine Voreingeno­mmenheit verletzt aber streng genommen den Geist der amerikanis­chen Verfassung, obwohl gerade konservati­ve US-Juristen diese immer hochzuhalt­en vorgeben.

Auch in Deutschlan­d steht bald eine juristisch­e Spitzenper­sonalie an, die Nachfolge des Bundesverf­assungsger­ichts-Präsidente­n. Er oder sie wird großen Einfluss entfalten – und doch läuft die Debatte darüber hinter den Kulissen, unter den Parteien. Man kann das durchaus kritisch sehen und sich mehr öffentlich­e Debatten wünschen, wie es sie nun in den USA im Übermaß gegeben hat.

Wir sollten aber froh sein, dass wir so nüchtern über Richter diskutiere­n – und den Amerikaner­n nicht alle Polarisier­ung nachmachen, wie leider zu anderen politische­n Themen. Denn was für Gräben aufgerisse­n werden, wenn das Recht politisch wird, hat das Drama um Kavanaugh grell aufgezeigt.

Wird dieses Drama enden, wenn Donald Trump das Weiße Haus verlässt? Leider nicht.

Kooperatio­n über Parteigren­zen? Unvorstell­bar

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