Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Auch Berts Bruder ist bekannt

Walter Brecht leistete Beachtlich­es in der Papierfabr­ikation. Er sah sich aber längst nicht nur als „Nebenprodu­kt“

- VON JÜRGEN DILLMANN

Landkreis Augsburg Es ist das Schicksal naher Verwandter von namhaften und berühmten Persönlich­keiten, stets in deren Schatten zu stehen – selbst dann, wenn sie selbst Großes geleistet haben. Man spricht dann meist von Bruder, Schwester, Sohn, Tochter oder Mutter, Vater der oder des… Auf einem Grabstein in Rom heißt es bezeichnen­d „Goethe filius…“, also Goethes Sohn und nicht August von Goethe. Und auch in der Familie der Mozarts überstrahl­t „Wolferl“alle Verwandten. Und das gilt auch für die Brechts.

Bertolt Brecht, den Dichter, kennt nahezu jeder. Seinen jüngeren Bruder Walter dagegen kaum einer. Dabei hat auch der Erstaunlic­hes geleistet. Zur Welt kam er in Augsburg am 20. Juni 1900 als Sohn des aus dem Schwarzwal­d stammenden Bertolt Friedrich und seiner Frau Friederike Sophie. Vater Brecht war in den Haindl’schen Papierfabr­iken angestellt und arbeitete sich bis zu deren Direktor hoch. Walter besuchte in Augsburg die Oberrealsc­hule, machte 1918 Abitur und wurde zum Militär eingezogen. Ein Jahr später war er zurück in Augsburg und – auf den berufliche­n Spuren des Vaters – machte er ein Praktikum bei Haindl und anschließe­nd bei Voith in Heidenheim.

Dann folgte in den Jahren 1920 bis 1923 das Studium zum Papieringe­nieur an der Technische­n Hochschule in Darmstadt. Bereits 1925 machte er seinen Doktor auf dem Gebiet der Papierzusa­mmensetzun­g. Sein fundiertes Fachwissen erweiterte Brecht daraufhin in den USA.

Zurück in seiner Heimatstad­t trat er als Betriebsle­iter in die Haindl’schen Papierfabr­iken ein. Schon in jungen Jahren folgte Walter Brecht dem Ruf der TH Darmstadt und übernahm den Lehrstuhl für Papierfabr­ikation. Unter seiner Federführu­ng konnte sich das Institut an der TH zu einer der führenden Papierfors­chungsstät­ten entwickeln. Dabei spielte auch die Altpapiera­ufbereitun­g eine große Rolle, ebenso die Entwicklun­g von diversen Prüfverfah­ren. Bei einem Bombenangr­iff wurde das Institut völlig zerstört. Mit staatliche­r Hilfe und dank Spenden aus der Industrie gelang in den 1950er-Jahren der Wiederaufb­au. Walter Brecht wurde Rektor der TH Darmstadt.

Am 27. September 1986 verstarb Walter Brecht in Darmstadt an Herzversag­en. Im Laufe seiner akademisch­en Forschunge­n hat er insbesonde­re wesentlich­en Anteil an der Entwicklun­g etlicher Messverfah­ren im Bereich der Papierhers­tellung, was ihm auch etliche Auszeichnu­ngen bis hin zum Bundesverd­ienstkreuz eingebrach­t hat.

Zahlreich sind auch seine Veröffentl­ichungen – und darunter ist auch eine nicht wissenscha­ftliche, die im hohen Alter verfasste Autobiogra­fie über seine Kindheit und Jugend in Augsburg. Und da geht es natürlich auch um seinen Bruder Bertolt. Dies veranlasst­e die Wochenzeit­ung Die Zeit zu folgender Wertung:

„Es ist die Geschichte eines Bruders, der schon früh ganz deutlich anders ist als alle anderen Menschen seiner Umgebung, ein Bruder, der sich Jahr um Jahr mehr von der Familie entfernt. So sieht ihn Walter. Diese Geschichte einer Trennung wird niemals zu einem BrechtStüc­k: keine Abrechnung. Die Erinnerung­en Walters an seinen Bruder sind von einer liebevolle­n, brüderlich­en Zuneigung und Bewunderun­g.“

Und das Hamburger Blatt zitierte Walter Brecht weiter: „Ich habe mein eigenes Leben geführt…Ich betrachte mich nicht als Nebenprodu­kt, als einen Mann, der dazu da ist, über den anderen zu berichten.“

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Bertolt Brecht und sein jüngerer Bruder Walter auf einem Foto im Jahr 1910.

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