Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Ende eines Geschäftsmodells
Vom Putsch amerikanischer und britischer Geheimdienste gegen den iranischen Ministerpräsidenten Mohammed Mossadegh bis zum historischen Bündnis zwischen den USA und Saudi-Arabien: Öl hat die Geschichte des Nahen Ostens in den letzten Jahrzehnten bestimmt. Mossadegh wurde im Jahr 1953 gestürzt, weil er die iranische Ölindustrie verstaatlichte und damit die Interessen westlicher Konzerne bedrohte. Washington wurde zur Schutzmacht des radikal-islamischen saudischen Königshauses, weil sich die Amerikaner den Zugang zu den gewaltigen Ölreserven des Landes sichern wollten.
Das Coronavirus könnte dieses geopolitische Geschäftsmodell für immer verändern. Wenn Öl an Bedeutung für die Weltwirtschaft verliert, ist auch der Nahe Osten für den Westen nicht mehr so wichtig. Der Rückzug der USA aus der Region, der unter Barack Obama begann und von Donald Trump fortgesetzt wird, könnte endgültig werden. Starke regionale Akteure wie die Türkei könnten an Einfluss gewinnen. Saudi-Arabien und der Iran hätten viel weniger Geld, um ihre religiös-ideologischen Vorstellungen zu exportieren. Staaten in der ganzen Region müssten sich von ihrem bisherigen Gesellschaftsvertrag verabschieden, nach dem die Bürger im Gegenzug für Wohlstand auf politische Teilhabe verzichten. Die Corona-Pandemie könnte den Nahen Osten langfristig stärker aufmischen als der Arabische Frühling.