Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Der innere Raum des Göttlichen
Der Bildband „Ins Licht gebaut“würdigt die neu gestaltete Moritzkirche Augsburg. Eine Spurensuche, welche Überlegungen den Londoner Designer John Pawson angeleitet haben
Binnen kurzer Zeit wurde die neue Moritzkirche in Augsburg zu einer Ikone eines Sakralraumes für das 21. Jahrhundert. Nahezu vollkommen weiß hat sie der Londoner Architekturdesigner John Pawson gestaltet und damit die mittelalterliche Bauform in ihrer Substanz spirituell ungemein modern zum Sprechen gebracht. Zum tausendjährigen Jubiläum von St. Moritz ist nun ein Bildband (mit deutsch/englischem Text) erschienen, den Kunstfreunde schon für überfällig hielten.
„Ins Licht gebaut“lautet der treffende Titel. Passend dazu zitiert Sabine Stötzer die vierzehnjährige Valerie: „Wenn man durch die Tür geht, fühlt man sich wie im Himmel, wie in den Wolken. Da ist ein Licht, das ins Weite führt.“Stötzer spricht vom Übergang in eine innere Bewusstseinswelt – „von materiellen Gegebenheiten in imaginäre und geistige Vorstellungen“. Der Raum führe in ein Einhalten und Stillesein, er beruhige und richte auf ein „ansonsten nicht bewusstes, ungreifbares Geheimnis“aus, woher und wohin es mit der Welt und uns gehe.
Diese Wirkung erzielt John Pawson insbesondere durch Leere. Der Engländer mutet dem Besucher einen weiten Raum mit Decken und Wänden weitgehend ohne Schmuck und Ornament zu. „Diese Phänomene der Moritzkirche – Leere, Einfachheit und Licht – führen in die Tiefe christlicher, ja universaler Mystik und Spiritualität“, schreibt Ulrich Hörwick in dem Bildband. Alle drei Elemente seien Schlüssel zu inneren Räumen, in die das Göttliche einströmen kann. Hörwick weist darauf hin, dass in der Regel Kirchenräume nicht zur Leere neigen, vielmehr sich im vollen Ornat der zeitgenössischen Kunst zeigen – mit aufwendiger Formensprache in Architektur, Skulpturen, Gemälden, liturgischen Geräten und Gewändern bis hinein in die für sie komponierte Musik.
Selten ringen sich Erbauer sakraler Räume zur radikalen Einfachheit durch, um, wie Meister Eckhart es formuliert, „Gott quitt“zu werden und alle Bilder von Gott abzulegen – bis hinein in den Herzensraum. Solche Gedanken sind es, die den Band über die reine Beschreibung der architektonischen Raffinesse der Mo- ritzkirche hinaus gehaltvoll machen. Bezieht sich doch John Pawson selbst in seinen Gestaltungsprinzipien auf die alten Lehrer christlicher Spiritualität. Über die französische Zisterzienserarchitektur schrieb Pawson, „die Bögen scheinen nicht aus Stein errichtet, sondern so, als wären sie aus purem Licht geschaffen“. Deren Ordensgründer Bernhard von Clairvaux verglich immerhin die Annäherung der Seele an das Göttliche mit der Schau der Sonne; so wenig man abrupt und direkt das Sonnenlicht schauen kann, so wenig erschließt sich Gott auf einmal. „Hinzutreten muss man also zu ihm, nicht hinstürmen, damit man nicht von dem Glanz überwältigt wird.“
Ebenso gemächlich näherten sich Architekt und Pfarrgemeinde der Neugestaltung der Moritzkirche an. Alison Morris erinnert sich an ein „poetisches Handbuch“, das seinerzeit aus Augsburg in London eintraf. Für John Pawson habe eine archäologische Arbeit begonnen, denn bei der ersten Begegnung mit der Moritzkirche fand er „Fragmente, die von Visionen und Revisionen berichteten“, vor. Sowohl menschliche als auch schicksalhafte Eingriffe hatten die Kirche ihrer Rhythmik beraubt und visuelle Ablenkungsfaktoren zunehmen lassen.
Die Neugestaltung verfolgte mithin das Ziel, der Kirche und ihren Nebengebäuden neue Klarheit und Kohärenz zu verleihen. Die lang gestreckte, schmale Form der Wegekirche stellte die Aufgabe, den Blick nach vorn zu lenken, dorthin, wo sich Priester und Altar befinden und wo die Apsis den Fluchtpunkt bildet. Pawson realisierte dies, indem er Georg Petels Barockfigur des entgegenkommenden Christus Salvator in die Apsis platzierte und mit einer Fülle diffusen, weißen Lichts durch die schmal-hohen Fenster umgab.
In zahlreichen Fotografien illustriert der Bildband diesen Raumeindruck und lädt zur Entdeckung seiner wohl abgestimmten Details ein. Ausgespart ist freilich der kürzlich eröffnete neue Kreuzgang Pawsons. Dieser gestalterische Wurf ist sicher noch einen Bildband wert.
» Ins Licht gebaut. John Pawsons Neugestaltung der Moritzkirche in Augsburg. Hrsg. von Helmut Haug, Ulrich Hörwick, Uwe Schlenz, Sabine Stötzer. Hirmer, 120 Seiten, 39,90 Euro