Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Märkte
Es gibt höhere Mächte, deren Walten der Mensch auf Erden ausgeliefert scheint. Messie und Mbappé sind solche Mächte, die Mode, Pizzadienste – oder das Wetter. Sonnenschein, Regen, Nebel: Wir müssen uns dem fügen, was der Himmel schickt. Zu den höheren Mächten, deren Launen in den Wirtschaftsteilen der Zeitungen mit sprachlichem Furor beschrieben werden, gehören zweifellos aber auch „die Märkte“.
Die Märkte sind ein ganz großer Player, ein globales Subjekt, das offenbar wie ein Mensch zu reagieren vermag, aber vollkommen unsichtbar bleibt, ganz unfassbar. Die Märkte sind, wenn sie uns einmal eine Atempause gönnen, „uneinheitlich“. Aber meistens sind sie wie eine Rasselbande Pubertierender – nämlich unberechenbar, labil, irrational, volatil. Märkte verdauen, Märkte drehen ins Plus und dann ins Minus, Märkte verlieren die Geduld, Märkte machen sich Sorgen, Märkte strafen ab, Märkte reagieren verhalten, Märkte ignorieren Gefahren, Märkte zeigen sich erleichtert, Märkte feiern, Märkte zittern, Märkte zweifeln, Märkte hoffen, Märkte stürzen ab, Märkte honorieren, Märkte interpretieren, Märkte misstrauen, Märkte verlangen, Märkte signalisieren, Märkte übertreiben.
Die Märkte treten fast immer im Plural auf. Das macht sie noch ungreifbarer und anonymer. Es ist noch niemandem gelungen, mit den Märkten ins Gespräch zu kommen. Wer sind die Märkte? Manchmal treten sie in Gestalt anderer Pluralgespenster auf wie „die Investoren“, „die Anleger“oder die „Akteure an den Finanzmärkten“– sind aber genauso ohne ladungsfähige Adresse. Mit einem einzelnen Markt kann man es aufnehmen, so versprechen manche Experten. „Schlagen Sie den Markt mit mentaler Stärke.“Aber die Märkte? Keine Chance. Sie sind zwar anfällig und oft nervös. Und wenn sie mal leiden, dauert es nicht lange, und sie erholen sich, suchen eine Richtung, der nächsten Übertreibung entgegen.