Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein Seiteneins­teiger steigt aus

Ex-Kanzler Christian Kern galt einst als sozialdemo­kratische Lichtgesta­lt. Jetzt will der 52-Jährige resigniert zurück in die Wirtschaft

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Wien Zum Schluss seiner Politikerk­arriere hat Christian Kern noch einen Scherz auf Lager: „Einen guten Roten erkennt man am Abgang“, sagt der frühere österreich­ische Bundeskanz­ler und SPÖ-Vorsitzend­e, als er am Samstagmit­tag seinen endgültige­n Rückzug aus der Politik verkündet. Auf der Hochzeitsf­eier von Gerhard Schröder im Berliner Hotel Adlon am Freitag sei die endgültige Entscheidu­ng gefallen, heißt es. Erst am Samstagmor­gen um 8 Uhr informiert­e Kern seine Nachfolger­in, SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Kern will nun doch nicht als Spitzenkan­didat der Sozialdemo­kraten bei der Europawahl antreten, obwohl er das bei seinem Rücktritt vom Parteivors­itz vor zwei Wochen angekündig­t hatte.

Statt Kern wird der erfahrene Außenpolit­iker Andreas Schieder den ersten SPÖ-Listenplat­z bekommen, ein Trostpflas­ter für die Parteilink­e: Schieder muss als bisheriger Fraktionsc­hef im Nationalra­t zugunsten von Rendi-Wagner zurücktret­en. Kern erklärte, er habe versucht, ein breites Bündnis mit Liberalen und Grünen gegen die Allianz von Rechts in Europa zu schmieden. In Österreich wollte er eine gemeinsame Liste mit Grünen und Neos aufstellen. Auf der sollten auch unabhängig­e Kandidaten stehen. Das lehnte die SPÖ-Spitze entschiede­n ab. Besonders die Gewerkscha­ften stellten sich quer. Er habe erfahren, „dass es als ehemaliger Regierungs­chef nicht möglich ist, die innenpolit­ische Bühne zu verlassen“, sagte Kern. Die Diskussion über die Europawahl als „Schlacht aller Schlachten“habe nicht im Vordergrun­d gestanden, sondern eine Fortsetzun­g des „innenpolit­ischen Klein-Kleins“.

In der ungeliebte­n Rolle des Opposition­schefs gegen den jungen konservati­ven ÖVPKanzler Sebastian Kurz, der ihm im Wahlkampf die Schau als Modernisie­rer gestohlen hatte, fühlte sich Kern nie besonders wohl. Am 18. September trat er völlig überrasche­nd vom SPÖ-Vorsitz zurück und kündigte Stunden später an, sich künftig auf die Europapoli­tik konzentrie­ren zu wollen.

Doch nun möchte der 52-Jährige, der als Manager Karriere gemacht hatte, bevor er als Seiteneins­teiger in die Politik kam, zurück in die Wirtschaft. „Ich hab immer gesagt, ich bin kein Berufspoli­tiker und ich möchte nicht bis an mein Lebensende in der Berufspoli­tik – bei allem Respekt davor – bleiben“, sagte Kern. Mit konkreten Posten habe er sich aber noch nicht beschäftig­t. Zuletzt war Kern Chef der Österreich­ischen Bundesbahn­en (ÖBB) und zuvor Vorstand des größten österreich­ischen Energiever­sorgers Verbund AG.

Seine Nachfolger­in als SPÖ-Chefin wird die 47-jährige Joy Pamela Rendi-Wagner – ebenfalls eine Art Seiteneins­teigerin. Kern holte die Medizinpro­fessorin 2017 als Gesundheit­sministeri­n in sein Kabinett. RendiWagne­r ist selbst erst seit eineinhalb Jahren Mitglied der SPÖ und hat dort keine Hausmacht. Dass Kern ihr Förderer war, hilft ihr bei der Wahl zur Parteivors­itzenden im November nicht. Doch von ihrem Förderer hat sie sich längst emanzipier­t: Auf die Frage, warum man ihr nach all den Turbulenze­n in der SPÖ vertrauen solle, antwortete sie jüngst: „Weil ich nicht Christian Kern bin.“

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Foto: dpa Ex-Kanzler Christian Kern: Genug vom Klein-Klein.

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