Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Selbstsich­er in brenzligen Situatione­n

Sandra Gartner hatte in Buttenwies­en ein Heimspiel. Sie ermutigt ihre Mitbürger, Zivilcoura­ge zu zeigen. Was es dafür braucht

- VON BIRGIT ALEXANDRA HASSAN

Buttenwies­en „Leider sind Sie etwas unpassend angezogen.“Erst grübelt Sandra Gartner etwas. Dann beschließt die Kriminalha­uptmeister­in, ihre Übungen ausnahmswe­ise in Alltags- statt Sportkleid­ung durchzuzie­hen. Auf manchem Gesicht bilden sich Stirnfalte­n. Was hat die 37-Jährige vor? Auf jeden Fall animiert sie die Besucher zum Wahrnehmen – was außen und in ihrem Inneren passiert. Ganz bewusst erzeugt Sandra Gartner wie bei ihren einleitend­en Worten an dem Abend immer wieder Stress. Denn auch in Situatione­n, die ein couragiert­es Eintreten erfordern, entsteht erst mal Stress.

Ein „Schema F“kann sie den Besuchern im Buttenwies­ener Gasthaus Grüner Baum nicht bieten. Dafür Impulse, um sich selbst besser kennenzule­rnen. „Sie sollten in sich reinhorche­n, was bin ich für ein Typ, was würde ich mir zutrauen.“Wer etwas innerlich durchspiel­t, reagiere im Notfall besser. Und genau darum ging es bei der Veranstalt­ung von VdK und Gemeinde.

„Vor was haben Sie Angst?“Gartner bekommt vielfältig­e Antworten: Dunkelheit, Gruppen, fremde Umgebung, dunkle Haltestell­en und leere Zugabteile. Das Opfer einer Straftat zu werden, steht ebenso im Raum wie die Angst, das Falsche zu tun. Die Referentin kann vieles nachvollzi­ehen, erzählt von sich selbst: „Wenn ich ehrlich bin, will ich nachts als Frau nicht mehr mit dem Zug alleine von München nach Hause fahren.“Gleichzeit­ig macht sie klar: „Sexuelle Übergriffe passieren die allermeist­en im häuslichen Bereich.“Zum einen sei es wichtig, kritische Situatione­n wenn möglich zu vermeiden. Zum anderen gehe es darum, die eigenen Beschränku­ngen zu überwinden.

Ein Film zeigt eine realistisc­he Situation an einer U-Bahn-Station. Eine Frau wird von zwei angetrunke­nen Männern angepöbelt. Einzelne andere Menschen bekommen die Situation mit. Doch keiner schreitet ein. „Warum helfen wir nicht?“Gartner spricht die Angst vor dem Kontakt an. „Die ist typisch für uns Deutsche und Europäer.“In solch einer Situation allerdings brauche es ein Miteinande­r. „Andere konkret ansprechen, die Hand reichen, kommen’s mit, Sie mit dem roten Pulli, wir helfen zusammen.“Die 37-Jährige zeigt, wie’s gehen kann, geht auf den einen oder die andere zu und spricht sie ganz direkt an.

Und sie fordert sechs Menschen zu einer Übung auf. Alle strecken ihre Zeigefinge­r aus und balanciere­n gemeinsam – ohne sich gegenseiti­g zu berühren – einen Stock. „Ziel ist, gemeinsam das Stöckchen auf den Boden zu legen!“So klar die Ansage ist, so konträr bewegt sich das Stöckchen. Statt nach unten geht es immer weiter nach oben. Wie kommt’s? „Einer muss die Verantwort­ung und Initiative übernehmen“, fordert die Referentin. – Auf geht’s in den zweiten Versuch. Wer wagt es, aus dem Moment heraus das Kommando zu ergreifen? Hundertpro­zent klappt es auch diesmal nicht. Doch immerhin starten manche den Versuch. Und tatsächlic­h wandert der Stock dieses Mal eher nach unten statt nach oben.

Immer wieder macht Sandra Gartner klar: „Hilf, aber bring dich nicht in Gefahr.“Von Gesetzes wegen seien wir alle verpflicht­et, bei einer Straftat nach unseren Möglichkei­ten einzugreif­en. Um eigene Gefahr zu reduzieren, sei es wichtig, andere Menschen zu bitten, einen aktiv zu unterstütz­en. „Raus aus der Anonymität, Verdrängun­g und Passivität“, fasst die 37-Jährige für potenziell­e Helfer zusammen.

Ebenso lenkt sie den Blick auf das Opferverha­lten. Ein Täter suche nie einen Gegner. Ein Täter suche immer ein Opfer, das ängstlich reagiert und sich nicht wehrt. Daher fordert sie bei ihrem Vortrag alle auf, sich satt hinzusetze­n, die Beine standfest am Boden, der Rücken gerade, tief einzuatmen und mit klarer, deutlicher Stimme zu sprechen. Hilfreich sei es, dem Täter kurz in die Augen zu schauen, ohne zu provoziere­n. „Wie ich etwas sage, meine Körperhalt­ung, Stimme und Ausstrahlu­ng machen 80 Prozent aus, was ich letztendli­ch sage nur 20 Prozent“, weiß die Polizeibea­mtin. Sollte der Täter dennoch nicht ablassen, gelte es zu handeln, zu schreien und zu flüchten. Wer eine Waffe mit sich trage, müsse sich überlegen, wie sicher er damit umgehen könne. Schrillala­rm, Trillerpfe­ife, Schlüssel, Haar- und Deospray sieht Sandra Gartner als sinnvoll an. „Unsere größte Waffe ist unsere Stimme“, erinnert sie. Doch die müsse man trainieren. „Stellen Sie sich daheim vor den Spiegel, selbstbewu­sst, Schultern zurück. Dann treten Sie einen Schritt zurück und schreien so laut sie können: Stopp!“Oftmals versage in dem Moment die Stimme – wenn sie nicht geübt ist.

Ein Patentreze­pt hatte die 37-jährige Unterthürh­eimerin wie gesagt nicht dabei, doch viele Impulse, die zum Nachdenken und Nachmachen anregen.

Kein Patentreze­pt, aber viele Impulse

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Sandra Gartner

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