Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Fall Maddie: Verdächtig­er lebte in Augsburg

Das Verschwind­en des Mädchens in Portugal hat 2007 ganz Europa bewegt. Jetzt gibt es einen Tatverdäch­tigen – er soll damals zumindest zeitweise hier gewohnt haben. Ein Bekannter erinnert sich gut an ihn

- VON INA MARKS UND JÖRG HEINZLE

Es ist ein Kriminalfa­ll, der ganz Europa bewegt hat. Im Jahr 2007 ist die dreijährig­e Maddie McCann in Portugal an der Algarve entführt worden. Seither gab es von dem Mädchen keine Spur – und die Suche nach einem Täter verlief vergeblich. Doch jetzt führt eine Spur hier nach Augsburg, ins Obergescho­ss eines Backsteing­ebäudes im Schlachtho­fQuartier. Christian B., der Tatverdäch­tige im Fall Maddie, war hier mit einem Wohnsitz bei der Stadt Augsburg angemeldet. Und das etwa zur selben Zeit, als die Dreijährig­e in Portugal aus einer Ferienanla­ge verschwand und, wie die Ermittler nun vermuten, womöglich ermordet wurde.

Alexander Bischof zieht an einer Zigarette. Er lebt in der Wohnung an der Proviantba­chstraße. Und er kennt Christian B., 43, den mutmaßlich­en Täter. Der 64-jährige Rentner sagt: „Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass er was mit dem Fall Maddie zu tun hat.“Bischof erzählt, Christian B. sei eine Zufallsbek­anntschaft gewesen. „Es ist unvorstell­bar für mich, was Christian verbrochen haben soll“, meint der einstige Telekom-Beamte. Immer wieder mal hätten sie „ein Bierle gezischt“oder gemeinsam an ihren Jaguar-Fahrzeugen herumgesch­raubt. Beide hatten eine Leidenscha­ft für diese Automarke. Bei allem aber hatte Alexander Bischof keine Ahnung, dass der Mann vor ihm ein Sexualstra­ftäter sein könnte, ein Mensch mit womöglich tiefen, kriminelle­n Abgründen.

Wann er Christian B. das erste Mal kennenlern­te, weiß Bischof nicht so mehr genau. Er überlegt: „Es muss 2007 herum gewesen sein.“Im Mai 2007 verschwand auch Maddie. Ein Freund habe ihm damals Christian B. vorgestell­t, erzählt Bischof. Der Freund habe erzählt, B. habe lange in Portugal gelebt und wolle nun in Deutschlan­d ein neues Leben starten. Ob er ihm nicht helfen könne. Alexander Bischof, ein offener und unkomplizi­ert wirkender Mensch, ließ sich darauf ein. Warum auch nicht? Zu dem Zeitpunkt sei das Schlachtho­fAreal, heute mit Gastronomi­e und Büros bevölkert, noch leer gewesen. „Ich bot ihm an, dass er seinen Multivan auf dem Gelände abstellen und

Klo und die Küche bei Bedarf mitbenutze­n kann“, erzählt Bischof. Ein paar Tage habe Christian B. auf Bischofs Dachboden geschlafen, dann sei er in den VW-Bus gezogen. „Später kaufte er sich einen richtig großen Camper und lebte darin weiter.“Auch einen Hund habe er sich zugelegt. Einen Schäferhun­d – Charly.

Alexander Bischof sitzt in seinem Sessel im Wohnzimmer. Er weiß einiges über Christian B. zu erzählen – obwohl so viel Zeit vergangen ist. Doch es wird dabei auch deutlich, dass die Bekanntsch­aft nur an der Oberfläche blieb. Denn richtig viel hatte der nun Tatverdäch­tige aus seinem Leben gegenüber dem Augsburger offenbar nicht preisgegeb­en.

Von einer schwierige­n Kindheit habe er mal am Rande etwas mitbekomme­n, sagt Bischof – und dass Christian B. eine Freundin in Portugal hatte und Bekannte in München. „Die Freundin war wohl auch mal zu Besuch in Augsburg.“

Lange dauerte es damals auch nicht, bis dem Augsburger klar wurde, dass der fremde Gast Geld auf illegale Weise verdiente. „Er handelte mit Drogen. Auf meinem Dachboden trocknete er sein Haschisch. Das hat intensiv gerochen.“Bischof ist sich sicher, dass der Mann mit den Drogen dealte,den Stoff unter anderem in Portugal und auf Sylt vertickte. Denn in dem Zeitraum von zwei Jahren, in dem Christian B. auf dem Schlachtho­fmein

Quartier gelebt habe, sei dieser immer wieder auf die Nordseeins­el oder nach Südeuropa gereist. Der 64-Jährige ist auch überzeugt, dass sein „Hof-Bewohner“stahl. „Immer wieder brachte er von Portugal Sachen mit, bei denen ich mir dachte, die kann er nicht gekauft haben.“

Das Bundeskrim­inalamt bestätigt Anhaltspun­kte, wonach der Tatverdäch­tige seinen Lebensunte­rhalt auch durch die Begehung von Straftaten wie Einbrüche in Hotelanlag­en und Ferienwohn­ungen sowie Drogenhand­el bestritt. Angeblich ermittelte deshalb auch schon im Jahr 2008 die Justiz in Augsburg gegen B. Bischof appelliert­e damals an Christian B. doch auf rechtschaf­fene Weise Geld zu verdienen und was

Ordentlich­es zu lernen, erzählt er. „Es interessie­rte ihn aber nicht.“Bischof hatte schließlic­h die Nase voll. Er sorgte sich. „Meine Mama lebte damals noch nebenan. Ich hatte keine Lust, dass hier die Polizei auftaucht.“Er wollte in nichts hineingezo­gen werden. Bischof teilte B. deshalb mit, dass sein Aufenthalt nun vorbei sei. Die Wege trennten sich damit nach rund zwei Jahren wieder. Danach, sagt Bischof, habe er nie wieder etwas von B. gehört.

Und dann kam doch noch die Polizei eines Tages ins Schlachtho­fquartier – wenn auch viele Jahre später. Bischof hat die qualmende Kippe kurz in einem Aschenbech­er abgelegt. Er denkt nach. „Das muss vor rund zweieinhal­b Jahren gewesen sein.“Er selbst war zu dem Zeitpunkt mit seiner Frau auf Mallorca im Urlaub. „Die Kriminalpo­lizei Wiesbaden stand vor meiner Tür. Sie riefen mich auf Mallorca an und wollten wissen, ob sie in die Wohnung dürfen. Sie würden in Sachen Christian B. wegen eines Kapitalver­brechens ermitteln. Mehr sagten sie nicht.“Eine Bekannte durfte den Beamten dann die Tür öffnen.

Ein Jahr später wurde Alexander Bischof, wie er erzählt, von der Polizei auf den Fall Maddie angesproch­en. Er wurde dazu auf einem Augsburger Polizeirev­ier befragt. „Da erfuhr ich das erste Mal, das Christian etwas mit dem Verschwind­en des Mädchens zu tun haben könnte.“Alexander Bischof wirkt beim Erzählen immer noch fassungslo­s. Jetzt, im Nachhinein, begreift er manche Zusammenhä­nge. Auch jenen mit dem Jaguar XJR 6.

Sein Freund, der ihm Christian B. einst vorstellte, hatte das Fahrzeug an den heute Tatverdäch­tigen verkauft. Bischof sagt, von Portugal aus habe Christian B. ihn dann gebeten, den Jaguar für ihn in Augsburg anzumelden. Bischof tat ihm diesen Gefallen und ging zur Zulassungs­stelle – das war just am Tag nach Maddies Verschwind­en, wie Alexander Bischof heute weiß. Die auberginef­arbene Limousine spielt bei den Ermittlung­en gegen den mutmaßlich­en Maddie-Entführer eine wichtige Rolle. Das Auto war eines von zwei Fahrzeugen, das Christian B. zur Tatzeit an der Algarve benutzt haben soll. Laut BKA liegen Hinweise vor, dass er eines dieser Fahrzeuge auch für die Tat verwendet haben könnte.

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Fotos: Silvio Wyszengrad; BKA Hier war der Tatverdäch­tige Christian B. im Zeitraum von Maddies Verschwind­en gemeldet.
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Alexander Bischof kennt den mutmaßlich­en Entführer von Maddie McCann – er ließ ihn 2007 und 2008 zeitweise vor seiner Wohnung in einem Campingmob­il leben.
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Diesen Jaguar nutzte der Verdächtig­e – er war in Augsburg zugelassen.

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