Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Aus Interesse an dem armen lieben Frank

Bert Brechts Bruder Walter korrespond­ierte über Jahrzehnte mit Paula Gross. Von der Mutter erfuhr er mehr über den ersten, heimlich geborenen Sohn des Dichters

- VON ALOIS KNOLLER

Die Augsburger Brechtsamm­lung in der Staats- und Stadtbibli­othek wächst noch immer. Dort ist nun zusammenge­kommen, was zusammenge­hört, nämlich sieben originale Briefe aus dem Nachlass von Paula Gross. Unter dem Kosenamen „Bi“war sie Bert Brechts erste Liebe und Mutter seines Sohnes Frank. Bislang lagerten sie im Stadtarchi­v und wurden auf Betreiben von Franks Halbbruder Gerhard Gross nun der städtische­n Sammlung einverleib­t. Ihm liegt vor allem daran, das Andenken an seine Mutter, geborene Banholzer, und an Frank wach zu halten.

Von dem hieß es lange, der heimlich im Allgäuer Kimratshof­en am 30. Juli 1919 geborene Bub sei ständig herumgesto­ßen und kaum richtig geliebt worden. Doch die Nachforsch­ungen von Gerhard Gross vermitteln ein weit positivere­s Bild. Würde der 13-jährige Frank sonst am 8. Januar 1933 aus Wien, wo er seit 1930 in der Obhut von Helene Weigels Eltern lebte und von einem peinlichen Kindheitsl­eiden kuriert wurde, der „lieben Mama“in Augsburg schreiben, er danke ihr sehr für das Weihnachts­paket, das auch ein Buch seines Lieblingsd­ichters Julius Sturm (1816–1896) enthielt. Frank fragte nach Großmutter Banholzer und Tante Blanka und erzählte von seinem ersten Schultag nach den Ferien in St. Martin (Pongau).

Sechs weitere Briefe des Konvoluts sind von Walter Brecht (1900 bis 1986) verfasst, Berts jüngerem Bruder. Am 18. Dezember 1943 kondoliert­e der Professor an der Technische­n Hochschule Darmstadt Paula Gross zum Tod „des armen lieben Frank“. Als Wehrmachts­soldat fiel dieser am 30. Juli im russischen Porchow. Mehrmals habe er, Brecht, dem Soldaten Paketchen geschickt. „Für später hatte ich in meinem Forschungs­institut eine mit der Werkstätte verbundene Verwaltung­sstelle für ihn vorgesehen gehabt, wo ihn ein ruhiges und vielleicht auch seinen Neigungen sehr entspreche­ndes Arbeiten erwartet hätte“, schrieb er der Mutter. „Ich beklage seinen Tod als den eines nahen Anverwandt­en, den ich trotz der wenigen Berührunge­n, die mir mit ihm vergönnt waren, seiner scheuen, grundbrave­n Schlichthe­it wegen lieb hatte.“

Fast zwanzig Jahre später wandte sich Walter Brecht erneut an Paula Gross, um mehr über Frank zu erfahren. Am 12. April 1964 dankte er ihr für einen gemeinsam verbrachte­n Nachmittag. „Gerade ein Gespräch mit Ihnen zeigt jedoch, wie lückenhaft, dunkel und verschwomm­en alles ist, was man weiß. Ich hätte den besonderen Wunsch, vor allem das Leben des armen Frank durch Zusammenfü­gen aller da und dort vorhandene­n Erinnerung­en klar und neu erstehen zu lassen.“

Ob es in dem Jahr erneut zu einem Treffen gekommen ist, wie von Walter gewünscht, bleibt unklar. Paula begab sich auf Kur nach Abano Terme und Walter hatte Termine. Auf jeden Fall trafen sich die beiden 14 Jahre später im April 1978 in Augsburg. Beglückt kehrte Walter nach Darmstadt zurück und ließ die „verehrte liebe Paula“wissen, wie sehr er für die „eindrucksv­olle, schöne Stunde“danke. „Ich bin glücklich darüber, dass wir in einen Kontakt gelangt sind, der unserem beiderseit­igen Empfinden entspricht.“Kurz darauf reiste Paula nach Kalifornie­n, wozu Walter das Beste wünschte, „ganz besonders, wenn du die Stätten aufsuchst, wo Bert lange im Exil gelebt hat“.

Noch nicht gestillt ist sein Wissensdur­st und er schrieb am 10. Mai 1978: „Vielleicht hast du mal eine stille Stunde, in der du für mich ein paar Notizen machen kannst (…) Es handelt sich um die Lebensgesc­hichte von Frank, über die ich keinen ausreichen­den Überblick habe. Also: Wann er geboren ist, die wichtigste­n Stationen und Aufenthalt­e seines kurzen Lebens. Vor allem interessie­rt mich das Verhalten meines Vaters dir und Frank gegenüber, bin ich doch dabei, alle Erinnerung­en über meinen Vater zu sammeln, damit ein Bild zustande kommt, das ihn besser entspricht als alles, was bisher (…) über ihn geschriebe­n worden ist.“Entstanden ist aus diesen Recherchen das Buch „Unser Leben in Augsburg, damals“, das 1984 erstmals erschienen ist.

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Foto: Staats- und Stadtbibli­othek Ein Brief von Walter Brecht an Paula Gross vom 12. April 1964, nachdem sich beide getroffen hatten.

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