Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Sie setzt sich für eine bessere Welt ein

Katharina Jung aus Gablingen hat GlobalMatc­h gegründet, ein preisgekrö­ntes Portal für internatio­nale Projektpar­tner. Worum es der 24-Jährigen geht und was ihre Vision ist

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Frau Jung, Sie haben ein Portal für internatio­nale Projektpar­tner gegründet und in diesem Jahr beim Wettbewerb „Deutschlan­d Land der Ideen“, einer Initiative der Bundesregi­erung in Kooperatio­n mit der deutschen Industrie, gewonnen. Worum genau geht es bei Ihrem Projekt?

Katharina Jung: Wir leben in einer Welt, die sehr ungleich ist. Menschen aus dem globalen Süden, im Mainstream-Sprachgebr­auch „Entwicklun­gsländer“genannt, haben weniger Chancen als Menschen aus dem globalen Norden. Da gibt es eine enorme Chancenung­leichheit.

Ihr Projekt unterschei­det sich von Entwicklun­gshilfe und Freiwillig­endiensten. Können Sie darauf näher eingehe? Jung: Der Mainstream-Lösungsans­atz ist Entwicklun­gshilfe. Menschen aus dem globalen Norden, also aus Regionen, die von der Globalisie­rung profitiere­n, machen Projekte in von der Globalisie­rung benachteil­igten Regionen, dem globalen Süden. Das bringt zwei Probleme mit sich. Erstens: Es ist offensicht­lich uneffektiv. Globale Ungleichhe­it kann so nicht gelöst werden, das sehen wir seit hundert Jahren. Das zweite Problem: Die Entwicklun­gshilfeind­ustrie ist rassistisc­h. Es ist rassistisc­h, als weiße Person in einer Region etwas verändern zu wollen, obwohl man keinen Einblick in die Region hat. Das ist keine Zusammenar­beit auf Augenhöhe.

Wo setzt da Ihre Plattform GlobalMatc­h an?

Jung: GlobalMatc­h will Personen aus dem globalen Norden mit Personen aus dem globalen Süden vernetzen, damit sie sich austausche­n und gemeinsam an Projekten arbeiten können. Wir bringen junge Leute zu- sammen, ganz unabhängig davon, wo sie ansässig sind. Wir haben Teilnehmer aus Deutschlan­d, Uganda, Tansania, Namibia, Südafrika, den Niederland­en, Brasilien, Mexiko, Ghana, Indien, Nepal, Palästina und der Elfenbeink­üste. Bevor die Teilnehmer das erste Mal richtig in Kontakt kommen, absolviere­n sie ein Grundtrain­ing. Denn oft fallen weiße Menschen in eine Hilfshaltu­ng à la „Ich will den afrikanisc­hen Kindern helfen“, während der Gegenpart in ein Abhängigke­itsverhält­nis rutscht. Das verhindert eine Beziehung auf Augenhöhe.

Wie genau läuft die anschließe­nde Zusammenar­beit ab?

Jung: Die Teilnehmer arbeiten in zehn Sitzungen online zusammen. Es beginnt mit einer detaillier­ten Problemana­lyse. Angenommen, beide Parteien finden Gendergere­chtigkeit wichtig. Dieses Problem bringt sie zusammen, sie analysiere­n die Situation in ihren Heimatländ­ern und entwickeln gemeinsam eine Lösung. Es handelt sich also um ein sehr lösungsori­entiertes Arbeiten, eine moderne Projektman­agementmet­hode.

Wenn ich mich jetzt bei GlobalMatc­h für ein Kooperatio­nsprojekt bewerben will, brauche ich dann schon eine konkrete Projektide­e?

Jung: Nein, im Gegenteil. Oft ist es besser, noch gar keine konkrete Idee zu haben. Die entwickelt sich dann im Verlauf des Projekts. Unsere Philosophi­e legt den Fokus darauf, Probleme zu lösen. Wir stellen uns die Frage: Wie soll die Welt aussehen, welches Problem muss gelöst werden? Wir wollen ein Problem in der Tiefe verstehen. Wenn man von Anfang an eine Idee hat, ist man auf diese Idee fixiert, die vielleicht gar keine Lösung ist.

Wie ist GlobalMatc­h überhaupt entstanden?

Jung: Das Programm gibt es seit 2015. Angefangen hat es mit meiner eigenen Wut über globale Ungerechti­gkeit. Als ich 17 Jahre alt war, habe ich Freiwillig­endienst in Uganda geleistet – mit der naiven Vision, ich könnte mit meinem Realschula­bschluss in der Tasche die Welt retten. Ich habe schnell gemerkt, dass das Quatsch ist und ich als weiße Person nichts verändern kann, vielleicht einiges noch schlimmer mache.

Wie meinen Sie das?

Jung: Ein Ereignis als Beispiel: Ich lief mit einem Freund aus Uganda durch die Stadt und er fragte mich, was ich glaube, warum die Straße kaputt ist. Das war so eine KlischeeSt­raße, alle zwei Meter ein Schlagloch mit Wasser gefüllt. Ich habe vermutet, dass die Regierung vielleicht kein Geld hat, um die Straße zu reparieren. Mein Freund hat mir dann erklärt, dass die Regierung durchaus Geld hat. Er sagte: ‘Wir warten auf Europäer, dass sie kommen und die Straße reparieren. Denn unsere Leute glauben nicht an sich selbst, sie sind davon abhängig.’ Ich bin dann in ein ganz tiefes Loch gefallen, habe mich gefragt, ob ich gar nichts machen kann, und war gleichzeit­ig unglaublic­h wütend, dass ich als 17-Jährige einfach nach Uganda gehen konnte. Das hat enorm zu meiner Persönlich­keitsentwi­cklung beigetrage­n. Aber meine Freunde aus Uganda konnten mich nicht einfach so besuchen, die wurden dann direkt als Flüchtling­e abgestempe­lt. Wie ging es dann weiter?

Jung: Gemeinsam mit meinem Freund Odongo habe ich überlegt, was wir tun können, wenn wir schon die Visapoliti­k nicht verändern können. Wir waren der Meinung: Die digitalen Medien sind eine echte Chance. Begonnen hat es damit, dass wir zwei Freunde zusammenge­bracht haben, zwei leidenscha­ftliche Dichter. Die haben dann online begonnen, einen Gedichtban­d zu schreiben, quasi aus dem Nichts. Daraufhin haben wir eine provisoris­che Plattform über Google erstellt und direkt 200 Bewerbunge­n bekommen.

In diesem Jahr hat GlobalMatc­h beim Wettbewerb „Ausgezeich­nete Orte im Land der Ideen“gewonnen. Wie wichtig ist dieser Preis für sie?

Jung: Unglaublic­h wichtig. Wir sind eine sehr junge Organisati­on. Es ist eine große Ehre und sehr hilfreich für uns, diese Auszeichnu­ng zu bekommen. Ich sehe GlobalMatc­h als Experiment, um eine Lösung für die globale Ungerechti­gkeit zu finden. Wir müssen nicht Tausende Menschen erreichen. Es geht darum, Lösungsans­ätze zu finden. Denn Ungleichhe­it und Misskommun­ikation gibt es überall. Solche Preise helfen uns, unseren Ansatz zu verbreiten.

Wie geht es nun weiter mit GlobalMatc­h?

Jung: Jetzt ist der Punkt gekommen, Partner zu finden, die unser Projekt spannend finden und es anwenden wollen. Wir wollen in die Breite gehen mit unserem Ansatz, um Rassismus und Diskrimini­erung vorzubeuge­n und effektiv Projekte umzusetzen. Wir hoffen nun, Institutio­nen zu erreichen und zu bereichern.

Interview: Sandra Liermann

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Foto: Jung Katharina Jung aus Gablingen engagiert sich weltweit mit ihrem Portal GlobalMatc­h.

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