Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Mit dem Tandem einmal um die Welt
Ein junges Ehepaar aus der Jakobervorstadt radelt um den Globus. Nicht mit dem Auto unterwegs zu sein, sei ein Vorteil, sagen sie. Doch manche Vorfälle lassen sich nicht vermeiden
Was der 32-jährige Cedric und die 30-jährige Cassie auf dem Tacho ihres silbernen Gefährts haben, übersteigt wohl die jährlich gefahrenen Kilometer der Meisten. Dennoch hat das Paar aus der Jakobervorstadt keinen Benz oder einen amerikanischen Schlitten. Sondern ein originelles Tretmobil, dem man die geleisteten Distanzen von allein im letzten Jahr 17000 Kilometern ansieht. Das Tandem lagert derzeit unweit der Fuggerei in einem Kellerabteil. Cedric, der wie seine Ehefrau seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will, schließt die schmucklose, hölzerne Lattentür bereitwillig auf. Dahinter im Halbdunkel: Ein Bike für Zwei, an dessen Rahmen noch ein Rest Erde klebt. Erde, die es möglicherweise um den halben Globus herum an diesen Ort geschafft hat. Vorne entpuppt sich das Gefährt als bequemes Liegerad mit horizontaler Tretvorrichtung. Der Hintermann sitzt hingegen so senkrecht, wie man das bei einem Tandem eben erwartet. „Auf großen Touren hängt außerdem noch ein einrädriger Trailer mit dran, auf dem der Großteil unseres Gepäcks verstaut ist“, erklärt der Mann aus Toulouse, den es 2011 nach Deutschland verschlagen hat.
Für Leute, die das mit der Nutzlast genau wissen wollen, hat der Neu-Schwabe auf seiner englischsprachigen Homepage: www.talkiewalkie.us „sämtliche meist sehr kleinen Teile fotografiert“.
Vor diesem Haus hat eine ehrgeizige Tour im Januar 2018 begonnen. Und hier hat sie etwa eine Woche vor Weihnachten auch pünktlich wieder geendet. Eine spontane Idee war das Ganze nicht. „Schon auf der Schule in Frankreich habe ich mit meinem Kumpel Olivier beschlossen, später überall mal auf dem Erdball hinzukommen“, sagt Cedric. „Und zwar auf dem Tandem.“Die Vorteile dieser Art der Fortbewegung lagen schon für die Jugendlichen damals auf der Hand. Beim ruhigen Dahingleiten hat man einfach mehr Zeit, die Gegend zu genießen. Mit Kumpel Olivier verbindet den Augsburger bis heute eine dicke Freundschaft. So durchquerten sie 2012 monatelang zusammen die Türkei. Zwei Jahre später begleitete Cedric seinen Reisepartner auf einer Tour mit dem Drahtesel von Marokko nach Südafrika. „Zweimal für je drei Wochen“, sagt Cedric. Einmal in Senegal und Gambia sowie ein weiteres mal in Simbabwe.
Wer die Strecke von vor einigen Jahren nachempfinden möchte, bekommt online einen guten Eindruck. Auf der Homepage des Fran- findet sich eine Karte, auf der sehr viele Länder blau eingefärbt sind: Hier ist er überall schon gewesen, inzwischen meist zusammen mit seiner Frau. Zu zweit auf dem Tandem sei so ein oft mehrwöchiger Abstecher in die Weltgeschichte sogar sicherer als im Auto, glaubt Cedric. Motorisiert und auf vier Rädern werde man häufig von der Polizei angehalten – was in einigen Gegenden bedeute, das eine oder andere Bestechungsgeld zahlen zu müssen. Außerdem: Ihr rollender Untersatz lässt sich, im Gegensatz zum Auto, schnell in seine Einzelteile zerlegen und verschicken. Für ihren ambitionierten Trip in 2018 landete das Rad in einer geräumigen Kiste und durfte für 100 Euro mitfliegen.
Zusätzlich an Bord waren daneben auch fünf Kilo Ersatzteile; kleinere Zwischenfälle lassen sich kaum vermeiden. Mal zickt ein Reifen, oder eine Speiche quittiert den Dienst. „Etwa alle 5000 Kilometer ist eine neue Kette fällig“, schätzen die beiden. Von richtigen Unfällen blieben sie zum Glück bisher verschont.
Der erste Stop ihrer Tour hieß Neuseeland, wie Cassandra, so ist Cassies voller Name, erläutert. Anschließend hob ihr Flieger von Christchurch aus Richtung Melbourne ab. Auf einer Fähre ging es von hier aus nach Tasmanien und wieder zurück. Dann war wieder die eigene Muskelkraft gefragt, denn Cedric und Cassie nahmen die Distanz von der Südostküste Australiens nach Brisbane per Rad in Angriff. Dort angekommen, folgte erst mal ein weniger anstrengender Teil. Drei Wochen kreuzten die Frau aus den USA sowie der Franzose mit dessen Eltern per Mietwagen über den Kontinent.
Während dieses Jahres im Ausland verschlug es die Abenteurer zumeist auf Campingplätze. Manchmal boten ihnen auch Bauern oder Privatleute an, bei ihnen zu übernachten. Die Australier haben es dem Duo besonders angetan: „Wenn wir eigentlich im Garten zelten wollten, hieß es dort überall: ,Kommt doch rein ins Haus‘.“Als besonders aufgeschlossen empfanden Cedric und Cassie die Leute auf dem Land. Daher versuchten die beiden Weltenbummler, Städte wie Sidney oder Melbourne nur kurz zu streifen. Dann zog es sie ihrer geplanten Strecke entlang weiter.
In Brisbane verstauten die zwei Wahl-Schwaben ihr geliebtes Doppelrad schon routiniert im Flieger. Los ging es nach Asien. Von Singazosen pur aus „radelten wir durch Malaysia zum nördlichen Teil von Thailand“, sagt Cassie. Die sich daran anschließende Strecke erlebten beide wieder „über den Wolken“, der Zielpunkt hieß Kasachstan. Von der kasachischen Metropole Almaty aus durch ging es durch Zentralasien. Sie kämpften mit den gewaltigen Steigungen des Himalayas; manchmal säumten riesige Steine den Weg oder versperrten diesen sogar. „Normalerweise bewältigten wir 70 Kilometer pro Tag“, sagt Cedric. „In Tadschikistan waren es dann nur vierzig.“Was vor allem auch am starken Wind lag, der Cassie und Cedric um die Ohren pfiff. Allen Widerständen zum Trotz, arbeiteten beide sich auf dem Tandem in die Osttürkei vor. Zur Belohnung stiegen sie dort Ende Oktober in einen Bus. Dieser chauffierte sie bequem zur griechischen Grenze.
Fast ein Jahr nach dem Start kehrten sie schließlich nach Augsburg zurück, wie die Internet-Fangemeinde über ihre Homepage erfuhr. Die Fuggerstadt haben die beiden inzwischen als ihren künftigen Fixpunkt adoptiert. Seit inzwischen sechs Jahren lebt die Wirtschaftingenieurin Cassie mittlerweile hier in Bayern. Man darf gespannt sein, welches Ziel die Amerikanerin und ihren Partner demnächst wieder aufs Tandem treibt.
An Bord hatten sie fünf Kilo Ersatzteile