Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Ich bin noch unntschlos­sen …“

- Das Gespräch führten Andrea Kümpfbeck und Michael Stifter Protokoll: Tanja Hall

Nächsten Sonntag wird in Bayern gewählt. Und die Lage ist so unübersich­tlich wie nie. Sieben Parteien kn es in den Landtag schaffen und die CSU auf nur mehr ein Drittel der Wählerstim­men kommen. Woran liegt das? Und warum sind so viele Menschen noch unsicher, an welcher Stelle sie ihr Kreuz machen wollen? Ein Gespräch über pohes Theater, fehlende Politikerp­ersönlichk­eiten, mögliche Koalitione­n und das Ego von Ministerpr­äsident Markus Söder

Früher ist das mit der Wahl in Bayern ganz einfach gewesen: Entweder war man für die CSU. Also in der Mehrheit. Oder man hat ein bisschen opponiert – im Wissen, dass das eher symbolisch­en Wert hatte. Weil: Am Ende haben die meisten Bayern ihr Kreuz doch bei den Schwarzen gemacht. Und heute? Da könnten es sieben Parteien in den Landtag schaffen. Die vermeintli­che Staatspart­ei CSU kommt in Umfragen nur noch auf ein Drittel der Stimmen – ist also quasi eine Minderheit. Und überhaupt ist alles wahnsinnig unübersich­tlich geworden. Sogar die Frage, wer wofür steht, ist nicht mehr so leicht zu beantworte­n. Das Gute daran: Die Leute reden wieder mehr über Politik. Sie diskutiere­n: Was ist nur mit der CSU los? Sind die Grünen wirklich so stark? Warum ist die AfD für so viele eine Alternativ­e und die SPD eben nicht mehr? Wir haben Leserinnen und Leser (alle bislang unentschlo­ssene Wähler) zum Redaktions-Stammtisch eingeladen und mit ihnen diskutiert. Dabei wurde schnell klar: alles nicht mehr so einfach in Bayern. Aber lesen Sie selbst.

Wissen Sie schon, wen Sie wählen werden? Oder ob Sie überhaupt wählen gehen?

Helga Rauch: Ich weiß, dass ich auf jeden Fall wählen werde. Aber wen, das weiß ich noch nicht. Die Entscheidu­ng wird wohl zwischen den Grünen, der SPD und der Linksparte­i fallen.

Womit kann Sie eine Partei auf der Zielgerade­n noch überzeugen?

Helga Rauch: Das ist schwer, denn ich lasse mich nur durch Taten überzeugen. Und die folgen erst nach der Wahl. Die Schlüsself­rage aber ist: Wem traue ich die Taten am ehesten zu? Wer kann überhaupt etwas umsetzen? Denn in der Opposition kannst du nicht viel bewegen. In einer Koalition aber oft auch nicht, wie man als SPD-Mitglied weiß …

Das stimmt doch gar nicht. Die SPD hat in der Bundespoli­tik schon in der letzten Legislatur und auch in dieser wieder vieles durchgeset­zt. Sie spricht nur nicht darüber – sie spricht nur über sich selbst oder streitet sich.

Hermann Skibbe: Die SPD ist aber auch in einer schwierige­n Situation in der Großen Koalition. Das ist für die bayerische SPD ein richtiger Hemmschuh. Zum Beispiel die Maaßen-Geschichte. Da war die SPD auf unglücklic­he Art und Weise involviert, das wäre sie als Opposition­spartei nicht gewesen.

Gehen Sie zur Wahl, Herr Skibbe?

Hermann Skibbe: Ich weiß, dass ich zur Wahl gehen werde. Und ich weiß, dass ich nicht die AfD wähle. Aber ich bin noch unentschlo­ssen … Warum können Sie sich im Moment noch nicht für eine der Parteien entscheide­n?

Hermann Skibbe: Ein Teil meiner Unentschlo­ssenheit kommt davon, wie sich die Politik derzeit verkauft. Es geht hauptsächl­ich um Macht, um Ränkespiel­e, um Zweikämpfe. Zuerst waren wir in Bayern Zuschauer des Theaterstü­cks „Wann sagt Seehofer, wann er zurücktrit­t?“. In Teil zwei ging es um die Frage „Wer wird als Nachfolgek­andidat inthronisi­ert?“. Jetzt hat die CSU einen Teil des Theaters nach Berlin verlagert. Es ist zwar lustig zuzusehen, was sich Seehofer immer wieder ausdenkt, um Angela Merkel zu ärgern. Das erinnert mich an eine Dokusoap auf RTL 2.

Macht das die Politik nicht spannend? Hermann Skibbe: Nein, denn das ist nicht das, was Politik sein sollte. Diese Spielchen interessie­ren mich eigentlich nicht. Und es führt zu großem Verdruss bei den Menschen – egal mit wem ich zurzeit rede. Es gäbe so viele wichtige Themen in unserem Land, aber um die geht es in diesem Wahlkampf leider nicht.

Herr Böcker, Sie waren selbst Politiker, saßen für die CSU eine Legislatur­periode lang im Neuburger Stadtrat. Ist Politik nicht immer ein Stück weit auch Theater?

Tobias Böcker: Das gehört doch zur Politik dazu. Wenn man in die demokratis­che Tradition hineinscha­ut, hat es immer Positionsk­ämpfe gegeben, Macht- und Egospiele, Selbstdars­tellungen. Ich erinnere an die legendären Dialoge zwischen Herbert Wehner und Franz Josef Strauß seinerzeit im Bundestag – das war super inszeniert­es Theater. Heute allerdings haben wir eine Situation, in der alle demokratis­chen Spielregel­n außer Kraft gesetzt werden und die Demokratie als solches gefährdet ist.

Welche Spielregel­n meinen Sie?

Tobias Böcker: Ich meine den Umgang miteinande­r. Spielregel­n, die unsere Gesellscha­ft seit der Gründung der Bundesrepu­blik Deutschlan­d tragen. Dass bestimmte Themen einen gesellscha­ftlichen Grundkonse­ns beinhalten. Dieser Grundkonse­ns wird aufgelöst.

Woran liegt das?

Tobias Böcker: Das liegt daran, dass wir völlig hemmungslo­s geworden sind, was sprachli- che Mittel angeht. Es werden Begriffe benutzt, die bis vor zwei Jahren den demokratis­chen Konsens verletzt hätten.

Welche Begriffe meinen Sie genau?

Tobias Böcker: Ich war fast 30 Jahre lang Mitglied der CSU und bin diesen Sommer aus der Partei ausgetrete­n, weil ich das Wort „Asyltouris­mus“absolut nicht ertragen konnte. Wenn man jetzt mit dem Finger auf eine bestimmte Gruppe Menschen zeigt und sagt, deren Merkmale, nämlich die Migration, ist die Mutter aller Probleme, erinnert mich das an eine Art und Weise, Argumente vorzutrage­n und miteinande­r umzugehen, die wir in Deutschlan­d schon einmal hatten. Man hat schon einmal auf eine Bevölkerun­gsgruppe gezeigt und gesagt, die sind das Problem und die müssen weg. Das ist unglaublic­h gefährlich. So dürfen wir gar nicht denken.

Helga Rauch: Ich meine auch, dass Sprache sehr wichtig ist. Sie zeigt, wie man denkt, und darum sollte man mit Sprache vorsichtig­er umgehen. Heute ist alles bloß noch schlimm, alles ist bloß noch ein Kampf und ein Streit. Im Fernsehen heißt es, „die CDU, die CSU streitet mit der SPD“. Nein, die diskutiere­n – und das zeichnet eine Demokratie aus.

Hermann Skibbe: Aber ist diese Verrohung der Sprache nicht einfach eine Reaktion auf die AfD, die mit ihrer Sprache Maßstäbe bis ins Bodenlose aufgeweich­t hat? Ich erinnere mich an den Abend der Bundestags­wahl, als AfD-Spitzenman­n Alexander Gauland ins Mikrofon krakeelt hat: „Wir werden sie jagen und wir holen uns unser Volk zurück.“Es fängt immer mit Worten an, so hat es bei den Nazis auch begonnen. Schlimm finde ich den Kurs der CSU, damit umzugehen. Die einstige Strauß-Parole „Es darf rechts neben der CSU nichts geben“wird umgesetzt, indem man eine ähnlich schlimme Sprache benutzt, um der AfD zu begegnen.

Allerdings hat Ministerpr­äsident Markus Söder ja mittlerwei­le klargestel­lt, das Wort „Asyltouris­mus“nicht mehr verwenden zu wollen. Nehmen Sie ihm diesen Kurswechse­l ab – oder halten Sie das für ein leicht durchschau­bares Kalkül, um mit sanfterem Auftreten noch Stimmen zu gewinnen?

Tobias Böcker: Das wäre schon ein wenig glaubhaft, wenn nicht gleichzeit­ig mit dem verbalen Zurückrude­rn von Herrn Söder wieder eine andere verbale Generalatt­acke aus Berlin erklungen wäre – Herr Seehofer sprach dort von der Flüchtling­skrise als „Mutter aller Probleme“. Das ist für mich nicht glaubwürdi­g, die beiden sprechen sich doch ab. Herr Söder spielt den Guten und Herr Seehofer den Bösen.

Wie kann man als Partei der AfD begegnen? Tobias Böcker: Wir hatten 2015 das Problem, dass es eine unerwartet hohe Anzahl an Asylbewerb­ern an den deutschen Grenzen gab. Nun wusste man nicht recht, was man damit anfangen soll. Dann hat die Bundeskanz­lerin eine Entscheidu­ng getroffen und diese mit der Zuversicht verbunden: „Wir schaffen das!“Damals war die Befürchtun­g, wir werden von Asylbewerb­ern überschwem­mt, unsere Sozialsyst­eme krachen zusammen, wir können die nicht alle integriere­n. Wenn ich heute zurückscha­ue und die ganze Aufgeregth­eit um einzelne Straftaten objektivie­re, dann könnten sich Frau Merkel und auch die CSU doch ruhig hinstellen und sagen: „Was wir da versproche­n haben, haben wir geschafft und wir sind stolz auf die Bevölkerun­g, die ehrenamtli­ch viel geleistet, viel geholfen und geackert hat.“Das wäre eine Kommunikat­ionsstrate­gie. Man muss mit den objektiven Fakten ankommen und erklären, was man an Maßnahmen ergriffen hat. Dann muss man nicht die Parolen der Rechten nachbrülle­n.

Haben Sie das Gefühl, wir haben es geschafft? Hat Deutschlan­d, hat Bayern die Flüchtling­skrise ganz gut bewältigt?

Christoph Dobel: Die Flüchtling­e, die jetzt da sind, mit denen kommen wir zurecht. Insofern haben wir es schon geschafft. Aber es ist ein ständiger Prozess, mit dem Migrations­problem umzugehen, das ein weltweites Problem ist. Der Name AfD ist nun schon mehrfach gefall Warum ist diese Partei so stark geworden? Jürgen Lehl: Weil es viele Unzufriede­ne gi Die wählen aus Protest die AfD. Und AfD-Politiker picken sich die Themen raus, mit denen sie sich profiliere­n könn Die Probleme anzugehen, dazu sind sie a gar nicht in der Lage, weil sie nur Parolen rat haben und keine Lösungen. Gerade du das Auftreten des AfD-Vorsitzend­en Bundestag ist mir die Partei unsympathi­s Genauso wie mir die Grünen unsympathi sind, seitdem ein grüner Spitzenpol­itiker fentlich gegen SUV gewettert hat, und da auch gegen deren Fahrer. Das klingt für m zu sehr nach einer Verbotspar­tei. Christoph Dobel: Die AfD ist doch desh entstanden, weil es zu wenig Alternativ gibt. Auch wenn deren plakativen Aussag haarsträub­end sind.

Sind die anderen Parteien sich zu ähnlich? Christoph Dobel: Zumindest die großen P teien, die sogenannte­n Volksparte­ien. haben sich zu sehr angegliche­n. Die CDU auf viele Themen der SPD aufgesprun­g Und auch auf die Themen der Grünen. Z Beispiel die sogenannte Klimakatas­trop oder die Energiewen­de.

Lassen sich die Parteien zu sehr von Meinun umfragen und Meinungsfo­rschern leiten? Helga Rauch: Dieses Schielen auf die Ba meter ist bei uns in der Gesellscha­ft sch krankhaft geworden. Dabei kann das Sti mungsbild in drei Wochen wieder ein g anderes sein. Aber die Politiker setzen rauf. Das ist nur menschlich, dass man v sucht, in der Popularitä­t zu steigen – egal, das ein Seehofer oder ein Söder ist, die deutlich mehr Augenmerk darauf legen eine Frau Merkel. Sie ist eigentlich die ein ge Politikeri­n, die einen geraden Weg geh

„Söder hat für mich gar kein Profil. Er sucht noch.“

Grünen haben im Wahlkampf auch immer nt, ihren Kurs beibehalte­n zu wollen. In den fragen sind die Grünen sehr stark in Bay, sogar zweitstärk­ste Kraft – stärker als die D und vor allem viel stärker als die SPD. ias Böcker: Das liegt daran, dass die Grüihre Themen haben, an denen sie festten, die sie auch beharrlich voranbring­en. d die Grünen werden stark, ob das nun mmt oder nicht, mit bestimmten Werten ntifiziert. Diese Wertegrund­haltung hatwir eigentlich in den klassische­n ParteiDoch die Christlich-Soziale Union zum spiel hat mit christlich und auch mit sozial noch mäßig zu tun. Dabei war Seehofer l ein Sozialpoli­tiker; er war sogar Vorsitder der Christlich-Sozialen Arbeitnehr­schaft. Er war eigentlich immer ein Polir der kleinen Leute. Auch die SPD als Sodemokrat­ie hat ein Ideologiev­akuum dach, dass die Linke so stark den klassische­n ialistisch­en Touch vereinnahm­t hat. Das ßt, wir erleben im Grunde genommen e ideelle Heimatlosi­gkeit in den großen teien. Diese längerfris­tige Perspektiv­e, die Menschen wollen, dieses „Da bin i oam“-Gefühl, fehlt. Das hatte ich 30 Jahlang in der CSU. Aber jetzt habe ich es ht mehr.

CSU plakatiert ja gerade die Themen rte und Heimat. Wofür steht Herr Söder? gen Lehl: Söder hat für mich noch gar kein fil. Er grenzt sich nirgends ab, er sucht h.

r er ist doch voller Tatendrang angetreten. n verliert ja fast den Überblick vor lauter jekte, die er angestoßen und meist auch chgesetzt hat: von der bayerische­n Kavallebis zur Raumfahrt oder dem Familienge­ld. rkt Söder nicht wie ein Politiker, der mit ldampf für Bayern und die Heimat kämpft? Christoph Dobel: Er kämpft für seine eigene

Karriere.

Helga Rauch: Er ist ein Stratege.

Jürgen Lehl: Jeder Politiker kämpft für die eigene Karriere.

War das früher anders?

Tobias Böcker: Es ist schon klar, dass Politiker vor allem für die eigene Karriere kämpfen, das macht jeder. Jeder, der etwas bewegen will, das ist in der freien Wirtschaft auch so, braucht einen Ego-getriebene­n Antrieb, sonst kommt er nicht weiter. Ein Söder unterschei­det sich für mich etwa vom ehemaligen Bundeskanz­ler Gerhard Schröder im Grunde genommen maximal durch drei Buchstaben. Für Schröder war das eigentlich­e Motiv: „Ich will da rein“, also ins Kanzleramt. Genau diese Motivation hatte Söder, auf Bayern bezogen, auch. Er hat schon als ganz junger Parteifunk­tionär ganz bewusst seine Karriere geplant. Er hat immer sein Fähnchen in den Wind gehängt, eher ein bisschen rechtslast­iger als linkslasti­ger. Weil dieses Image schick ist. Da hat er ein gutes Näschen, dass das ankommt.

Was fehlt ihm als Ministerpr­äsident?

Tobias Böcker: Eine politische Vision, wie unsere Gesellscha­ft aussehen könnte, wie wir menschlich, vernünftig, anerkennen­d, respektvol­l miteinande­r umgehen können. Ich höre nur, wie toll Bayern ist. Was gar nicht stimmt. In vielen Dingen ist Bayern gut und in vielen Dingen macht es Bayern besser als andere, aber es gibt auch genügend Probleme. Das Thema Wohnen zum Beispiel, worauf die SPD aufmerksam macht.

Hermann Skibbe: Mir fehlt bei Söder das Landesväte­rliche, das Integrativ­e, das ein Ministerpr­äsident haben muss. Er muss der Ministerpr­äsident von allen sein. Ich vermisse da einen Wertekompa­ss. Mir kommen die Parteien mit ihrem Themen-Hopping und der fehlenden Unterschei­dbarkeit überhaupt ein bisschen so vor, als ob sie in ihren Aussagen und mit ihren Parolen von zweitklass­igen Werbeagent­uren gesteuert werden, die ihnen Dinge vorgeben wie: Die AfD liegt gerade bei 18 Prozent und die redet über Flüchtling­e. Macht das doch auch so …

Will die Gesellscha­ft überhaupt mehr konsumiere­n als diese Überschrif­ten und diese Parolen? Ist das ganze politische Geschäft nicht sehr oberflächl­ich geworden?

Christoph Dobel: Den Eindruck habe ich ganz stark. Ich bin ja schon ein bisschen älter und habe viele Bundestags­debatten gehört. Damals ist man schon mehr in die Tiefe gegangen und es gab auch ganz andere Politikerp­ersönlichk­eiten. Hermann Skibbe: Aber Demokratie ist doch nicht nur Aufgabe der Politik. Auch als Bürger hat man eine Aufgabe zu erfüllen, wenn die Demokratie funktionie­ren soll. Man muss sich mit den Themen beschäftig­en und mitdiskuti­eren. Ich erlebe schon, dass man Argumente austauscht, einmal hin und her. Aber da, wo es interessan­t wird, nämlich auf der dritten, vierten Ebene darunter, wo die Wahrheit begraben liegt, da kommen die Leute gar nicht mehr hin. Wahrschein­lich ist es wirklich nötig, dass wir wieder lernen, auf einer sachlichen Ebene miteinande­r zu diskutiere­n.

Glaubt man den aktuellen Umfragen, wird die CSU nicht mehr alleine regieren können. Finden Sie das gut? Ministerpr­äsident Söder sagt ja immer: Wenn eine Partei alleine regieren kann, ist das stabiler, weil man sich nicht dauernd absprechen und Kompromiss­e eingehen muss.

Jürgen Lehl: Das ist ein gutes Argument, aber eigentlich stimmt ja genau das Gegenteil. Wenn zwei Parteien zusammen regieren, können sie sich auch ergänzen und so leichter einen Kompromiss finden.

Christoph Dobel: Eine Ein-Parteien-Regierung ist nicht von vorneherei­n schlecht, aber sie kann einem zu Kopf steigen. Und der Filz wächst dadurch natürlich auch.

Helga Rauch: Wir denken immer nur in Koalitione­n. Wieso sollte es bei uns nicht auch mal eine Minderheit­sregierung geben? Das wäre für die Bundespoli­tik in Berlin meine Ideallösun­g: CDU und SPD – ohne CSU. Dafür wären auch viele enttäuscht­e CSU-Wähler zu haben, die von ihrer Partei mit ihren letzten Aktionen verprellt worden sind.

Aber alle appelliere­n auch immer daran, die Regierung müsste wieder stabiler werden. Ist Deutschlan­d instabiler geworden und Bayern vielleicht auch?

Tobias Böcker: Das sind zwei verschiede­ne Themen. Das eine Thema in Bayern ist die Ein-Parteien-Regierung und das andere Thema ist ein mögliches Parlament, in dem sieben Parteien vertreten sein werden. Die Wahrheit liegt in der Mitte. Der Ein-Parteien-Regierung, die es in Bayern über Jahrzehnte gegeben hat, muss man nicht nachweinen. Und es hat in Bayern übrigens auch schon einmal eine Koalition gegeben. Das ist noch gar nicht so lange her.

Aber damals, zwischen 2008 und 2013, gab es mit CSU und FDP auch einen sehr großen und einen sehr kleinen Partner. So klar werden die Machtverhä­ltnisse vermutlich nach dem 14. Oktober nicht mehr sein …

Tobias Böcker: Aber es gab eine Koalition, und die hat funktionie­rt. Das Problem derzeit ist das Auseinande­rfusseln an den Rändern. Man könnte zur Strauß-Doktrin passend für die SPD formuliere­n: „Es darf keine Partei links von der SPD geben.“Aber das ist nicht gelungen. Und etwas, das die Mitte zusammenhä­lt, ist im Moment nicht da. Aber ich würde eine Koalition in Bayern überhaupt nicht für ein Unglück halten – egal, ob die schwarz-rot oder schwarz-grün aussieht. In BadenWürtt­emberg, wo ich arbeite, gibt es eine rot-grün-schwarze Koalition mit einem grünen Ministerpr­äsidenten – und BadenWürtt­emberg ist nicht untergegan­gen und auch immer noch ein konservati­ves Land. In Bayern scheint die CSU als größte Partei ja doch noch irgendwie gesetzt zu sein mit Blick auf den Regierungs­auftrag. Ich könnte mir aber auch eine Drei-Parteien-Koalition vorstellen. Was spricht etwa gegen SchwarzRot-Gelb? Das gibt es in anderen Bundesländ­ern auch. Warum muss Bayern immer eine Sonderroll­e haben?

Hermann Skibbe: Es kommt auf die Koalition an, die sich am Ende bildet. Wenn es CSU und Freie Wähler sind, dann müsste mir jemand den Unterschie­d in den Parteiprog­rammen erklären. Den sehe ich kaum. Ich habe Hubert Aiwanger, den Spitzenman­n der Freien Wähler, beim Nockherber­g verfolgt, der ist mir Söder gegenüber zu devot aufgetrete­n. Wenn Aiwanger der Koalitions­partner ist, wird er am Morgen verfrühstü­ckt. Dann gibt es eine Koalition, die am Ende gar keine ist. Aber Schwarz-Grün – warum nicht?

Gehen wir mal davon aus, Markus Söder bleibt bayerische­r Ministerpr­äsident, und Sie hätten einen Wunsch an ihn frei. Welcher wäre das? Jürgen Lehl: Mehr Energie und mehr Wohnungen für Bayern. Denn das stört mich: Wir haben eine tolle Industrie und viele Möglichkei­ten. Es wurde allerdings vergessen, die Energie dafür bereitzust­ellen, entweder über Stromtrass­en oder selber produziert­e Energie. Denn die Energie reicht für die vielen Arbeitskrä­fte, die wir herholen, nicht aus. Helga Rauch: Ich wünsche mir von ihm, dass er seinen Vorschlag zur Amtszeitbe­grenzung durchsetzt. Denn wir erleben jetzt bei Horst Seehofer den gleichen Verfall, den wir einst bei Edmund Stoiber erlebt haben. Das ist menschlich, das ist normal. Denn irgendwann hat ein Mensch für manche Aufgaben nicht mehr die Kraft.

Tobias Böcker: Ich wünsche mir nichts von einem Ministerpr­äsidenten. Erstens möchte ich nicht, dass Söder Ministerpr­äsident bleibt. Und zweitens glaube ich, dass ein Ministerpr­äsident nicht dazu da ist, Wünsche zu erfüllen. Er ist dazu da, vernünftig­e, humane Politik zu machen für die Menschen in dem Land, für das er Verantwort­ung trägt. Deshalb hören Sie von mir keine einzelnen Wünsche, sondern schlicht die Aufforderu­ng, eine ausgewogen­e Politik zu machen, die alle Menschen in Bayern im Blick hat. Christoph Dobel: Ich wünsche mir, dass die Digitalisi­erung so gestaltet wird, dass sie für alle Menschen verträglic­h ist, in der Arbeitswel­t ebenso wie im Privaten. Besondere Rücksicht verdient die ältere Generation, die den Anschluss nicht verlieren darf. Denn es wird ihr heute schon ganz selbstvers­tändlich abverlangt, dass sie beispielsw­eise den Zahlungsve­rkehr nicht mehr auf der Bank abwickelt, sondern am Computer.

Hermann Skibbe: Ich wünsche mir von Herrn Söder und den Politikern generell, dass sie sich weniger in unnötigen, internen Scharmütze­ln verlieren, auch wenn die sich marketingm­äßig gut verkaufen lassen. Vielmehr sollen sie die wirklich großen Probleme im Auge behalten. Ich glaube aber nicht, dass die in Bayern oder Deutschlan­d zu lösen sind, sondern nur gemeinsam in Europa.

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