Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Er machte selbst Weltstars zu besseren Musikern

Vor 100 Jahren wurde der Big-Band-Tyrann Kurt Edelhagen geboren. Er eröffnete die Olympische­n Spiele 1972

- VON REINHARD KÖCHL

Bis kurz vor der Eröffnungs­feier der Olympische­n Sommerspie­le in München galt die Bundesrepu­blik als mausgraues Staatengeb­ilde, mental mit der Aufarbeitu­ng ihrer bleischwer lastenden Vergangenh­eit beschäftig­t. Doch der 26. August 1972 markierte einen markanten Wendepunkt. Als die „Jugend der Welt“ins voll besetzte Olympiasta­dion einzog, erklang neben der roboterhaf­ten Stimme von Stadionspr­echer Blacky Fuchsberge­r ein junger, moderner und vor allem kosmopolit­ischer Sound, den man in dieser unverkramp­ften Offenheit nicht von diesem Deutschlan­d erwartet hatte.

90 Minuten lang spielte ein Orchester, das seine Instrument­e direkt vor der Haupttribü­ne ausgepackt hatte, zum Einzug der Nationen poppig arrangiert­e chinesisch­e, arabische und südamerika­nische Musik, dazu „Kalinka“, „Tiritomba“und „Horch, was kommt von draußen rein“. Davor stand ein schwarzhaa­riger Mann mit dick umrandeter Hornbrille und dirigierte. Schon während der TV-Übertragun­g, die eine Milliarde Menschen sahen, lobten die Funk- und Fernseh-Moderatore­n

die heitere Einmarsch-Musik in höchsten Tönen. Fürst Rainier von Monaco klatschte im Takt begeistert; in den Zeitungen wurde der Clou wie ein nationaler Befreiungs­schlag gefeiert. „Gekrönte und ungekrönte Häupter haben uns begeistert zugenickt“, erinnerte sich Kurt Edelhagen. „Da wusste ich endgültig, dass ich mit dieser Musik richtiglag.“Der größte Moment im Künstlerle­ben dieses Big-Band-Leiters aus Herne, der sich viel lieber mit Jazz einen Namen gemacht und am heutigen Freitag seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte, war allerdings ein geklauter.

Dass Edelhagen in Interviews immer wieder erzählte, wie er eineinhalb Jahre lang an seiner „völlig neuartigen, originelle­n Mischung von Folklore und Swing“gearbeitet, „Unmengen Literatur“durchgeseh­en, „unzählige Arrangemen­ts auf ihre Wirkung ausprobier­t“und die „widersprüc­hlichsten Elemente“zu einer „akustische­n Selbstvers­tändlichke­it verkocht“habe, das trieb den Vätern dieser Musik die Zornesröte ins Gesicht. Denn Edelhagen hatte nichts verfremdet, nichts arrangiert, nichts gemischt und nichts verkocht. Die Arbeit erledigten einzig und allein seine Arrangeure

Dieter Reith, Jerry van Rooyen und Peter Herbolzhei­mer. Sie waren es, die in Plattenges­chäften als Rohmateria­l Folkloreau­fnahmen aus 120 Ländern sammelten, sie ersonnen die Instrument­ierungen, sie schrieben sämtliche Partituren.

Dass Edelhagen, der 1982 starb, dennoch als schillernd­e Figur der deutschen Jazzszene gilt, sogar als „deutscher Stan Kenton“gefeiert wird, hat er seinem Ruf als penibler, pedantisch­er, bis zur Erschöpfun­g arbeitende­r Orchesterl­eiter zu verdanken. Mit diesen Attributen zog er internatio­nale Jazzer wie Lionel Hampton, Chet Baker, Caterina Valente, Benny Bailey und Charly Antolini an und schuf sich einen Klangbauka­sten, um den ihn viele beneideten. Dieser war knochenhar­te Schule und der Chef ein Schleifer, Zuchtmeist­er, cholerisch­er Tyrann. Die täglichen Proben dauerten bis zu zehn Stunden. „Präzise wie die Preußen“hätten sie funktionie­ren müssen, erinnert sich der heute 88-jährige Trompeter Dusko Goykovich. Als Ziel gab es nur größte Präzision. Die Edelhagen-Schule prägte sogar die Weltstars und machte sie zu besseren Musikern; der Sound klang nach Count Basie, ohne diesen zu kopieren.

Als Edelhagen 1957 vom Südwestfun­k Baden-Baden zum WDR nach Köln wechselte, begann seine eigentlich­e Blütezeit. Zudem wurde ihm die Ehre zuteil, als erster „Jazzprofes­sor“der Welt von 1958 bis 1963 an der Staatliche Hochschule für Musik Köln lehren zu dürfen. Dass man jedoch vom Jazz allein nicht leben kann, das wusste Edelhagen sehr wohl: „Unser Geschäft ist Tanzmusik. Von der Tanzmusik müssen wir leben, damit wir Jazzmusik spielen können.“

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Foto: Siegfried Pilz, imago Kurt Edelhagen im April 1957 gemeinsam mit der Sängerin Caterina Valente in Hamburg.

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