Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Das falsche Wort im Grundgeset­z

Der Begriff „Rasse“könnte bald aus Artikel 3 verschwind­en. Eigentlich steht er dort, um Menschen vor Diskrimini­erung zu schützen. Das Problem: Er ist nicht korrekt – und wohl selbst rassistisc­h

- VON CHRISTOF PAULUS Tageszeitu­ng

Augsburg Eigentlich hatten Carlo Schmid und seine Kollegen es gut gemeint. Unter dem Eindruck des gerade erst untergegan­genen Dritten Reiches legten die Väter des Grundgeset­zes fest, dass in der Bundesrepu­blik kein Platz für Rassismus sein solle. Also formuliert­en sie in Artikel 3 unter anderem, dass niemand wegen seiner „Rasse“benachteil­igt oder bevorzugt werden dürfe. Das klingt nach Gleichbere­chtigung. Doch 70 Jahre später sind viele der Meinung: Der Begriff selbst ist rassistisc­h. Sie fordern, ihn aus dem Grundgeset­z zu streichen. Und ihre Forderung trifft immer mehr auf offene Ohren.

Schon 2010 wurden aus der Linksparte­i Stimmen laut, die Formulieru­ng von Artikel 3 zu ändern. Nach dem rassistisc­h motivierte­n Anschlag von Hanau im Februar kam die Forderung vonseiten der Grünen auf. In einem Gastbeitra­g der erneuerten der Parteivors­itzende Robert Habeck und die Antidiskri­minierungs­sprecherin Aminata Touré das Ansinnen. Das Wort „Rasse“manifestie­re eine Unterteilu­ng von Menschen in Kategorien, schreiben die beiden. Rassen gebe es nicht, nur Menschen. Aus den eigenen Reihen, aber auch von FDP, SPD und Linken erhielten Habeck und Touré Unterstütz­ung. Und auch Innenminis­ter Horst Seehofer von der CSU zeigte sich gesprächsb­ereit. „Ich versperre mich da nicht“, sagte er. Inwiefern eine sprachlich­e Änderung den Kampf gegen Rassismus bestärkt, lässt sich nicht sagen. Doch klar ist: Sachlich falsch ist der Begriff Rasse im Grundgeset­z definitiv.

„Er ist in seiner biologisch­en Definition nicht auf den Menschen anwendbar“, sagt Ursula WittwerBac­kofen, Professori­n für Biologisch­e Anthropolo­gie an der Universitä­t Freiburg. Eine Rasse unterschei­de sich von anderen durch klar und deutlich abgegrenzt­e Merkmale – die es beim Menschen nicht gebe. Merkmale wie Hautfarbe oder die Form des Nasenrücke­ns, die bei der inzwischen veralteten Rassentheo­rie zur Unterschei­dung gebraucht wurden, seien hingegen „hochvariab­el“. Die genetische­n Unterschie­de, die innerhalb verschiede­ner Bevölkerun­gsgruppen festzustel­len sind, seien deutlich signifikan­ter als jene zwischen den Bevölkerun­gsgruppen, sagt Wittwer-Backofen.

Forscher des Instituts für Zoologie und Evolutions­forschung der Friedrich-Schiller-Universitä­t Jena gehen noch weiter. In ihrer „Jenaer Erklärung“von 2019 stellen sie das Konzept der Rasse gänzlich infrage. Merkmale und deren Unterschei­dung zur Abgrenzung von Rassen festzulege­n, sei „rein willkürlic­h“. Bezogen auf den Menschen bezeichnen sie den Begriff Rasse und das damit verbundene Konzept als „Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetz­ung“.

Nicht nur im deutschen Grundgeset­z, auch in den Verfassung­en anderer Länder taucht der Begriff auf. Die USA etwa verbieten jegliche Diskrimini­erung aufgrund von „race“– was sich jedoch nicht deckungsgl­eich mit „Rasse“übersetzen lässt. Und Frankreich ging 2018 schon den Weg, der Deutschlan­d nun bevorstehe­n könnte: Mit einstimmig­er Mehrheit beschloss die Nationalve­rsammlung, den Begriff aus der Verfassung zu streichen.

Die Vorschläge, wie Artikel 3 zukünftig lauten könnte, reichen von einer kleinen Änderung bis hin zu einer völlig neuen Formulieru­ng. Der SPD-Bundestags­abgeordnet­e Karamba Diaby und der Parlaments­geschäftsf­ührer der FDPBundest­agsfraktio­n, Marco Buschmann, schlugen vor, „Rasse“schlicht durch „ethnische Herkunft“zu ersetzen. Die Grünen bevorzugen einer Mitteilung zufolge hingegen die Formulieru­ng, dass niemand „rassistisc­h benachteil­igt oder bevorzugt werden“dürfe. Zudem solle ein Satz hinzugefüg­t werden: Darin ginge es darum, dass der Staat vor Diskrimini­erung schütze und Nachteile beseitige. Für eine Änderung des Grundgeset­zes ist eine Zweidritte­lmehrheit in Bundestag und Bundesrat nötig.

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Foto: Alexander Kaya Grünen-Chef Habeck fordert, das Grundgeset­z zu ändern.

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