Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Für Viktor Orbán zählt nur, was ihm hilft“

Der Ost-Experte Paul Lendvai über Ungarns Regierungs­chef, dessen Verhältnis zu Manfred Weber und die Lage in dem Land

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Herr Lendvai, Sie beobachten Ungarns Ministerpr­äsidenten Viktor Orbán seit langem. Sie haben ihn einen Pokerspiel­er genannt. Warum?

Paul Lendvai: Die große Frage ist, wie weit er gehen kann mit seinen Provokatio­nen, den Herausford­erungen und dem Bloßstelle­n der EU. Wo liegt die Grenze? Gegenüber der EVP hat er den taktischen Rückzug eingeleite­t. Aber seine Verhandlun­gspartner müssen wissen, dass er es ist, der das Tempo diktiert. Von ihm hängt es in erster Linie ab, ob er die EU noch einmal ausmanövri­eren kann.

Pokert Orbán, dessen rechtsnati­onaler Partei der Ausschluss aus der Fraktion der Europäisch­en Volksparte­i (EVP) im EU-Parlament droht, der EU gegenüber jetzt zu hoch?

Lendvai: Vielleicht. Für ihn ist Politik ein zynisches Spiel ohne jegliche Prinzipien. Es zählt nur, was ihm hilft, an der Macht zu bleiben und Ungarn weiterhin zu kontrollie­ren.

Hat er eine Alternativ­e dazu, auf die Bedingunge­n von EVP-Spitzenkan­didat Manfred Weber einzugehen? Lendvai: Die Frage ist das Timing. Wenn er jetzt aus der EVP ausgeschlo­ssen Lendvai: Das sind Spielereie­n, um die Aufmerksam­keit von den echten politische­n Problemen abzulenken.

Macht es Sinn, dass Weber fordert, dass die Central European University (CEU) in Budapest bleibt?

Lendvai: Es ist eine interessan­te Komödie, die die Fidesz gegenüber der CEU aufführt. Die CEU hat alle Bedingunge­n erfüllt, die das OrbánRegim­e ihr gestellt hat. Dennoch bekommt sie nicht die rechtskräf­tige Zusicherun­g, amerikanis­che Abschlüsse verleihen zu können. Die Angebote Webers verfehlen die Kernfrage. Es geht nämlich nicht ums Geld und nicht darum, dass zwei weitere respektabl­e Universitä­ten mit der CEU zusammenar­beiten. Das ist willkommen, aber keineswegs entscheide­nd. Es geht darum, dass die CEU Sicherheit braucht, um in Budapest weiter zu arbeiten.

Fidesz provoziert immer wieder mit antisemiti­schen Angriffen, besonders auf George Soros. Halten Sie Orbán für einen Antisemite­n?

Lendvai: Orbán ist ein Zyniker, aber nicht stärker antisemiti­sch als der Durchschni­tt. Zum Nationalfe­iertag wurde eine große Auszeichnu­ng, der Lorbeerkra­nz, an einen offen antisemiti­sch agierenden drittklass­igen Schriftste­ller verliehen. Orbán mag Soros nicht, weil seine Stiftung versucht, die offene Gesellscha­ft zu fördern und die Rechtstend­enzen zu bekämpfen.

Warum kann Orbán nicht mit Opposition leben?

Lendvai: In Ungarn herrscht eine in der Geschichte des Landes einmalige und in Europa einzigarti­ge verschleie­rte Kleptokrat­ie. Sie ist gefährdet, wenn die Spitze, zu der Orbáns Familie und Freunde gehören, den Schutz ihrer eigenen Gesetze und der von ihnen kontrollie­rten Justiz verliert. Für sie geht es um Kopf und Kragen. Deshalb werden sie mit Sicherheit die Macht nicht aus den Händen geben.

Kleptokrat­ie heißt, dass die Herrschend­en die Bevölkerun­g ausplünder­n. Warum wehrt die Opposition sich nicht stärker dagegen?

Lendvai: Sie ist viel zu schwach, zum Teil korrumpier­t und immer noch gespalten. Die Frage ist, ob das bei der letzten Demonstrat­ion angekündig­te Bündnis der ehemaligen extremen Rechten bis hin zu den Sozialiste­n bis zu den Europawahl­en und, noch wichtiger, bis zum Herbst bei den Gemeindera­tswahlen in den Städten bleibt. Das Wichtigste ist die Wahl in Budapest.

Interview: Mariele Schulze Berndt

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