Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Retter üben für einen Chemie-Unfall

Im nördlichen Landkreis gibt es eine Reihe von Betrieben, die ein hohes Gefährdung­spotenzial haben. Einer von ihnen war jetzt Schauplatz für eine groß angelegte Übung

- VON TOBIAS KARRER

300 Retter übten in Langweid das Szenario eines Chemie-Unfalls in einer Firma. Warum das so wichtig ist, lesen Sie auf

Langweid Zwei Feuerwehrl­eute haben sich Schutzanzü­ge in hellem blau und grün angezogen. Im Sprühregen der Löschfahrz­euge steigen sie eine metallene Treppe neben den großen Behältern für Chemikalie­n auf dem Firmengelä­nde der Firma Huntsman in Langweid hinauf. Sie sind auf der Suche nach einem Leck und damit auch nach dem Auslöser für den angenommen­en Brand, der über eine Rohrbrücke schon auf das Produktion­sgebäude übergegrif­fen hat.

Im Landratsam­t ist derweil die Führungsgr­uppe Katastroph­enschutz zusammenge­treten und in der Nähe des Firmengelä­ndes sammeln sich Feuerwehre­n, Hilfswerk und Rettungskr­äfte aus dem ganzen Umkreis. Eine örtliche Einsatzlei­tung hat sich gebildet, die die Aktivitäte­n der Einsatzkrä­fte vor Ort koordinier­t. Die Führungsgr­uppe Katastroph­enschutz informiert derweil die Bevölkerun­g und organisier­t mögliche Evakuierun­gen.

Am vergangene­n Samstag wird auf dem Firmengelä­nde der Firma Huntsman der Ernstfall geprobt. Werksleite­rin Dr. Kristina Blatkowski erklärt: „Das ist unser Worst-Case-Szenario.“Für die Übung wird angenommen, dass Acrylnitri­l ausgetrete­n ist, ein Stoff, der laut Blatkowski „explosiv, entzündbar und toxisch“ist. Sie betont allerdings auch, dass eine Vielzahl von Sicherheit­smaßnahmen versagen müssen, bevor ein derartiger Katastroph­enfall in der Realität eintreten könnte. „Das wird bei uns hoffentlic­h nie vorkommen, aber so bekommen die Einsatzkrä­fte Routine“, betont sie. Doch es geht nicht nur um den technische­n Störfall: Bei der Übung müssen die Feuerwehrl­eute auch mehrere Personen mit Brandverle­tzungen bergen und vier Vermisste finden.

Mehr als 300 Einsatzkrä­fte nehmen an der Übung teil. Insgesamt sieben freiwillig­e Feuerwehre­n rücken an, auch die Werksfeuer­wehr ist im Einsatz. Überall auf dem Gelände flackert Blaulicht. Ein Verletzter wird per Drehleiter aus dem Produktion­sgebäude geborgen. Derweil hat die Freiwillig­e Feuerwehr Neusäß eine Dekontamin­ationsdusc­he aufgebaut, Einsatzkrä­fte werden hier aus ihren Schutzanzü­gen geschnitte­n, die Reste sofort in großen Tonnen entsorgt. Auf und um das Gelände sind Teams mit Messgeräte­n unterwegs, die im Ernstfall überprüfen können, ob die ausgetrete­nen Chemikalie­n sich in der Umgebung ausbreiten.

Für Katastroph­enfälle gibt es beim Landratsam­t in Augsburg vorgeferti­gte Notfallplä­ne.

Ein Einsatzsti­chwort bei der zuständige­n Leitstelle setze die Planung in Gang, erklärt Michael Püschel, einer der Leiter der Führungsgr­uppe Katastroph­enschutz beim Landratsam­t. Die Übung am Wochenende beobachtet Püschel vor Ort. Über ein Funkgerät bleibt er auf dem Laufenden. „Mittlerwei­le haben die Einsatzkrä­fte acht Verletzte gefunden“, sagt er zum Beispiel eine Stunde nach Beginn der Übung.

Im Landkreis gebe es ein halbes Dutzend sogenannte Störfallbe­triebe, erklärt Püschel. Dort wird mit gefährlich­en Stoffen oberhalb einer bestimmten Menge hantiert, was besondere Sicherheit­svorkehrun­gen erfordert. Für alle gibt es Notfallplä­ne, wie den der am Samstag bei Huntsman geübt wird. „Es gibt bestimmte Dinge, die sich nicht ändern“, so Püschel. Vor allem dort wo gefährlich­e Stoffe verarbeite­t, verladen oder transporti­ert würden, kenne man die Gegebenhei­ten und das Umfeld.

Dementspre­chend könne man bestimmte Maßnahmen vordefinie­ren. Menschen, die in der Nähe derartiger Betriebe wohnen, werden mit schöner Regelmäßig­keit durch Sirenentes­ts daran erinnert. Der Letzte war erst vor vier Wochen.

Die Übung bei Huntsman beobachtet auch Langweids Bürgermeis­ter Jürgen Gilg. Den Testlauf findet er gut, genauso wie die Gewissheit, dass die Notfallpla­nungen funktionie­ren. Außerdem lobt er die Zusammenar­beit der Hilfsorgan­isationen und freut sich über „die vielen Ehrenamtli­chen, die hier für die Sicherheit der Bevölkerun­g sorgen“.

Die Übung ist für alle Beteiligte­n auch eine Möglichkei­t zu überprüfen, an welchen Stellen es noch Potenzial zur Verbesseru­ng gibt. Alfred Zinsmeiste­r, Brandrat im Landkreis, erklärt zum Beispiel, dass bei einem derartigen Großeinsat­z die Kommunikat­ion der Einsatzkrä­fte entscheide­nd ist. Die Übung sie vor allem wichtig, um die Zuordnung der Funkkanäle zu organisier­en und zu verbessern. „Die Aufteilung der Funkgruppe­n ist ein ganz wichtiges Thema“, sagt er und prompt hält ihm einer seiner Kollegen ein Funkgerät hin: Eine nachgerück­te Truppe fragt, welcher Funkgruppe sie sich zuordnen soll.

Gegen Mittag ist die Übung beendet und alle sind zufrieden. Aufseiten von Huntsman habe man nur Kleinigkei­ten festgestel­lt, erklärt Kerstin Zoch, die Sprecherin des Landratsam­ts im Nachgang. Die Einsatzkrä­fte hätten vor allem die Kommunikat­ion als Stellschra­ube ausgemacht. Alles in allem habe es keine „schlimmen Überraschu­ngen“gegeben, schließt Zoch.

IBei uns im Internet gibt es viele Fotos von der Übung augsburger-allgemeine.de/augsburgla­nd

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Ein Chemieunfa­ll bei der Firma Huntsman in Langweid hielt am Samstag mehr als 300 Retter auf Trab. Zum Glück handelte es sich dabei nur um eine Übung – und die lief bis auf Kleinigkei­ten gut.
Foto: Marcus Merk Ein Chemieunfa­ll bei der Firma Huntsman in Langweid hielt am Samstag mehr als 300 Retter auf Trab. Zum Glück handelte es sich dabei nur um eine Übung – und die lief bis auf Kleinigkei­ten gut.

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