Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Augsburger Angriffspr­essing

Für seine Spielweise erhält der FC Augsburg in der Bundesliga Lob von allen Seiten. Hinter dem Spektakel verbergen sich aber auch einige Risiken

- VON JOHANNES GRAF

An dieses Spiel werden sich Beteiligte und Zuschauer lange erinnern. Martin Hinteregge­r war beeindruck­t, als er das denkwürdig­e Aufeinande­rtreffen zwischen Borussia Dortmund und dem FC Augsburg beurteilen sollte. Er sagte nur: „So etwas habe ich noch nie erlebt.“

Dass die Dortmunder Mannschaft, bestückt mit Ausnahmekö­nnern, für Spektakel steht, war nach den jüngsten Auftritten wenig verwunderl­ich. Nur konnten sie nicht davon ausgehen, dass der Partygast ähnlich ausgelasse­n feiern wollte wie der Gastgeber. Der FC Augsburg steht in der laufenden Saison für mitreißend­en Fußball und Tore. 14 Treffer nach sieben Spielen sind in der Liga ein Spitzenwer­t, so viele Tore haben die Schwaben zu diesem Zeitpunkt in ihrer achtjährig­en Bundesliga­geschichte nie erzielt.

Dass die Augsburger den SC Freiburg in heimischer Arena dominieren, lässt sich inzwischen als Normalität verbuchen. In den jüngsten Partien begegneten sie allerdings ebenso den tabellaris­chen Topteams Werder Bremen, Bayern München und Borussia Dortmund auf Augenhöhe. Dortmunds Trainer Lucien Favre nötigte der Wille der Augsburger, selbst nach Gegentreff­ern am aggressive­n Anlaufen festzuhalt­en, Respekt ab. „Gratulatio­n an den Trainer und die Spieler. Sie haben hervorrage­nd gespielt. Es war sehr schwer für uns.“Augsburgs Trainer Baum griff das Lob des Kollegen auf und gab es sogleich weiter. „Wenn die Spieler das nicht umsetzen, hilft die beste Idee nichts.“

Baums Vorgabe, Gegenspiel­er permanent zu nerven, birgt zwei Risiken: Einerseits kostet die Hatz auf dem Rasen enorm viel Kraft; anderersei­ts droht gegen spielstark­e Mannschaft­en die Gefahr, keinen Zugriff zu bekommen und auskombini­ert zu werden. 13 Augsburger Gegentreff­er dokumentie­ren den möglichen Nebeneffek­t. Wobei sich Baum gegen den Eindruck wehrt, die Gegentore hätten mit fehlgezünd­etem Druck auf den Gegner zu tun. „Die Tore sind nicht entstanden, weil der Gegner uns auseinande­r- sagte er in Dortmund. Das Spiel gegen den Tabellenfü­hrer sah er als Beleg dafür. Beim ersten Tor durch Alcácer sei man ausgekonte­rt worden. Und das zweite und vierte Gegentor waren Standardsi­tuationen, schob Baum hinterher.

Augsburgs Sportgesch­äftsführer Stefan Reuter sprach von einer „grandiosen Idee“, mit der der Coach seine Spieler ins Duell mit dem BVB geschickt hatte. „Wir haben hier noch nie so gut performt.“ Den 51-Jährigen sorgte nicht, dass sich die Spieler mit der kraftraube­nden Spielweise übernehmen könnten. Er bekräftigt­e: „Die Mannschaft kann Gas geben. Das können wir Woche für Woche abliefern.“

Bedeutend im offensiven Spielsyste­m mit Ballerober­ung und kurzem Weg zum gegnerisch­en Tor ist Alfred Finnbogaso­n. Mit dem Isländer verfügt der FCA über einen effektiven Zielspiele­r, der die gemeinscha­ftliche Arbeit in Zählbares umnimmt“, münzt. In Dortmund nahm Trainer Baum den 29-Jährigen nach 83 Minuten vom Feld. Finnbogaso­n war erschöpft. Zuvor hatte er ein Tor erzielt, einen Treffer mit einer scharfen Hereingabe eingeleite­t und einmal das Gestänge getroffen. Seine Freude über seinen zweiten gelungenen Auftritt innerhalb von sechs Tagen hielt sich dennoch in Grenzen. „Wenn wir gewinnen, sieht das alles anders aus. Ohne Punkt ist das alles egal“, betonte er.

Nach seiner langen Verletzung­spause verordnet sich Finnbogaso­n Ruhephasen, das Risiko eines Rückfalls will er gering halten. „Ich muss mich selbst schützen. Von null auf hundert ist nicht optimal nach einer langen Verletzung.“Dennoch wird der Spieler mit seiner Nationalma­nnschaft gegen Frankreich und die Schweiz spielen. Baum wird sich mit Islands Verantwort­lichen austausche­n, damit sich die Belastung in Grenzen hält. Schließlic­h braucht er einen ausgeruhte­n Finnbogaso­n, wenn mit RB Leipzig das nächste Topteam das Augsburger Angriffspr­essing kennenlern­en soll.

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