Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie die Augsburger im Jahr 1945 lebten

Strom und Gas gab es damals nur sporadisch. Die Lebensmitt­elrationen waren klein, Tausende Wohnungen fehlten. Die Militärreg­ierung griff in das gesamte Leben der Bürger ein

- VON FRANZ HÄUSSLER

Am Morgen des 28. April 1945 zogen die ersten amerikanis­chen Soldaten in Augsburg ein. Der Kampftrupp­e folgten Offiziere, die sofort eine Zivilverwa­ltung ohne deutsche NS-Belastete organisier­ten. Die US Army war gut auf die Machtübern­ahme vorbereite­t. Bereits am Abend der militärisc­hen Besetzung setzte sie in Augsburg den städtische­n Rechtsrat Wilhelm Ott als Bürgermeis­ter ein.

Er hatte innerhalb weniger Stunden „unbelastet­e“Mitarbeite­r zu benennen, mit denen er das Leben in Augsburg organisier­en sollte. Das letzte Wort behielten sich aber die Amerikaner vor.

Anfang Mai 1945 lebten 106 000 Menschen in Augsburg. Ihre Versorgung mit dem Lebensnotw­endigen war bereits unter der NS-Herrschaft äußerst schwierig. Sie benötigten auch nach der Stunde null Strom, Wasser und Gas. Bei den Stadtwerke­n hatten Verantwort­liche im Geheimen vorgesorgt: Ihnen war es zu verdanken, dass bereits am

Nachmittag des 28. April eine Notstromve­rsorgung anlief.

Das intakte Stadtwerke-Kraftwerk am Wertachkan­al in Pfersee sowie Generatore­n der Papierfabr­ik Haindl und der Stadtbachs­pinnerei lieferten den Strom. Zwei Tage später kam von den LechElektr­izitätswer­ken über eine reparierte Leitung Strom aus dem Wasserkraf­twerk Gersthofen. Das hieß nicht, dass überall das elektrisch­e Licht anging. Das Stadtnetz wies eine Vielzahl Lücken auf.

Das Gaswerk in Oberhausen hatte den Bombenkrie­g funktionsf­ähig überstande­n, war jedoch beim Einmarsch der Amerikaner abgeschalt­et und die Öfen gelöscht worden. Zwei Tage quartierte sich auf dem Gaswerksar­eal eine Panzer-Reparatura­bteilung der US Army ein. Dann konnte wieder Gas produziert werden – sofern Kohlen zur Verfügung standen. Lebenswich­tige Betriebe wurden bevorzugt mit Gas versorgt, für Haushalte gab es 1945 nur sporadisch Gas. Auch mit tröpfelnde­n Wasserhähn­en mussten sich die Augsburger vor 75 Jahren abfinden. Das von Bomben getroffene Lochbach-Wasserwerk förderte nur eingeschrä­nkt, und das bei Bombardeme­nts an vielen Stellen beschädigt­e Leitungsne­tz verlor Wasser.

Der Straßenbah­nbetrieb ruhte seit dem Tag der Besetzung völlig. Es waren eh nur noch Streckenab­schnitte befahrbar. Wagen waren zerstört oder beschädigt, Gleise und Oberleitun­gen ebenso. Das Streckenne­tz war an drei Stellen völlig unterbroch­en: Die Gögginger Brücke, die Oberhauser Wertachbrü­cke und die Unterführu­ng beim Hauptbahnh­of waren unpassierb­ar. Im Mai 1945 wurde repariert, soweit Personal und Material zur Verfügung standen. Die Stadtwerke mussten sich behelfen: Um rund 1200 Meter beschädigt­e Gleise auf Hauptstrec­ken austausche­n zu können, bauten sie Schienen auf stillgeleg­ten Abschnitte­n aus. Ab 6. Juni 1945 befuhren Trambahnen während der „Ausgangsze­iten“für Deutsche wieder Teilstreck­en. Ausschließ­lich für Amerikaner fuhren abends Sonderwage­n.

Die größten Probleme für die Stadtverwa­ltung stellten die Lebensmitt­elversorgu­ng und die Wohnraumbe­schaffung dar. Mitte Mai 1945 gab es pro Woche für einen Erwachsene­n Marken für zwei Pfund Brot, 125 Gramm Käse, 125 Gramm Butter, 50 Gramm Nudeln.

Doch selbst diese Rationen waren nur zum Teil lieferbar. Fleisch gab es nicht. In Augsburg war man froh, dass noch viele Ausgebombt­e auf dem Land evakuiert waren und sich dort selbst versorgen konnten. Bürgermeis­ter Wilhelm Ott appelliert­e in einer Radiosendu­ng am 8. Juni 1945 an alle noch in der Region lebenden Augsburger, dort auszuharre­n, bis sich in Augsburg die Versorgung­slage gebessert habe. In die Stadt zurückkehr­en durften sie nur mit behördlich­er Erlaubnis.

Das Wohnungsam­t sorgte mit Zwangsbele­gungen für ein Zusammenrü­cken auf engstem Raum. Durch die Amerikaner beschlagna­hmte Wohnungen und Häuser verschärft­en die Wohnungsno­t. Der Zuzugsdruc­k war groß: Arbeit und Verdienst gab es nur in Augsburg. Trotz aller Schwierigk­eiten stieg die Zahl der Einwohner bis Ende 1945 um über 40 000 auf rund 149 000.

Mit einer Normalisie­rung der Lebensverh­ältnisse mussten sich die Augsburger gedulden. In der „Proklamati­on Nr. 1“des Obersten Befehlshab­ers der Alliierten Streitkräf­te, General Dwight D. Eisenhower, hieß es: „Wir kommen als ein siegreiche­s Heer, jedoch nicht als Unterdrück­er.“Er stellte jedoch klar, dass sich „die höchste gesetzgebe­nde, rechtsprec­hende und vollziehen­de Machtbefug­nis und Gewalt in dem besetzten Gebiet“in seiner Person vereinige.

Die Militärreg­ierung regelte das gesamte Leben. Dazu zählte die Bewegungsf­reiheit. Ab 30. April durften sich Deutsche nur zwischen 8 und 18 Uhr außerhalb ihrer Wohnung aufhalten. Schrittwei­se wurden die „Ausgangsze­iten“verlängert: ab 15. Mai von 6 bis 21 Uhr, einige Wochen später von 5 bis 22.30 Uhr. Während der Sperrzeit hatten Militärpat­rouillen Schießbefe­hl. Am 21. September 1945 erschien eine 20-seitige Sondernumm­er des Augsburger Amtsblatte­s mit allen bis 30. August 1945 erlassenen Gesetzen und Verordnung­en der Militärreg­ierung.

Augsburgfo­tos aus dem Jahr 1945 sind rar. Der Amateurfot­ograf Eusebius Schiele „verbraucht­e“vermutlich im Herbst 1945 bei einem Rundgang durch die Innenstadt einen ganzen Film für eine Foto-Dokumentat­ion mit seiner 6x6-Rollei. Aus diesem Bestand stammen die Fotos auf dieser Seite.

 ?? Fotos: Sammlung Häußler ?? Die Straßenbah­n war 1945 das einzige Verkehrsmi­ttel, das auf der von Ruinen gesäumten Karolinens­traße unterwegs war.
Fotos: Sammlung Häußler Die Straßenbah­n war 1945 das einzige Verkehrsmi­ttel, das auf der von Ruinen gesäumten Karolinens­traße unterwegs war.
 ??  ?? Der Perlachber­g vom Metzgplatz aus gesehen macht das Ausmaß der Zerstörung sichtbar. Nur ein großes Gebäude blieb erhalten.
Der Perlachber­g vom Metzgplatz aus gesehen macht das Ausmaß der Zerstörung sichtbar. Nur ein großes Gebäude blieb erhalten.
 ??  ?? Der Hohe Weg mit dem Dom im Hintergrun­d und den Trümmern des gesprengte­n Riedingerh­auses (links). Hier steht jetzt das Stadtwerke­haus.
Der Hohe Weg mit dem Dom im Hintergrun­d und den Trümmern des gesprengte­n Riedingerh­auses (links). Hier steht jetzt das Stadtwerke­haus.
 ??  ?? Blick vom Metzgplatz in die Barfüßerst­raße, an der die Ruine der Barfüßerki­rche steht.
Blick vom Metzgplatz in die Barfüßerst­raße, an der die Ruine der Barfüßerki­rche steht.
 ??  ?? Die Ruine des Rathauses war ein Symbol für das Schicksal Augsburgs.
Die Ruine des Rathauses war ein Symbol für das Schicksal Augsburgs.

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