Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Viel Unruhe um verkehrsberuhigten Bereich
Oberste Behindertenbeauftragte will bei Neugestaltung des Rathausumfelds strenge Regeln. Warum sich die Ratsmitglieder selbst gegen einen Kompromiss aussprechen
Zusmarshausen Wohl selten hat ein neues „Baugebiet“im Herzen der Zusamgemeinde die Emotionen im Gemeinderat so hoch aufleben lassen. Im Mittelpunkt der Debatte standen eigentlich nur weniger Meter der Schulstraße, die im Rahmen der Umgestaltung des Rathausbereichs quasi ein anderes Gesicht bekommen soll. Der Grund war eine Intervention der Behindertenbeauftragten des Landkreises mit eindeutigen Vorstellungen zur Berücksichtigung von Menschen mit Handicap. Dass diese selbst dem örtlichen Vertreter zu weit gingen und sogar polizeilich abgelehnt wurden, gehörte zu den besonderen Aspekten des Abends bei der vergangenen Gemeinderatssitzung.
An diesem war man sich im diskurserprobten Gremium später einzig und allein nur in der Frage einig, den runden Geburtstag von Ratsmitglied Karl Fischer endlich feiern zu wollen. Ansonsten führte eine lange Diskussion dazu, dass man an der bisherigen Planung mit einem gemeinsam genutzten Raum für Fußgänger, Radler und Autos nahe festhalten möchte und dort – wie in dem ganzen Ortsviertel – Tempo 30 gelten solle.
Kritik bekam vor allem Landschaftsarchitekt Robert Kerfers zu spüren. Bernhard Sapper ging den Fachmann hart an und monierte „das wenig schlüssige Konzept“etwa ohne Gehwege und Bordsteinkanten. „So etwas ist gefährlich.“Nachdem auch andere vor fehlenden Fußgängersteigen gewarnt hatten, erinnerte der Ingenieur an das einst beschlossene Konzept: „Gestalten können wir Ihnen alles, aber Sie wollten eine gemeinsam betriebene Verkehrsfläche mit gleichem Recht für alle.“Dafür jetzt einen Fußgängerstreifen anzulegen und zur klassischen Trennung von Straße und Bürgersteig zurückzukehren sei „kontraproduktiv“. Mehr noch: Sie werde zu schnellerem Fahren und damit mehr Unfällen verleiten.
Auch der Einrichtung eines mit blau-weißen Schildern gekennzeichneten verkehrsberuhigten Bereichs erteilte Planer Robert Kerfers eine deutliche Absage: „Das Rathaus ist ein zugänglicher, öffentlicher Bereich“und falle damit nicht in die Kategorie solcher Verkehrssituationen. Dabei wusste er mit der Verkehrspolizeiinspektion Augsburg einen achtbaren Mitstreiter an seiner Seite. Dort wurde nämlich das Ansinnen einer Person, die bei der Debatte gar nicht anwesend war, strikt abgelehnt. Die Beauftragte Eva Kurdas hatte zu einem Verzicht solcher (neudeutsch) „Shared-Space-Konzepte“geraten und sich für die striktere Regelung der Spielstraße ausgesprochen.
Den Ordnungshütern fehlte allerdings beim Rathaus das „deutliche Gewicht auf die nichtverkehrlichen Nutzungen von Aufenthalt und Spiel.“Ganz ernst gab sich der Behindertenbeauftragte der Marktgemeinde, Jürgen Winkler. Weil sich der junge Kommunalpolitiker bei der behindertengerechten Ortsgestaltung stets mächtig ins Zeug legt, wandte er sich mit leidenschaftlichen Appellen an die Kollegen. Denn ein „echtes Miteinander“könne es eigentlich nur mit der vom Landratsamt geforderten Zone geben. Allerdings lehnte Winkler die bei einem Kompromiss aller beteiligten Behörden vorgeschlagene Reduzierung auf zehn Kilometer pro Stunde in der Schulstraße genauso ab wie die Versuche Einzelner am Sitzungstisch etwa die geplanten Leitlinien für Sehbehinderte infrage zu stellen.
Jenseits aller Politik wurde jedoch die Frage thematisiert, ob eine Geschwindigkeit von zehn Stundenkilometern dort überhaupt durchgesetzt werden kann. „Das geht doch voll an der Realität vorbei“, sagte Johann Reitmayer. „Das kann ich mir nicht einmal vorstellen.“Harry Juraschek schon, der von guten Beispielen im Landkreis Dillingen berichtete.
Zehn Stundenkilometer an der Realität vorbei