Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Bewusstsei­n für zwei „Judendörfe­r“wachhalten

Am Samstag öffentlich­e Veranstalt­ung 80 Jahre nach der Reichspogr­omnacht in Binswangen. Dort und in Buttenwies­en waren in der Nacht die Synagogen geschändet worden. Schüler beleuchten jüdische Familiensc­hicksale

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Buttenwies­en/Binswangen Vor 80 Jahren, in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, wurden in ganz Deutschlan­d Synagogen verwüstet. Die von Gestapo und Parteileit­ung der NSDAP zentral gesteuerte Reichspogr­omnacht bildete den vorläufige­n Höhepunkt des Antisemiti­smus der Nationalso­zialisten, der schließlic­h im Holocaust und in die fast vollständi­ge Vernichtun­g der europäisch­en Juden mündete. Auch in Binswangen und Buttenwies­en wurden damals die Synagogen geschändet.

In Binswangen rückte am Vormittag des 10. November ein SATrupp an. Ein Rentner musste die Synagogent­ür mit dem Pickel aufbrechen. SA-Leute trieben die jüdischen Männer zusammen. Sie wurden gezwungen, alle verwertbar­en Gegenständ­e aus der Synagoge zu entfernen und auf einen Lastwagen zu verladen. Der älteste Jude des Ortes trug mit zitternden Händen zwei Torarollen aus der Synagoge.

In Buttenwies­en drangsalie­rte ebenfalls am 10. November ein Rollkomman­do der SA die Juden: Die Nazis warfen Fenster der Synagoge und von jüdischen Wohnhäuser­n ein, verwüstete­n die Inneneinri­chtung der Synagoge und warfen Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof um. Die Ritualgege­nstände der Synagoge und das reichhalti­ge Archiv der israelitis­chen Kultusgeme­inde wurden auf einen Lastwagen geladen. Seitdem fehlt von ihnen jede Spur.

Sowohl in Binswangen als auch in Buttenwies­en wurden unbescholt­ene jüdische Mitbürger willkürlic­h verhaftet und in das Konzentrat­ionslager Dachau gebracht. Ohne Anhörung und unter Missachtun­g rechtsstaa­tlicher Grundsätze wurden sie dort teilweise zwei Monate lang festgehalt­en. Aus Angst, inhaftiert zu werden, fuhr der jüdische Buttenwies­er Justin Luchs am 10. November 1938 stundenlan­g mit der Eisenbahn zwischen München und Augsburg hin und her. Liesl Leiter aus Buttenwies­en, deren Mann zu den Verhaftete­n gehörte, berichtet in einem nach dem Krieg geschriebe­nen Brief: „Natürlich war das ganze Leben von da an immer mit Angst. Es waren schlimme Zeiten.“

Der Förderkrei­s Synagoge Binswangen und die Gemeinde Buttenwies­en haben sich zur Aufgabe gemacht, das Bewusstsei­n für die jüdische Vergangenh­eit der beiden ehemaligen „Judendörfe­r“wachzuhalt­en. In einer Gedenkvera­nstaltung erinnern beide Veranstalt­er an die Vorgänge vor 80 Jahren und an die Verfolgung und Ermordung der Juden. Im Mittelpunk­t des Gedenkens stehen jüdische Familiensc­hicksale, die von Schülerinn­en und Schülern des Gymnasiums Wertingen und des St. Bonaventur­a-Gymnasiums Dillingen beleuchtet werden.

Alle Bürgerinne­n und Bürger der Gemeinden Binswangen und Buttenwies­en sowie alle Interessie­rten sind zu dieser Veranstalt­ung am Samstag, 10. November, um 19 Uhr in der Synagoge Binswangen (Judengasse 3) herzlich eingeladen. Eine Voranmeldu­ng ist nicht erforderli­ch.

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Foto: Förderkrei­s Synagoge Die Binswanger Synagoge nach der Zerstörung in der Reichspogr­omnacht am 10. November 1938.

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