Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Augsburger Angriffspressing
Für seine Spielweise erhält der FC Augsburg in der Bundesliga Lob von allen Seiten. Hinter dem Spektakel verbergen sich aber auch einige Risiken
An dieses Spiel werden sich Beteiligte und Zuschauer lange erinnern. Martin Hinteregger war beeindruckt, als er das denkwürdige Aufeinandertreffen zwischen Borussia Dortmund und dem FC Augsburg beurteilen sollte. Er sagte nur: „So etwas habe ich noch nie erlebt.“
Dass die Dortmunder Mannschaft, bestückt mit Ausnahmekönnern, für Spektakel steht, war nach den jüngsten Auftritten wenig verwunderlich. Nur konnten sie nicht davon ausgehen, dass der Partygast ähnlich ausgelassen feiern wollte wie der Gastgeber. Der FC Augsburg steht in der laufenden Saison für mitreißenden Fußball und Tore. 14 Treffer nach sieben Spielen sind in der Liga ein Spitzenwert, so viele Tore haben die Schwaben zu diesem Zeitpunkt in ihrer achtjährigen Bundesligageschichte nie erzielt.
Dass die Augsburger den SC Freiburg in heimischer Arena dominieren, lässt sich inzwischen als Normalität verbuchen. In den jüngsten Partien begegneten sie allerdings ebenso den tabellarischen Topteams Werder Bremen, Bayern München und Borussia Dortmund auf Augenhöhe. Dortmunds Trainer Lucien Favre nötigte der Wille der Augsburger, selbst nach Gegentreffern am aggressiven Anlaufen festzuhalten, Respekt ab. „Gratulation an den Trainer und die Spieler. Sie haben hervorragend gespielt. Es war sehr schwer für uns.“Augsburgs Trainer Baum griff das Lob des Kollegen auf und gab es sogleich weiter. „Wenn die Spieler das nicht umsetzen, hilft die beste Idee nichts.“
Baums Vorgabe, Gegenspieler permanent zu nerven, birgt zwei Risiken: Einerseits kostet die Hatz auf dem Rasen enorm viel Kraft; andererseits droht gegen spielstarke Mannschaften die Gefahr, keinen Zugriff zu bekommen und auskombiniert zu werden. 13 Augsburger Gegentreffer dokumentieren den möglichen Nebeneffekt. Wobei sich Baum gegen den Eindruck wehrt, die Gegentore hätten mit fehlgezündetem Druck auf den Gegner zu tun. „Die Tore sind nicht entstanden, weil der Gegner uns auseinander- sagte er in Dortmund. Das Spiel gegen den Tabellenführer sah er als Beleg dafür. Beim ersten Tor durch Alcácer sei man ausgekontert worden. Und das zweite und vierte Gegentor waren Standardsituationen, schob Baum hinterher.
Augsburgs Sportgeschäftsführer Stefan Reuter sprach von einer „grandiosen Idee“, mit der der Coach seine Spieler ins Duell mit dem BVB geschickt hatte. „Wir haben hier noch nie so gut performt.“ Den 51-Jährigen sorgte nicht, dass sich die Spieler mit der kraftraubenden Spielweise übernehmen könnten. Er bekräftigte: „Die Mannschaft kann Gas geben. Das können wir Woche für Woche abliefern.“
Bedeutend im offensiven Spielsystem mit Balleroberung und kurzem Weg zum gegnerischen Tor ist Alfred Finnbogason. Mit dem Isländer verfügt der FCA über einen effektiven Zielspieler, der die gemeinschaftliche Arbeit in Zählbares umnimmt“, münzt. In Dortmund nahm Trainer Baum den 29-Jährigen nach 83 Minuten vom Feld. Finnbogason war erschöpft. Zuvor hatte er ein Tor erzielt, einen Treffer mit einer scharfen Hereingabe eingeleitet und einmal das Gestänge getroffen. Seine Freude über seinen zweiten gelungenen Auftritt innerhalb von sechs Tagen hielt sich dennoch in Grenzen. „Wenn wir gewinnen, sieht das alles anders aus. Ohne Punkt ist das alles egal“, betonte er.
Nach seiner langen Verletzungspause verordnet sich Finnbogason Ruhephasen, das Risiko eines Rückfalls will er gering halten. „Ich muss mich selbst schützen. Von null auf hundert ist nicht optimal nach einer langen Verletzung.“Dennoch wird der Spieler mit seiner Nationalmannschaft gegen Frankreich und die Schweiz spielen. Baum wird sich mit Islands Verantwortlichen austauschen, damit sich die Belastung in Grenzen hält. Schließlich braucht er einen ausgeruhten Finnbogason, wenn mit RB Leipzig das nächste Topteam das Augsburger Angriffspressing kennenlernen soll.