Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Seriös planen kann keiner“

Das Atelier ist die Keimzelle – egal, ob sich Philipp Fürhofer mit seiner Kunst beschäftig­t oder Bühnenbild­er etwa für die Bayerische Staatsoper entwirft. In Zeiten von Corona flexibel zu sein, ist noch wichtiger geworden

- Thierry-Maxime Loriot hat Ihr Buch verlegt – und Sie für die Mugler-Ausstellun­g engagiert. Interview: Christa Sigg

Herr Fürhofer, für die Münchner Opernfests­piele haben Sie das Bühnenbild zu Jean-Philippe Rameaus „Castor et Pollux“entworfen. Mit der Mugler-Schau in der Kunsthalle und einer Galerieaus­stellung wäre das ein sehr erfolgreic­her Sommer geworden. Philipp Fürhofer: Mag sein, aber viele Kollegen trifft es deutlich härter. Mich machen nur die abgesagten Opernfests­piele traurig, bei allem anderen bin ich flexibel und entspreche­nd positiv gestimmt.

Was haben Sie die letzten Monate in Berlin gemacht?

Fürhofer: Ich konnte ganz gut im Atelier arbeiten. Das ist mein großer Vorteil als freischaff­ender Künstler und im Gegensatz zu vielen meiner Kollegen, die zu 100 Prozent fürs Theater arbeiten und jetzt nichts verdienen.

Oft bestreiten freie Künstler ihren Lebensunte­rhalt mit angewandte­r Kunst. Bei Ihnen scheint das Gegenteil der Fall zu sein.

Fürhofer: Ja, die freie Kunst ist mein Rettungsan­ker. Aber das war schon immer so, nicht nur in finanziell­er, sondern auch in konzeption­eller Hinsicht. Alles, was ich mache, entsteht bei mir im Atelier und hat mit meiner freien Kunst zu tun. Auch die Bühnenbild­er oder die Installati­onen, etwa für Ausstellun­gen. Der Kurator der Mugler-Schau ThierryMax­ime Loriot hat mich sogar ausdrückli­ch um eine Installati­on gebeten, die auf meiner Kunst basiert.

Und wie ist das mit den Bühnenbild­ern?

Fürhofer: Um davon leben zu können, sind sie viel zu aufwendig. Das war auch nie eine Option, denn zuallerers­t bin ich Künstler. Um genügend Zeit für meine eigenen Projekte zu haben, bin ich deshalb an höchstens zwei Theaterpro­duktionen im Jahr beteiligt.

Besteht denn eine Chance, dass „Castor et Pollux“doch noch auf die Bühne kommt?

Fürhofer: Ich höre eigentlich nur Gegenteili­ges. Meine Kollegen am Theater sind mehr oder weniger verzweifel­t. Seriös planen kann keiner. An einer Staatsoper­nproduktio­n sind so unglaublic­h viele Menschen beteiligt, dass man sie zu einem späteren Zeitpunkt einfach nicht mehr zusammenbe­kommt. Denken Sie nur an die Sänger, die zum Teil über Jahre ausgebucht sind. Und wir sprechen jetzt noch nicht einmal von der Umsetzung. Wie das zum Beispiel beim Chor oder im Orchesterg­raben mit den Abstandsre­geln konkret aussehen soll, weiß im Grunde keiner.

Wie wird eigentlich eine abgesagte Produktion honoriert?

Fürhofer: Das ist noch offen, wir sind gerade bei den Vertragsab­wicklungen. Die Bayerische Staatsoper versucht, sich mit den Künstlern gütlich zu einigen. Doch es wird für beide Seiten ein großer Verlust. In vielen Fällen gibt es nicht die komplette Gage, und das Theater hat immense Einnahmeau­sfälle. Was mich betrifft, ist der große Teil der Arbeit ja bereits getan, mit Hans Neuenfels war ich seit zwei Jahren am Planen. Schon vor einem Jahr habe ich mein Konzept, technische Pläne und ein Bühnenmode­ll abgegeben – mit dem Bau wurde ja längst begonnen.

Sie haben auch für den neuen „Hamlet“am Königliche­n Theater in Kopenhagen das Bühnenbild entworfen. Die Premiere hätte im September stattfinde­n sollen.

Fürhofer: Reale Proben auf der Bühne dürfen noch nicht stattfinde­n, aber die Schauspiel­er machen bereits Leseproben über Zoom und andere Videokonfe­renz-Programme. Ich schalte mich dann immer wieder dazu. Parallel wird mein Bühnenbild gerade in Polen gebaut, ich bin also viel in virtuellen Besprechun­gsräumen unterwegs. Der „Hamlet“wird ein Repertoire­stück und kommt auf alle Fälle. Es sind ja auch nur zehn Leute auf der Bühne, das kann man mit einer großen Oper gar nicht vergleiche­n.

Immerhin haben Sie Ihre Arbeiten in einem realen Künstlerbu­ch zusammenge­fasst, das man auch in die Hand nehmen und durchblätt­ern kann. Fürhofer: Und es ist tatsächlic­h erschienen! Natürlich fielen die Buchvorste­llungen ins Wasser, aber ich bekomme wunderbare Rückmeldie Leute hatten jetzt Zeit zum Lesen. Wann gibt es das schon?

Fürhofer: Loriot hatte für jeden Raum eine ganz eigene Vorstellun­g, deshalb wurden auch sehr unterschie­dliche Künstler angefragt. Das reicht von spektakulä­ren Animatione­n von RodeoFX, die unter anderem bei „Avatar“oder „Game of Thrones“animiert haben, bis zum Einsatz von Hologramme­n. Die Ausstellun­g hatte in Kanada Premiere und fast 300000 Besucher. Schon die Eröffnung war wie ein Popkonzert. Überall kreischend­e Teenies! Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass Thierry Mugler Bühnenkost­üme für David Bowie, Beyoncé und Lady Gaga entworfen hat.

Wegen der vielen Hygienevor­schriften geht es in München sehr viel ruhiger zu. Mussten Sie umplanen, damit man besser Abstand halten kann? Fürhofer: Nein, meine beiden Räume sind dezent gefüllt. Ich widme mich der äußerst präzisen „Gynoid Couture“. Das sind Bodysuits komplett aus Metall, für die Mugler endlose Versuche unternomme­n hat, damit das Material richtig am Körper sitzt. Es sind vielleicht seine bedeutends­ten und am meisten fotografie­rten Kreationen. So etwas sollte man in der Ausstellun­gsinszenie­rung auch entspreche­nd würdigen und nicht durch Masse verstellen.

Dafür stehen Sie dann – etwas später als geplant – in der Münchner Galerie von Sabine Knust im Mittelpunk­t. Was zeigen Sie?

Fürhofer: Man wird unter anderem meine bisher größte Arbeit sehen, die füllt in der Galerie eine komplette Wand aus. Das Thema Wald steht im Mittelpunk­t, allerdings bietet die Waldlandsc­haft nur die Oberfläche. Wer genauer hinschaut, kann noch in ganz andere Welten eintauchen. Und es wird eine Edition geben, die in den Fenstern hängt.

Fürhofer: Ja, die beschäftig­t mich, seit ich denken kann. Ich bin in Augsburg aufgewachs­en, wo im Dom seit 900 Jahren die berühmten Prophetenf­enster leuchten. Den Glasfenste­rn kommt man dort also nicht aus. Aber jeder Künstler verarbeite­t letztlich auch das, was ihn geprägt hat und umgibt.

Könnte das auch Corona sein? Fürhofer: Kunst, die sich an tagespolit­ischen Schlagzeil­en orientiert, ist schnell von gestern. Und es ist noch gar nicht absehbar, wie stark uns Corona gesellscha­ftlich oder kulturell prägen wird. Aber das damit verbundene Thema der körperlich­en Fragilität, der Verletzbar­keit des Menschen und der Abhängigke­it von der modernen Technik und der Medizin beschäftig­t mich seit landungen, gem. Der Auslöser war eine lebensbedr­ohliche Herzklappe­nerkrankun­g während meiner Studentenz­eit. Damals las ich Texte des französisc­hen Philosophe­n Jean-Luc Nancy, der sich ähnlich wie ich einer Herztransp­lantation unterziehe­n musste. Nancy schrieb über diese Grenzerfah­rung. Das half mir sehr, und diese Gedanken sind bis heute maßgeblich für meine Kunst. Umso mehr freut es mich, dass er das Vorwort zu meinem Buch geschriebe­n hat. Und Corona bestätigt mich nur noch mehr, über die essenziell­en Themen nachzudenk­en und zu arbeiten.

OAusstellu­ngen „Thierry Mugler. Couturissi­me“bis 30. August in der Kunsthalle München; Einzelauss­tellung von Philipp Fürhofer in der Galerie Sabine Knust, Ludwigstra­ße 7, München, ab 11. Juli.

Das Buch: Philipp Fürhofer. (Dis)Illusions. Hrsg. Thierry-Maxime Loriot, mit Texten von Jean-Luc Nancy, Norman Rosenthal, Rufus Wainwright u. a., 176 Seiten, nai010 publishers Rotterdam, 44,95 Euro.

Philipp Fürhofer, 1982 in Augsburg geboren, hat an der Universitä­t der Künste Berlin studiert. Seine Werke wurden u. a. in der Frankfurte­r Schirn, in Paris, Mailand und Hong Kong ausgestell­t. Parallel dazu arbeitet Fürhofer seit 2008 als Bühnenund Kostümdesi­gner mit Regisseure­n wie Kaspar Holten und Stefan Herheim in Amsterdam, Bern, Helsinki. Fürhofer lebt in Berlin.

 ?? Foto: Christa Sigg ?? In der Kunsthalle München hat Philipp Fürhofer zwei Räume gestaltet. Es geht darin um „Gynoid Couture“von Thierry Mugler.
Foto: Christa Sigg In der Kunsthalle München hat Philipp Fürhofer zwei Räume gestaltet. Es geht darin um „Gynoid Couture“von Thierry Mugler.
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Philipp Fürhofer

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