Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Zurück im Schweinwer­ferlicht

Ein Untersuchu­ngsausschu­ss soll klären, wie tief der Sumpf aus Korruption und Geschacher ist, den das Ibiza-Video vor einem Jahr offenlegte. Heinz-Christian Strache schlüpft zum Auftakt in seine Paraderoll­e

- VON MICHAEL BACHNER

Wien Eingangsko­ntrollen, Zeugen hinter Plexiglas, Gedränge unter dutzenden Medienvert­retern und Kameraleut­en, Gesichtsma­sken: Unter Corona-Bedingunge­n startete am Donnerstag in Wien ein parlamenta­rischer Untersuchu­ngsausschu­ss zur berühmt-berüchtigt­en Ibiza-Affäre. Im Blitzlicht­gewitter: der frühere Vizekanzle­r und FPÖChef Heinz-Christian Strache.

Vor fast genau einem Jahr wurde das Ibiza-Video veröffentl­icht – Ergebnis einer Falle, in die die beiden Rechtsauße­n-Politiker HeinzChris­tian Strache und sein politische­r Ziehsohn Johann Gudenus mit Anlauf hineintapp­ten.

Zum Start des Untersuchu­ngsausschu­sses kamen dann auch gleich die beiden unfreiwill­igen Hauptakteu­re zu Wort. Vorher aber diskutiert­en die Parlamenta­rier noch mit dem Wiener Journalist­en Florian Klenk. Er hat das ganze Video, also alle sieben Stunden, gesehen und kennt damit auch das bislang geheime Material, das den Abgeordnet­en groteskerw­eise noch immer nicht zur Verfügung steht.

Die öffentlich bekannten Szenen aus dem Video seien „das Destillat eines langen Abends“und keine unzulässig­e Verkürzung, sagte Klenk. Es gebe einen Tonmitschn­itt aus der Küche, auf dem Strache zu Gudenus sagt: „Mach das klar, Joschi. Mach das klar.“Strache habe um die vermeintli­che russische Oligarchin eine Art „Korruption­stanz“aufgeführt. Er habe auch nicht den Eindruck gehabt, dass die beteiligte­n Personen nicht Herr ihrer Sinne und gar K.-o.-Tropfen oder Drogen im Spiel gewesen seien.

Nach dem Journalist­en hatte Strache seinen großen Auftritt. Er liebt das Rampenlich­t, auch wenn es grell ist. Doch der Mann, der sich als Opfer eines „gezielten politische­n Attentats“sieht, machte klar, dass er auf die meisten Fragen auf Anraten seines Verteidige­rs nicht antworten werde. Was der Ex-FPÖChef dann doch sagte, hat man schon oft von ihm gehört: Es gebe „seit Jahren einen Plan, mich zu vernichten“. Strache spricht von einem „mutmaßlich kriminelle­n Netzwerk“, dessen Motivlage er ans Licht fördern werde, „aber nicht vor dem Ausschuss, sondern vor der

Staatsanwa­ltschaft“. Er bleibt auch dabei, dass er an jenem Abend auf Ibiza betäubt worden sei.

Die Abgeordnet­en und Journalist­en müssen wohl auf die nächsten Zeugen hoffen, um inhaltlich weiterzuko­mmen. Dazu sind 42 Tage anberaumt. Minister, Manager, Ermittler, Spitzenbea­mte sind geladen. Auch Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) wird noch im Juni ins Parlament kommen. Kurz war im Mai 2019 Straches Koalitions­partner. Die heutige Opposition in Wien aus Sozialdemo­kraten, Neos und FPÖ will den Kanzler deshalb zur (Mit-)Rechenscha­ft ziehen. Er selbst regiert mittlerwei­le mit den Grünen – auch das eine Folge von Ibiza.

Spannend ist bis heute das Sittenbild einer durch und durch korrupten Spitzenpol­itik, das dieses Video so drastisch gezeigt hat – und die Frage, was davon gelebte Praxis sein könnte. Die Themenlist­e der Abgeordnet­en ist entspreche­nd lang und betrifft in einigen Punkten auch die ÖVP: Illegale Parteienfi­nanzierung, ungenierte­r Postenscha­cher in staatsnahe­n Betrieben, Mandatsund Gesetzeska­uf, sprich: mehr oder weniger offene Korruption. Und die Frage: Hat das System? Waren etwa die Jobs in den Vorständen und Aufsichtsr­äten von Nationalba­nk bis Casinos Austria schon Teil der Regierungs­vereinbaru­ng zwischen der Kurz-ÖVP und der Freiheitli­chen Partei Straches?

Was die Sache so spannend macht: Als das Ibiza-Video im Sommer 2017 heimlich aufgenomme­n wurde, war Strache bereits zwölf Jahre Opposition­spolitiker und träumte von seinem großen Tag. Der gelernte Zahntechni­ker wollte mit aller Macht in die Regierung, und da konnten die vielen in Aussicht gestellten Russen-Millionen nicht verkehrt sein. So sprach Strache mit dem hübschen Lockvogel über lukrative Staatsauft­räge oder etwa die Übernahme der Kronen Zeitung, der mit weitem Abstand größten Tageszeitu­ng des Landes.

Als das Video zwei Jahre später von Süddeutsch­er Zeitung und Spiegel veröffentl­icht wurde, war Strache bereits Vizekanzle­r der Republik Österreich, also endlich am Ziel. So liegt für viele Beobachter der Verdacht nahe, dass vielleicht die eine oder andere seiner schrägen Ibiza-Fantasien vielleicht gar nicht so schräg waren, sondern zwischen 2017 und 2019 Realität geworden sind.

Vor einem Jahr wollte Strache noch, dass das gesamte Ibiza-Video veröffentl­icht wird, um zu beweisen, dass er bei allem Geprahle gegenüber der vermeintli­chen Oligarchen-Nichte stets auf die Einhaltung der Gesetze pochte. Heute will er, dass das Video nicht das Licht der Öffentlich­keit erblickt. Zugleich sagt er in Interviews: „Ich bin der transparen­teste Politiker, den es gibt.“

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Foto: dpa Heinz-Christian Strache am Donnerstag im Ausschuss.

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