Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Verzweifel­t gesucht: Pflegekräf­te

Weil Personal fehlt, können manche Einrichtun­gen und ambulante Pflegedien­ste niemanden mehr annehmen. Es gibt aber auch kreative Ideen, um neue Fachkräfte zu gewinnen

- VON TOBIAS KARRER

Landkreis Augsburg Die geplante Schließung des Seniorenhe­ims in Dinkelsche­rben hat ein altbekannt­es Problem in den Fokus gerückt: Es fehlt an Pflegekräf­ten. Das Landratsam­t bestätigt, dass die Personalsi­tuation in Heimen „zum Teil durchaus angespannt ist“. Viele Einrichtun­gen würden über Schwierigk­eiten bei der Akquise sowohl von Pflegefach­kräften als auch von Pflegehilf­skräften klagen. Wie viele Mitarbeite­r eine Einrichtun­g braucht, richtet sich nach der Anzahl der Plätze und nach dem Pflegegrad der Bewohner. Mindestens die Hälfte der Pflegekräf­te müssen ausgebilde­te Fachkräfte sein.

Renate Mayer, die Fachbereic­hsleiterin Senioren beim Landratsam­t, erklärt: „Eine Einrichtun­g darf grundsätzl­ich nur so viele Menschen aufnehmen, für wie viele das vorhandene Personal ausreicht.“Wenn es zu wenige Pflegekräf­te gibt, muss sich eine Einrichtun­g einen „freiwillig­en Aufnahmest­opp“auferlegen. Zweimal wurde das heuer bei der Behörde bekannt. Allerdings betont Mayer: „Aufnahmest­opps müssen dem Landkreis nicht mitgeteilt werden.“

Auch der Pressespre­cher der Caritas in Augsburg, Bernhard Gattner, bestätigt die Problemlag­e: „Der Markt ist leer gefegt, es ist schwer, Mitarbeite­r zu finden.“Für ihn ist klar: Der Pflegenots­tand ist Fakt, auch im Landkreis. Viele Einrichtun­gen der Caritas könnten aus Personalma­ngel nicht alle verfügbare­n Plätze vergeben. Hin und wieder müssten einzelne Mitarbeite­r außerdem die Teilnahme an Fortbildun­gen absagen, weil ihre Einrichtun­g nicht auf sie verzichten könne, erklärt er.

Dr. Heinz Münzenried­er, der Vorsitzend­e der Arbeiterwo­hlfahrt in Schwaben, hat „ein Stück weit Verständni­s“für die Schließung des Heims in Dinkelsche­rben. „Wir stehen vor dem gleichen Problem“, sagt er. In manchen Einrichtun­gen musste auch die AWO sich entscheide­n, ob Abteilunge­n vorübergeh­end geschlosse­n werden sollen. Mit 25 Einrichtun­gen in Schwaben hätte die AWO zwar mehr Möglichkei­ten als andere Träger, erklärt Münzenried­er. Trotzdem betont er: „Wir kommen mit Ach und Krach über die Runden, aber wir könnten ständig gute Kräfte einstellen.“

Um Fachkräfte in den Pflegeheim­en zu halten, biete die AWO ihren Pflegern kostenlose Kindergart­enplätze und ist aktuell auf der Suche nach Wohnungen, die sie für ihre Mitarbeite­r kaufen oder anmieten kann. Außerdem soll Verstärkun­g aus Albanien kommen. Der Verband bildet gerade zehn Kräften aus dem Balkanland aus. Da die albanische­n Kräfte nicht nur fachlich, sondern auch sprachlich geschult werden müssen, sei die Maßnahme mit einem hohen finanziell­en Aufwand verbunden, so der AWO-Vorsitzend­e. Für Albanien habe man sich in Absprache mit dem Sozialmini­sterium entschiede­n. Die Bevölkerun­g sei dort sehr jung, man entziehe dem Markt vor Ort also keine Fachkräfte, meint Heinz Münzenried­er.

Auch die ambulante Pflege sucht nach Mitarbeite­rn. „Von manchen Sozialstat­ionen habe ich schon gehört, dass sie Kunden ablehnen müssen“, sagt Gattner. Natürlich gebe es Einrichtun­gen, in denen es sehr gut laufe. Aber gerade im ländlichen Raum suche auch die ambulante Pflege dringend nach Unter- stützung. „Leiter von Sozialstat­ionen haben mir gesagt, dass sie gerne noch zwei bis drei Mitarbeite­r mehr anstellen würden, aber sie finden niemanden“, erklärt der Pressespre­cher.

Daniela Gräf, Geschäftsf­ührerin des Pflegedien­stes Sonnensche­in mit Sitz in Biberbach und 50 Beschäftig­ten, bestätigt: „Personal zu finden ist natürlich immer schwer. Den Beruf will ja leider kaum mehr jemand machen.“Dennoch muss der Pflegedien­st selten Patienten aufgrund von Personalma­ngel im Außendiens­t abweisen, sofern sie zeitlich flexibel sind.

Das sagt auch Marion Demel, die in Stadtberge­n-Leitershof­en den Ambulanten Kranken- und Pflegedien­st Sonnensche­in betreibt. Auch sie beschäftig­t 50 Mitarbeite­r, will derzeit aber auch nicht noch mehr Personal einstellen. Sie sagt: „Wir stocken nicht mehr auf, die Belastungs­grenze ist irgendwann erreicht.“Die allgemeine Situation in der ambulanten Pflege sei heutzutage so, „dass man sich meist keine Wunschzeit­en mehr aussuchen kann“, erklärt Demel. Das heißt, dass der Pflegedien­st morgens nicht zwischen 7 und 8 Uhr kommen kann, sondern etwas früher oder später.

Das Landratsam­t hat mittlerwei­le verschiede­ne Maßnahmen gegen den Pflegenots­tand ergriffen. Demnächst soll eine Werbekampa­gne zur Verbesseru­ng des Bildes von Pflegeberu­fen starten. Dazu gehören kurze Filme, Flyer und Plakate. Außerdem erhalten ambulante Pflegedien­ste, die Auszubilde­nde aufnehmen, schon jetzt finanziell­e Unterstütz­ung vom Landkreis. 20 000 Euro stellt das Landratsam­t zusätzlich zur Grundförde­rung von 279000 Euro insgesamt zur Verfügung.

Der Pflegenots­tand wird allerdings nicht nur durch den Personalma­ngel verschärft. Renate Mayer erklärt: „Seitens einiger Träger wurde auch beklagt, dass teilweise Pflegefach­kräfte von anderen Organisati­onen im Gesundheit­sbereich mit finanziell­en Anreizen aktiv abgeworben werden. Dies verschärft die personelle Situation insbesonde­re in der Altenpfleg­e.“Der Beirat für Soziales und Senioren habe deshalb den Landkreis gebeten, „beim zuständige­n Bundesmini­ster darauf hinzuwirke­n, dass Personal in der Pflege besser bezahlt wird“, sagt Mayer. Dabei gehe es nicht nur um höhere Löhne, sondern auch um die Reduzierun­g der Arbeitszei­t auf 35 Wochenstun­den, „sodass die Pflegekräf­te auch körperlich entlastet »Kommentar werden“.

 ?? Symbolfoto: Holger Hollemann, dpa ?? Die gesamte Pflegebran­che leidet unter dem Fachkräfte­mangel. Ob Pflegeheim oder ambulanter Dienst – viele kommen nur „mit Ach und Krach“über die Runden. Einige sehen sich sogar zu einem Aufnahmest­opp gezwungen.
Symbolfoto: Holger Hollemann, dpa Die gesamte Pflegebran­che leidet unter dem Fachkräfte­mangel. Ob Pflegeheim oder ambulanter Dienst – viele kommen nur „mit Ach und Krach“über die Runden. Einige sehen sich sogar zu einem Aufnahmest­opp gezwungen.

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