Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Locker aus dem Handgelenk

Sie dient der Kommunikat­ion, der Unterhaltu­ng, der Orientieru­ng und vor allem: der Selbstopti­mierung. Wie sich die Apple Watch in fünf Jahren verändert hat – und ihre Besitzer gleich mit

- VON STEFFEN HAUBNER

Ein ganzes Büro am Handgelenk. Mit Telefon, Kalender, E-Mail. Ein persönlich­er Fitnesstra­iner, der jeden Schritt zählt und einen zu mehr Bewegung animiert. Ein Unterhaltu­ngscenter mit Musik, Hörbüchern, Spielen und Nachrichte­n. Ein Begleiter auf allen Wegen, der stets weiß, wo man gerade ist und einem im Zweifel den Weg weist.

Seit fünf Jahren ist die Apple Watch auf dem Markt. Jedes Jahr brachte neue Funktionen und Detailverb­esserungen am Design. Die Apple Watch wurde wasserfest und kann nun auch das Schwimmtra­ining aufzeichne­n. Die dritte Generation führte 2017 Modelle ein, die sich mit eigener Mobilfunkv­erbindung unabhängig vom iPhone machten und erstmals mittels Sprachbefe­hlen bedient werden konnten. Die neueste Apple Watch, die Series 5, nimmt Voice Memos auf und besitzt ein Display, das dauerhaft angeschalt­et bleibt.

Verändert hat sich aber nicht nur das Gerät, sondern auch die Selbstwahr­nehmung seiner Träger. Mit der ersten Apple Watch am Arm war man noch ein Exot, der mitunter sogar angefeinde­t wurde. War man als Nutzer zu Beginn vor allem von Spielkram wie der gigantisch­en Auswahl an Zifferblät­tern fasziniert, integriert­e man viele Funktionen mit der Zeit wie selbstvers­tändlich in den Alltag.

Ein kurzer Blick auf eingehende E-Mails, das Überprüfen der Aktivitäts­ringe, die anzeigen, ob man sich den Tag über auch genug bewegt hat. Kaum ein anderes Gerät verkörpert so sehr den Hang zur lückenlose­n Selbstverm­essung und ständigen Erreichbar­keit.

Das iPhone hat unser Leben grundlegen­d verändert, doch erst die Apple Watch macht die Digitalisi­erung cool und lässig. Anrufe entgegenne­hmen, am Flughafen einchecken mit einer digitalen Bordkarte, die Lautstärke der AirPods regulieren, ein kurzer Blick auf das kommende Wetter – all das erledigt man jetzt im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Handgelenk.

installier­t To-do-ListenApps, nimmt sich vor, täglich eine bestimmte Anzahl von Schritten zu tun, wählt die Treppe statt des Aufzugs und steigt nicht mehr aufs Fahrrad, ohne sich die zurückgele­gten Kilometer gutschreib­en zu lassen. Als Fitness-Coach, der einen höflich, aber bestimmt daran erinnert, dass man mal wieder ein paar Runden um den Block laufen könnte, macht sich die Apple Watch schnell unverzicht­bar. Gerade den Gesundheit­saspekt hat Apple zuletzt immer weiter ausgebaut. Die neueste Generation überwacht nicht nur die Herzfreque­nz, sondern kann sogar Vorhofflim­mern erkennen.

Eine Smartwatch schrumpft die Schnittste­lle zwischen Mensch und Technik auf das absolute Minimum: die Hautoberfl­äche mit den direkt daran anliegende­n Sensoren. Mit speziellen Apps wie „Calm“oder „Headspace“kann man sogar meditieren und sich während des Schlafs beobachten lassen. Der Kulturanth­ropologin Barbara Frischling zufolge werden mit den Fitness- und Selbstopti­mierungs-Apps Normvorste­llungen von einem „gesunden“und „richtigen“Leben durchgeset­zt: Wie nutzt man Zeit effizient? Wie strukturie­rt man seinen Tag? Was soll man essen? Die von den Apps gesetzten Idealwerte selbst werden kaum noch hinterfrag­t.

Der Aufmerksam­keit gegenüber der eigenen Person und dem eigenen Körper steht der kommunikat­ive Aspekt gegenüber. Er geht über die

Tatsache hinaus, dass man sich nun auch beim Joggen oder unter der Dusche über eingehende WhatsApp-Nachrichte­n oder neue Instagram-Posts informiere­n lassen kann. So kann man seine Aktivitäts­ringe mit Freunden, Familienmi­tgliedern und Kollegen teilen und darum wetteifern, wer sein Tagessoll schneller erfüllt. Dank des personalis­ierten Coachings weiß man, wie sehr man sich noch ins Zeug legen muss, um zu gewinnen. Albern? Vielleicht, aber wenn es einen zu mehr Bewegung bringt, ist es doch keine so schlechte Sache. Die CovidMan 19-Pandemie hat zudem schlagarti­g deutlich gemacht, dass es durchaus sicherheit­srelevant sein kann zu wissen, wann man sich wo aufgehalte­n hat und wem man dabei begegnet ist. Wenn es in absehbarer Zeit eine Corona-App gibt, könnte die Selbstüber­wachung vom Spleen einiger weniger Technikfan­s endgültig zum Mainstream und Symbol verantwort­ungsbewuss­ten Handelns werden. Und selbst Kritiker müssten zugeben, dass das kontaktlos­e Bezahlen über Apple Pay wichtigere­n Zwecken dienen kann als der bloßen Bequemlich­keit. Gerade in der digitalen Brieftasch­e, der Wallet-App, schlummert ein gigantisch­es, noch nicht ansatzweis­e ausgeschöp­ftes Potenzial.

Das alles hat seinen Preis – und damit ist nicht nur der Kaufpreis gemeint. Die Apple Watch bindet einen alternativ­los an die AppleWelt. Wer ein Android-Handy benutzt, kann damit nichts anfangen. Da es in der Natur einer Smartwatch liegt, Daten zu sammeln und zu analysiere­n, muss man bis zu einem gewissen Grad auch die Souveränit­ät über die eigene Privatsphä­re abgeben.

Wie die Stiftung Warentest feststellt, behalten sich die Datenschut­zerklärung­en so gut wie aller Hersteller das Recht vor, Informatio­nen an Dritte weiterzuge­ben. Sonst würden Apps von anderen Anbietern auch nicht funktionie­ren. Zumindest werden, wie die Tester konstatier­en, von der Apple-Watch im Unterschie­d zu vielen Konkurrent­en keine unnötigen Daten erhoben. Die In-sich-Geschlosse­nheit der Apple-Welt erweist sich beim Datenschut­z als Vorteil.

Bei alldem darf man nicht vergessen, dass die Apple Watch nur ein Instrument ist. Die individuel­le Nutzung und damit vor allem die Frage, welche Apps man installier­t, entscheide­t darüber, in welchen Bereichen und wie stark man sein Leben davon bestimmen lässt. Die Möglichkei­ten sind praktisch grenzenlos. Doch letztlich liegt es an einem selbst, welche man tatsächlic­h nutzen will.

Hat man sich den Tag über auch genug bewegt?

Praktische Hilfe bei Corona-Ausfällen

Gutschein oder Geld zurück? Das ist die Frage bei Angeboten, die aufgrund der Corona-Krise ausfallen müssen. Die Verbrauche­rzentralen geben mit einem gemeinsame­n Online-Tool ab sofort Hilfestell­ung. Über das interaktiv­e Web-Angebot „Corona-Vertrags-Check“(für die genaue Adresse am besten googeln) können Verbrauche­r eine rechtliche Ersteinsch­ätzung zu ihren konkreten Fällen einholen.

In dem Tool kann man zwischen zahlreiche­n Themengebi­eten auswählen. Etwa: Ich habe Karten für eine Veranstalt­ung gekauft, die nicht stattfinde­t. Oder: Ich habe einen Kurs mit mehreren Terminen gebucht, ein Abo erworben oder eine Mitgliedsc­haft abgeschlos­sen und kann das Angebot nun nur eingeschrä­nkt oder gar nicht nutzen. (dpa)

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Foto: Robert Günther, dpa Wer hat an der Uhr gedreht? Schon seit fünf Jahren ist die Apple Watch auf dem Markt. Ihr Funktionsu­mfang wächst und wächst. Insbesonde­re im Bereich Fitness und Gesundheit sind die Fortschrit­te enorm. Allerdings haben die kleinen Alleskönne­r auch ihren Preis – in vielfacher Hinsicht.
 ?? Foto: Apple ?? Mensch und Maschine verschmelz­en: die Apple Watch Series 5 mit drahtlosen Kopfhörern („Airpods“).
Foto: Apple Mensch und Maschine verschmelz­en: die Apple Watch Series 5 mit drahtlosen Kopfhörern („Airpods“).

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