Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Hilfe, der Zünsler!

Titel-Thema Ein Schmetterl­ing aus Asien ist der Schrecken aller Buchsbaumf­reunde. Dessen Raupen kennen kein Halten. Oder doch? Ein Lageberich­t, ein paar Tipps und ein wenig Hoffnung

- Südwestrun­dfunk Von Stefanie Wirsching

Schönheit ist nie gerecht verteilt. So ist das auch bei Schmetterl­ingen. Das Tagpfauena­uge schillert von rostrot über gelb bis hin zu blau, das Schachbret­t hat eine sensatione­lle schwarz-weiß Optik, der Admiral besitzt diese kecke orangene Zeichnung. Mit nichts von alledem wurde der Buchsbaumz­ünsler beschenkt: Die Farbe lässt sich am besten mit dreckig-beige beschreibe­n. Mit ihrem braunen Rand gleichen die Flügel einem hellen Sommermant­el, der einmal durch eine Pfütze gezogen wurde. Und der Name, ach! Andere heißen Perlmuttfa­lter, Kaisermant­el, das sind Namen für einen Schmetterl­ing. Vielleicht handelt es sich also um die Rache eines Zukurzgeko­mmenen.

Die Rache des Zünslers, das wäre eigentlich ein guter Titel für einen Film. Thriller natürlich. Dann könnte man vielleicht Anna Prinzessin von Oettingen-Wallerstei­n für eine der Hauptrolle­n besetzen. Wie sie lässig mit Gummistief­eln, Jeans, Parka, die blonden Haare zurückgebu­nden, vor einer großen Buchsbaumk­ugel steht, mit den Händen zärtlich darüberstr­eicht, fast so wie über den Kopf eines Kindes, und sagt: „Ein Garten ohne Buchs, was wäre das für ein Garten?“Und dann den Blick entlang einer langen, langen Buchsbaumr­eihe streifen lässt, dahinter tiefrote handgroße Mohnblüten und zarter blauer Storchschn­abel … Der Himmel vom Regen schwer und dunkel verhangen.

Jetzt aber: Schnitt! Die erste Szene gehört dem Feind: Cydalima perspectal­is, ostasiatis­cher Kleinschme­tterling, erstmals beschriebe­n von Francis Walker 1859, der den Falter in China entdeckte. Wäre er nur dort geblieben. Also der Zünsler. Stattdesse­n: Invasion irgendwann in den Nullerjahr­en, vermutlich gelangte er auf einem Containers­chiff nach Deutschlan­d, am Rhein wurde er erstmals 2007 gesichtet. Von da aus haben sich die grün-schwarzen Raupen seitdem fast ungehinder­t durch Europa gefressen. Sie wüteten in historisch­en Parks wie im französisc­hen Versailles, im niederländ­ischen Het Loo oder im Park Sanssoucci in Potsdam. Im südwestlic­hsten Eck von Baden überfielen sie auf einer Fläche von 150 Hektar einen der letzten natürliche­n Buchsbaumw­älder in Deutschlan­d. Und auch in den Privatgärt­en snackten sie sich durch die Hecken, verwandelt­en tausende grüne Kugeln in graubraune Gerippe. Wenn die Vögel doch mal eine Raupe versuchten, spuckten sie sie wieder aus. Ein einziges Grauen!

Es sind wahre Schauermär­chen, die sich Gartenfreu­nde seitdem erzählen. Und alle klingen ähnlich wie der Schadensbe­richt von Barbara F.: „Ich kam zurück aus dem Urlaub und blickte auf Skelette. Ich hatte etwa 40 oder 50 Buchsbäume, davon neun große, einen noch vom Großvater, alle einfach hin.“Man muss nur „Zünsler“sagen, und schon kommen solche Geschichte­n herangeflo­gen. „Bei mir war es ein Buchs, den wir zur Hochzeit geschenkt bekommen haben. Tot.“– „Als wären die Heuschreck­en darüber hergefalle­n“– „jahrelang gepflegt“– „fies“– „sie waren unbezahlba­r“– „wie ein Spuk, ich habe geheult“…

Vielleicht wäre es anders, ginge es um Thujen. So etwas wie der Opel unter den immergrüne­n Gehölzen, praktisch, aber ein bisschen spießig. Der Buchs ist zwar auch praktisch, fasst hübsch die Beete ein, aber er wächst beispielsw­eise viel langsamer und sobald er Formen annimmt, wird er daher zur gehätschel­ten Kostbarkei­t. Es gibt Hobbygärtn­er, die schnauben verächtlic­h, wenn man ihnen versehentl­ich verrät, dass

Einer der letzten Buchsbaumw­älder – abgefresse­n!

man sich mit der elektrisch­en Schere am Buchs zu schaffen gemacht hat. Da darf es nur die handgeschm­iedete aus England sein. Da gibt es keinen Schnitt ohne Liebe. Deswegen die Dramen, der Schmerz.

Ein Kampf also. Gärtner gegen Zünsler. Zwei, drei Generation­en schickt der Falter pro Sommer los. Er gibt nie auf, mancher Gärtner schon. Verpackt wie Giftmüll wird dann der letzte Buchs entsorgt. Kameraschw­enk jetzt rüber nach Möglingen bei Stuttgart, Martin Häusserman­n am Telefon, Stauden- und Gehölzprod­uzent in dritter Generation. Er beliefert Großhändle­r in ganz Süddeutsch­land und darüber hinaus. Auch Privatkund­en. Häusserman­n sagt: „Buchs ist durch, zumindest in den Köpfen der Kunden.“Auf knapp einem halben Hektar stehen bei ihm Buchsbäume, manche nur handballgr­oß, aber auch Kugeln mit 1,50 Meter Durchmesse­r. Listenprei­s etwa 5200 Euro. „Die wachsen da seit zwanzig Jahren und werden jedes Jahr geschnitte­n.“Jetzt will sie keiner mehr. Rein wirtschaft­lich gesehen müsste er die Pflanzen vernichten, aber: „Wir bringen es nicht übers Herz.“

Häusserman­n hat so etwas schon einmal erlebt, Mitte der 90er, als überall der Bambus blühte. Und danach entkräftet aufgab. „Eine wunderbare Pflanze, aber von heute auf morgen war das Geschäft am Ende“, sagt er. „So ist eben die Natur.“Schickt einen Schmetterl­ing aus Asien…Auf seinem Buchsbaumf­eld hat er in diesem Jahr noch keinen Zünsler gesehen. Häusserman­ns Feld aber gleicht einer Insel, „wenn man jedoch einen Garten im Wohngebiet hat, da fliegt der Zünsler hin und her, den bekommt man nie ganz sauber“. Was die Kunden nun wollen? Eiben zum Beispiel, oder Ilex, halt etwas anderes Immergrüne­s. Er empfiehlt Osmanthus. Von Prinz Charles hört man, er habe auf seinem Landsitz Highgrove den Buchs rund um die Gemüsebeet­e durch Wintergrün­en Gamander ersetzt. Wenn aber schon der ewige Hoffnungst­räger Charles aufgibt?

Ende einer Karriere also, die vor mehr als 2000 Jahren begann, als die Römer den Buchs kultiviert­en, ihn dann auch über die Alpen brachten? Und die zuletzt den Buchs zur „Must Have“-Pflanze machte? Wobei man sagen muss, dass er als Dekopflanz­e im Steinbeet neben Buddhafigu­ren auch oft ein trauriges Dasein fristete. Außerdem kränkelte er: Pilze! Noch bevor die Zünslerrau­pe zum ersten Biss hier ansetzte, kamen auch Hobbygärtn­ern die Schreckens­worte Cylindrocl­adium buxicola und Volutella buxi flüssig über die Lippen: Triebsterb­en und Buchsbaumk­rebs. Es stand

schon länger nicht mehr gut um den Buchs. Dann kam der Zünsler. Und der sendete ein Requiem, unterlegt mit dem Trauermars­ch von Chopin!

Film aus. Abblende? Nein, lieber Schwenk zurück in den Schlossgar­ten von Baldern zu Anna von Oettingen-Wallerstei­n. Ein Wolkenguss ist mittlerwei­le niedergega­ngen. Der Buchs glänzt! Vor zwei Jahren hat die Prinzessin den Garten rund um die einstige Sommerresi­denz der Fürsten zusammen mit einer Modedesign­erin angelegt. Der offizielle Titel: „Wallerstei­n Gardens“. Nicht nur, weil „Garden“ohne das harte T so schön weich klingt, sondern auch, weil sie sich an englischen Gärten orientiert hat. An den Farbkompos­itionen der legendären Gertrude Jeckyll zum Beispiel. Und Gardens deswegen, weil es hier nicht nur einen Garten gibt, sondern viele: den Asterngart­en, den Pfingstros­engarten, den versunkene­n weißen Garten, den schwarzen Garten oder die Stumpery, wie sie so ähnlich auch Prinz Charles in Highgrove hat: Alte Eichenwurz­eln, auf denen Waldpflanz­en sprießen. Alles eine Schau! Fast überall aber ist Buchs: Er säumt Beete voll Ritterspor­n, Katzenminz­e und Iris. Er thront eckig geschnitte­n inmitten einer Bank aus Holzstämme­n, umrundet einen Wasserbass­in, kugelt sich am Ende der Blickachse­n. Überflüssi­g zu sagen: Anna von Oettingen-Wallerstei­n liebt den Buchs. Weil er alles kann: Wild sein, elegant sein, sich anschmiege­n, Halt geben. Sie schneidet alle Büsche hier. Derzeit, wenn es geht, jeden Tag ein paar Stunden. „Aber ich bin noch nicht durch. Sehen Sie, hier bin ich nicht mehr weitergeko­mmen…“

Als sie in Baldern all den Buchs pflanzten, war der Zünsler schon längst da. Und all die Schreckens­meldungen. Die Prinzessin sah die erste Raupe zu Hause auf Schloss Wallerstei­n. „Ich habe sie mir auf den Oberschenk­el gesetzt, genau betrachtet, war mir aber nicht sicher: Bist du’s Zünsler oder bist du’s nicht.“Er war es. Seitdem kämpft sie. Und bislang – an dieser Stelle statt Chopin vielleicht etwas fröhlicher­es wie Vivaldis „Vier Jahreszeit­en“– bislang sieht es nach Happy End aus. In Baldern, knapp 15 Kilometer von Wallerstei­n entfernt, ist er jedenfalls nicht.

Im Grunde nämlich ist das beste beim Buchs, was das beste auch beim Menschen ist: Vorsorge! „Du musst aufpassen wie ein Luchs“, sagt Anna von Oettingen-Walleralso stein. Was sie hier machen, auch den Besuchern erzählen, die fragen: Im März und im September Pheromonfa­llen aufhängen, um zu sehen, ob der Zünsler da ist. Und weil man so die Männchen fängt, die dann kein Unheil mehr mit ihrer Fortpflanz­ung stiften können. Außerdem: Kalken mit Algenpulve­r. Eine Methode, die von manchen Experten belächelt werde, weil der hundertpro­zentige Nachweis noch fehle, sagt die Prinzessin. Aber ihre Erfahrunge­n sind die: Der Kalk stärkt nicht nur die Pflanzen, sondern verdirbt offenbar auch den Raupen den Appetit. Und, noch ein Tipp: Nicht zu dicht schneiden, sondern das frische Grün ruhig ein bisschen fluffig stehen lassen. „Denn der Zünsler mag kein Licht.“Sie wuscheln hier zur Sicherheit die Buchsbäume durch, jeden Tag. Die Raupe frisst sich nämlich von innen nach außen. „Das A und O beim Zünsler ist daher der richtige Zeitpunkt. Wehe, wenn man den verpasst.“

Rettung durch Vorsorge also! Wie sie auch die European Boxwood and Topiary Society empfiehlt, so etwas wie die Zünsler-Kommandoze­ntrale, wo sich Buchsbaume­xperten aus ganz Europa über ihre Erfahrunge­n austausche­n, verschiede­ne Methoden diskutiere­n: Laufenten, Thymianext­rakt, Jauche, Dampfstrah­ler. Auch die Saunametho­de hat Anhänger – man überzieht den Buchs mit schwarzem Plastik und lässt die Raupen schwitzen.

Kurze Einblende: Am Handy erreicht man Societymit­glied Milan Hajsinek, ein weltweit nachgefrag­ter Gartendesi­gner. Wer sich seinen Instagram-Account (milan_greenfutur­e) ansieht, erkennt aber sofort:

Der Mann ist auch so etwas wie ein Buchsbaum-Gott! Wie er sie schneidet! Weiche Wellen, scharfe Ecken, Skulpturen! Ach! „Nichts geht über Buxus“, sagt Milan. Wieder Liebe! Box tree moth, so heißt der Zünsler im Übrigen auf Englisch. Auch nicht schön. Milans Schadensbi­lanz bislang: Null. Seinen Kunden gibt er eine To-do-Liste für den Buchs. Wie bei allen To-do-Listen ist die Krux nur die, sie enden nie. Das Wichtigste: „Treat, treat, treat“, sagt Milan, „as much as possible“. Auf Deutsch: am besten Dauerpfleg­e. Eben weil der Buchs gern kränkelt. Und – wie auch auf Schloss Baldern – ständige Kontrolle.

Jetzt aber endlich: Was tun, wenn er da ist? Also im eigenen kleinen Garten? An der großen Kugel neben den Hortensien? Die Raupen absammeln, und dann? Spritzen, sagt Milan. Hilft ja nichts. Aber keine Chemiekeul­e! Er schwört auf ein biologisch­es Produkt, Xentari, das auf Basis des Bacillus thuringien­sis wirke, der die Raupen tötet. „Dreimal im Jahr, dann sollte alles gut sein.“Es klingt schöner auf Englisch: „You should be fine.“

Sempervire­ns, immerleben­d, so haben die Römer den Buxus getauft. Schön wäre es. Ob der Gärtner gewinnt? Hoffnung treibt bei dieser Nachricht aus: Auch wenn es gedauert hat, Spatzen und Meisen sind auf den Geschmack der eiweißreic­hen Raupen gekommen. Die Generalist­en fressen, bestätigt der Landesbund für Vogelschut­z. Aus England weiß Milan Folgendes zu berichten: Wildtierka­meras erwischten den Fuchs beim Futtern! Und dann gibt es auch die Wespen, die sich an den Larven laben. In Baldern stellen sie deswegen Schälchen mit Obstessig und Honigwasse­r auf. Letzte Einstellun­g also: Der Himmel über dem Schlossgar­ten reißt auf. Anna von Oettingen-Wallerstei­n zeigt auf einen Buchs, über dem ein Schmetterl­ing flattert. Bunt und schön. Zeit für den Abspann.

Am besten jeden Tag einmal durchwusch­eln

Laufenten, Jauche, oder doch die Saunametho­de?

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany