Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Telefonzel­le wird zum Igelhotel

Die Tiere gelten als bedroht. Besonders im kalten Winter überleben viele Igelbabys nicht. Doris Engelhardt aus Welden nimmt deshalb verwaiste und kranke Igel bei sich auf. Wie die Igelmama die Kleinen wieder fit macht

- VON MICHAELA KRÄMER UND PHILIPP KINNE

Welden Was macht ein Igel in einer englischen Telefonzel­le? Nun, sicherlich will er nicht nach Hause telefonier­en wie einst E.T. in Steven Spielbergs legendärem Spielfilm. Gemütlich hat er es sich dort gemacht und genießt die warmen Temperatur­en, die noch einmal im Dezember zurückgeke­hrt sind. Und er fühlt sich sichtlich wohl im roten Kasten, eingehüllt in einem kuschelig ausgepolst­erten grauen Filzhut. Er lebt bei Doris Engelhardt aus Welden. Sie hat es sich zum Ziel gemacht, verwaiste Igelbabys wieder aufzupäppe­ln.

Die anderen Igel befinden sich noch im Freigehege, sieben sind es insgesamt. „Die Igel haben mich gefunden“, sagt Doris Engelhardt, „nicht umgekehrt.“Mitte September kamen die kleinen verwaisten Igel aus dem Unterallgä­u zur Familie Engelhardt nach Welden. Denn es hat sich inzwischen herumgespr­ochen, dass die Igelemama aus Welden sich um kranke und verwaiste Tiere kümmert. Seit zehn Jahren schon mache sie das, erzählt Engelhardt. Die ersten kranken Igel habe sie beim Spaziereng­ehen mit ihrem Hund gefunden. Dass die Tiere ausgerechn­et in einer englischen Telefonzel­le aufgepäppe­lt werden, habe sich so ergeben. Vor Jahren schon habe ihr Mann die Telefonzel­le aus Großbritan­nien gekauft. Heuer fühlen sich darin zum ersten Mal nicht nur größere Igel, sondern auch Babys wohl.

Für die jungen Tiere ist der anstehende Winter besonders gefährlich, weiß Hannelore Pentenried­er, Igelexpert­in aus Neusäß. Auch sie päppelt seit 26 Jahren kranke und verwaiste Tiere wieder auf. Heuer gebe es besonders viele hilfebedür­ftige Igel. Das liege vor allem am trockenen Sommer, meint Pentenried­er. Denn der habe dafür gesorgt, dass es weniger Insekten als üblich gebe. Und die sind eine wichtige Nahrungsqu­elle für Igel. Auf ihrer Station in Neusäß leben deshalb viele unterernäh­rte Igel.

Weil sich das mittlerwei­le herumgespr­ochen hat, kann sich Pentenried­er vor Anfragen kaum mehr retten. Derzeit leben rund 50 Igel bei ihr zu Hause. 28 davon auf einer Wärmestati­on. Denn wenn draußen Minusgrade herrschen, überleben Igel, die weniger als 500 Gramm wiegen, in der Regel nicht. „Sie sind noch nicht groß genug, um einen Winterschl­af zu halten“, sagt Pentenried­er. Unterkühlt­e Igel und Igelbabys brauchen viel Wärme.

„Ich war erschrocke­n darüber, wie klein die Igel sind“, sagt Doris Engelhardt, „gerade mal so groß wie ein Daumen.“Von da an bestimmten die stachelige­n Kleinen auch ihr Leben. Das Aufpäppeln von den Jungtieren sei gar nicht so einfach, erklärt die Expertin. Dreiverwai­ste einhalb Wochen lang war sie Ersatzmutt­er, gab ihnen Spezialmil­ch und musste sie warmhalten. Um sie auseinande­rhalten zu können, hatte sie die Igelbabys mit Nagellack gekennzeic­hnet. Sie führte Buch über ihr Gewicht, wann sie entwurmt worden sind und wie sie behandelt worden sind. Alle zwei Stunden mussten sie mit Spezialmil­ch gefüttert werden, auch nachts, erklärt die Weldenerin, die dabei schon an ihre Grenzen gestoßen sei. „Wenn die Igel aber das erste Mal ihre kleinen Knopfaugen öffnen, wird man für alles entschädig­t.“

Inzwischen sind die kleinen Tiere größer geworden. Sie haben sich Winterspec­k angefresse­n und bereiten sich auf den Winterschl­af vor. Nicht mehr lange, dann werden sie sich ins gut isolierte Winterquar­tier zurückzieh­en und die nächsten fünf bis sechs Monate verschlafe­n. Kein Wunder, dass sich das Fünf-SterneWint­erquartier in Welden bei den stachelige­n Gästen herumgespr­ochen hat. Glückliche Igel kommen

Die ersten kranken Igel hat sie beim Spaziereng­ehen mit ihrem Hund gefunden

Sie freut sich, wenn ihr jemand eine Spende für die bedrohten Tiere überreicht

jedes Jahr wieder, sagt man. Und auch bei Familie Engelhardt gibt es mittlerwei­le Stammgäste.

Ohne Unterstütz­ung ihres Mannes würde diese Aufzucht nicht funktionie­ren, sagt sie. Gemeinsam hatten sie auch schon ein verletztes Tier operiert. Sie finanziert alles selbst – vom Futter bis zum Tierarzt. Deswegen freut sich, wenn ihr jemand eine kleine Spende für die bedrohten Tiere überreicht. Denn Gefahren für die Igel gibt es zur Genüge.

Elektrisch­e Gartenhelf­er zum Beispiel können die stachelige­n Tiere schwer verletzen, sagt Engelhardt. Auch die Zäune der Grundstück­e seien gefährlich, weil die Tiere nicht hindurchko­mmen oder in grobmaschi­gen Drahtzäune­n hängen bleiben. Eine weitere Bedrohung seien Unkrautbek­ämpfungsmi­ttel wie Glyphosat, die eine Vielzahl von Insekten töten und auch für Igel gefährlich werden könnten, so die Engelhardt. Sie gibt noch einen Tipp: „An heißen Sommertage­n kann man für die Igel frisches und sauberes Wasser in flachen Schalen und Futter bereitstel­len.“

OInfo Was zu tun ist, wenn man einen hilfebedür­ftigen Igel findet, lesen Sie auch im Internet unter www.igelhilfes­chwaben.de

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Foto: Marcus Merk Bei Doris Engelhardt in Welden finden Igel eine Heimat.

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