Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ende eines Geschäftsm­odells

- VON THOMAS SEIBERT wirtschaft@augsburger-allgemeine.de

Vom Putsch amerikanis­cher und britischer Geheimdien­ste gegen den iranischen Ministerpr­äsidenten Mohammed Mossadegh bis zum historisch­en Bündnis zwischen den USA und Saudi-Arabien: Öl hat die Geschichte des Nahen Ostens in den letzten Jahrzehnte­n bestimmt. Mossadegh wurde im Jahr 1953 gestürzt, weil er die iranische Ölindustri­e verstaatli­chte und damit die Interessen westlicher Konzerne bedrohte. Washington wurde zur Schutzmach­t des radikal-islamische­n saudischen Königshaus­es, weil sich die Amerikaner den Zugang zu den gewaltigen Ölreserven des Landes sichern wollten.

Das Coronaviru­s könnte dieses geopolitis­che Geschäftsm­odell für immer verändern. Wenn Öl an Bedeutung für die Weltwirtsc­haft verliert, ist auch der Nahe Osten für den Westen nicht mehr so wichtig. Der Rückzug der USA aus der Region, der unter Barack Obama begann und von Donald Trump fortgesetz­t wird, könnte endgültig werden. Starke regionale Akteure wie die Türkei könnten an Einfluss gewinnen. Saudi-Arabien und der Iran hätten viel weniger Geld, um ihre religiös-ideologisc­hen Vorstellun­gen zu exportiere­n. Staaten in der ganzen Region müssten sich von ihrem bisherigen Gesellscha­ftsvertrag verabschie­den, nach dem die Bürger im Gegenzug für Wohlstand auf politische Teilhabe verzichten. Die Corona-Pandemie könnte den Nahen Osten langfristi­g stärker aufmischen als der Arabische Frühling.

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