Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Frau fährt ihren früheren Fahrlehrer nieder
Immer wieder verfolgt die Angeklagte ihren früheren Ausbilder. Im Industriegebiet Gersthofen eskaliert schließlich die Situation. Vor Gericht erklärt die 45-Jährige, was ihr „Riesenproblem“ist
Augsburg/Gersthofen Seine erste Stunde am Steuer eines Lastwagens wird der Fahrschüler sicherlich nie vergessen. Ganz sicher auch sein Fahrlehrer nicht. Eine von ihm fotografierte Autofahrerin hat den 52-Jährigen absichtlich angefahren, sein Handy geraubt und ist dann geflüchtet.
Acht Monate nach dem Vorfall, der sich im Industriegebiet von Gersthofen abgespielt hat, sehen sich die Beteiligten vor Gericht wieder. Auf der Anklagebank eine 45 Jahre alte Frau, als Fahrerin bei einem städtischen Verkehrsbetrieb angestellt. Es ist ein Prozess, der wegen der Schwere der Vorwürfe – gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, gefährliche Körperverletzung und Raub – vor einem Schöffengericht stattfinden muss.
Richter Dominik Wagner hatte noch im Vorfeld des Prozesses angeregt, die Taten ohne öffentliche Verhandlung mit einem Strafbefehl zu verurteilen. Vergeblich. Die Angeklagte (Verteidigerin Petra Ditt
will diese Verhandlung, das verraten schon ihre ersten, erregt vorgebrachten Worte. Sie will, dass ihre Richter die „Vorgeschichte“kennen. Sie sollen wissen, warum sie sich „zu so einer Scheiße“habe hinreißen lassen: „Ich bin in Panik geraten, wollte nur wegdüsen.“
Die heute 45-Jährige kennt den Fahrlehrer schon länger. Nach einer Kfz-Lehre hat sie bei ihm den LkwFührerschein gemacht. Danach, so erzählt sie dem Gericht, sei sie mehr als eine Million Kilometer quer durch Europa gefahren, bis sie hier in der Region als Fahrerin im öffentlichen Personenverkehr anheuerte. Zwischen ihr und dem Fahrlehrer sei der Kontakt nie abgebrochen. Sie hätten sich geschrieben, „bis er mich auf einmal ignoriert hat“. Aber sie wollte unbedingt wissen, warum. Da muss wohl das mit dem Stalking begonnen haben. „Sie hat mir ständig geschrieben, mich auf meinem Arbeitsweg abgepasst, ist mir 40 Kilometer bis nach Hause gefolgt“, berichtet der Fahrlehrer.
Es folgten Treffen, die keine Lösung brachten. Beide Seiten fühlen sich verleumdet, schalteten Anwälte ein, ohne Ergebnis. Der 52-Jährige, der verheiratet ist, Kinder hat, zeigt sie schließlich wegen Stalkings an. Die Ermittlungen sind allerdings inzwischen eingestellt.
Auch an jenem Tag ist die 45-Jährige dem Fahrschullastwagen hinterhergefahren. Der Fahrlehrer lässt anhalten, geht zum gleichfalls haltenden Auto der Frau und fotografiert sie. In dem Moment müssen bei der 45-Jährigen alle Sicherungen durchgebrannt sein. Um an das Handy mit dem „Beweisfoto“zu kommen, fährt sie im Schritttempo dem zum Lkw zurückkehrenden Mann nach, touchiert ihn von hinten. Dann, mit höherem Tempo, erfasst sie ihn ein zweites Mal. Einer der Außenspiegel reißt ab.
Der Fahrschüler sieht, wie die Frau ihr Auto anhält und sich aufgebracht auf den Fahrlehrer stürzt, ihm sein Handy entreißt und davonfährt. Stunden später stellt sie sich in Gersthofen auf dem Polizeirevier.
Gegen Ende der Verhandlung kommt es zu einer kuriosen Szene. Richter Wagner lässt einen Metermer) stab holen und vermisst den Fahrlehrer. Wie viel Zentimeter vom Boden misst die Stelle, wo er ein Hämatom erlitten haben will? Tatsächlich stimmt sie nahezu mit der Höhe des Außenspiegels am Auto überein. Die Angeklagte, die dies vehement angezweifelt hat, ist widerlegt.
Das Gericht spricht die Frau am
Ende in allen Anklagepunkten schuldig. Sie wird zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, die für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt ist. In dieser Zeit muss die Frau mehrere Auflagen erfüllen: Einen Führerschein, um ihren Beruf weiter ausüben zu können, darf sie erst in vier Monaten wieder beantragen. Zudem muss sie eine Geldbuße von 1000 Euro an eine gemeinnützige Organisation zahlen. Und jeder Kontakt zu ihrem früheren Fahrlehrer ist ihr verboten. Auf der Straße darf sie ihm nicht näher als 50 Meter kommen. Außerdem muss sie auf Anraten eines Psychiaters, der die 45-Jährige für vermindert schuldfähig hält, eine Therapie beginnen. Dem Fahrlehrer hatte sie am Tag nach dem Vorfall einen Brief mit einer Entschuldigung vor die Haustür gelegt. Ihr Sparbuch mit mehr als 1000 Euro lag bei. Sie hat ihm offenbart, was ihr „ein Riesenproblem“bereitet, wie sie jetzt vor Gericht beinah herausschreit: „Ich bin transsexuell.“Die 45-Jährige fühlt sich im falschen Körper geboren.