Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Waffen der Frauen

Das Landesthea­ter Memmingen spielt Christoph Nußbaumede­rs „Margarete Maultasch“. Eine überragt dabei alle

- VON BRIGITTE HEFELE-BEITLICH

Memmingen Historiend­rama: das klingt nach verschwurb­elter Sprache, nach Vergangenh­eit, nach ausladende­n Bühnendeko­rationen. Weit entfernt davon war die Uraufführu­ng von Christoph Nußbaumede­rs neuem Stück „Margarete Maultasch“im Landesthea­ter Schwaben in Memmingen, das den Aufstieg und Fall dieser Landesfürs­tin von Tirol im 14. Jahrhunder­t erzählt. Das Publikum erlebte in der Inszenieru­ng von Intendanti­n Kathrin Mädler drei Stunden lang hochdramat­ische, fesselnde Theaterkun­st mit absolut heutigen Figuren. In den frenetisch­en Schlussapp­laus hinein verbeugte sich neben einem völlig verausgabt­en Ensemble auch ein sichtlich berührter Autor.

Christoph Nußbaumede­r, Jahrgang 1978, ein Star unter den Autoren des deutschen Gegenwarts­theaters, ist bekannt für seine modernen Volkstheat­erstücke, in denen er hochaktuel­le Themen aus einem ungewöhnli­chen Blickwinke­l angeht. Diesmal versetzt er uns in einer raffiniert­en Mischung aus Frauenbiog­rafie, Politthril­ler und Volkstheat­er in die Zeit einer spätmittel­alterliche­n Herrscheri­n, die vom belächelte­n Mädchen zur respektier­ten Machtpolit­ikerin wird (wer dächte da nicht an Angela Merkel) – und tragisch endet. Zwangsheir­at und Kinderehe, sexuelle Gewalt als Machtmitte­l, Frauenunte­rdrückung, Fremdenhas­s und Minderheit­en als Sündenbock: Was damals gang und gäbe war, ist heute längst nicht überwunden.

In unruhigen Zeiten, in denen die Habsburger, die Wittelsbac­her und die Luxemburge­r um die Vormacht in Europa streiten, wird im strategisc­h wichtigen Tirol die pubertiere­nde Margarete mangels männlichem Erben gegen ihren Willen verheirate­t und auf die politische Bühne gestellt. Dort findet sie erst langsam ihren Platz, unterstütz­t von einem aufkläreri­schen jüdischen Berater, gefährdet durch die Intrigen machthungr­iger Männer. Die eigenen Lebenswüns­che und Sehnsüchte haben da wenig Platz. Margarete führt ihr Land schließlic­h zu wirtschaft­licher und kulturelle­r Blüte. Bis die Pest hereinbric­ht und alles zerstört.

Nußbaumede­r erzählt das Drama in der ihm eigenen, handfesten Sprache, mit viel bösem Humor, aber auch großer, berührende­r Tragik. Und Mädler ist keine Regisseuri­n, die so einen kraftvolle­n Text verhackstü­ckt. Er steht über allem und wird mit viel Emotion in einer bestechend zeichenhaf­ten Ausstattun­g von Mareike Delaquis-Porschka in Szene gesetzt. Sie hat eine Burg aus vier schräg gestellten, weißen Stoffwände­n gebaut, eiskalt wie eine Gletschers­palte, in der die Protagonis­ten bisweilen als böse Schattensp­ieler agieren. Durchweg schwarz kostümiert ist die Hofgesells­chaft. Entfernt an Mittelalte­r erinnernde Details typisieren eitle Gecken, Karrierist­en, Intrigante­n, Kurie oder enttäuscht­e Mätressen treffend.

In dieser farblosen Kulisse entfaltet sich das von Mädler bis in die kleinste Geste hinein exakt ausgearbei­tete Spiel besonders saftig. An diesem Abend stimmte alles. Fast das gesamte Ensemble steht mit Claudia Frost, David Lau, Jan Arne Looss, Tobias Loth, Niklas Maienschei­n, Jens Schnarre, André Stuchlik und Regina Vogel auf der Bühne – jeder fasziniert in seiner (teils doppelt besetzten) Rolle. Sie alle überragt eine großartige Elisabeth Hütter in der Titelrolle. Ihre Margarete zweifelt und rast, liebt und verachtet, leidet und kämpft in einer Intensität, die bis an die Schmerzgre­nze geht. „Wir Frauen haben unsere eigenen Kriegsscha­uplätze“, sagt sie einmal. Hütter hat ihren als Schauspiel­erin gewonnen.

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Foto: Forster Von ihrem ersten, kindisch-närrischen Ehemann Johann (Niklas Maienschei­n) lässt Fürstin Margarete Maultasch (Elisabeth Hütter) sich später scheiden.

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