Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Hilfe, der Zünsler!
Titel-Thema Ein Schmetterling aus Asien ist der Schrecken aller Buchsbaumfreunde. Dessen Raupen kennen kein Halten. Oder doch? Ein Lagebericht, ein paar Tipps und ein wenig Hoffnung
Schönheit ist nie gerecht verteilt. So ist das auch bei Schmetterlingen. Das Tagpfauenauge schillert von rostrot über gelb bis hin zu blau, das Schachbrett hat eine sensationelle schwarz-weiß Optik, der Admiral besitzt diese kecke orangene Zeichnung. Mit nichts von alledem wurde der Buchsbaumzünsler beschenkt: Die Farbe lässt sich am besten mit dreckig-beige beschreiben. Mit ihrem braunen Rand gleichen die Flügel einem hellen Sommermantel, der einmal durch eine Pfütze gezogen wurde. Und der Name, ach! Andere heißen Perlmuttfalter, Kaisermantel, das sind Namen für einen Schmetterling. Vielleicht handelt es sich also um die Rache eines Zukurzgekommenen.
Die Rache des Zünslers, das wäre eigentlich ein guter Titel für einen Film. Thriller natürlich. Dann könnte man vielleicht Anna Prinzessin von Oettingen-Wallerstein für eine der Hauptrollen besetzen. Wie sie lässig mit Gummistiefeln, Jeans, Parka, die blonden Haare zurückgebunden, vor einer großen Buchsbaumkugel steht, mit den Händen zärtlich darüberstreicht, fast so wie über den Kopf eines Kindes, und sagt: „Ein Garten ohne Buchs, was wäre das für ein Garten?“Und dann den Blick entlang einer langen, langen Buchsbaumreihe streifen lässt, dahinter tiefrote handgroße Mohnblüten und zarter blauer Storchschnabel … Der Himmel vom Regen schwer und dunkel verhangen.
Jetzt aber: Schnitt! Die erste Szene gehört dem Feind: Cydalima perspectalis, ostasiatischer Kleinschmetterling, erstmals beschrieben von Francis Walker 1859, der den Falter in China entdeckte. Wäre er nur dort geblieben. Also der Zünsler. Stattdessen: Invasion irgendwann in den Nullerjahren, vermutlich gelangte er auf einem Containerschiff nach Deutschland, am Rhein wurde er erstmals 2007 gesichtet. Von da aus haben sich die grün-schwarzen Raupen seitdem fast ungehindert durch Europa gefressen. Sie wüteten in historischen Parks wie im französischen Versailles, im niederländischen Het Loo oder im Park Sanssoucci in Potsdam. Im südwestlichsten Eck von Baden überfielen sie auf einer Fläche von 150 Hektar einen der letzten natürlichen Buchsbaumwälder in Deutschland. Und auch in den Privatgärten snackten sie sich durch die Hecken, verwandelten tausende grüne Kugeln in graubraune Gerippe. Wenn die Vögel doch mal eine Raupe versuchten, spuckten sie sie wieder aus. Ein einziges Grauen!
Es sind wahre Schauermärchen, die sich Gartenfreunde seitdem erzählen. Und alle klingen ähnlich wie der Schadensbericht von Barbara F.: „Ich kam zurück aus dem Urlaub und blickte auf Skelette. Ich hatte etwa 40 oder 50 Buchsbäume, davon neun große, einen noch vom Großvater, alle einfach hin.“Man muss nur „Zünsler“sagen, und schon kommen solche Geschichten herangeflogen. „Bei mir war es ein Buchs, den wir zur Hochzeit geschenkt bekommen haben. Tot.“– „Als wären die Heuschrecken darüber hergefallen“– „jahrelang gepflegt“– „fies“– „sie waren unbezahlbar“– „wie ein Spuk, ich habe geheult“…
Vielleicht wäre es anders, ginge es um Thujen. So etwas wie der Opel unter den immergrünen Gehölzen, praktisch, aber ein bisschen spießig. Der Buchs ist zwar auch praktisch, fasst hübsch die Beete ein, aber er wächst beispielsweise viel langsamer und sobald er Formen annimmt, wird er daher zur gehätschelten Kostbarkeit. Es gibt Hobbygärtner, die schnauben verächtlich, wenn man ihnen versehentlich verrät, dass
Einer der letzten Buchsbaumwälder – abgefressen!
man sich mit der elektrischen Schere am Buchs zu schaffen gemacht hat. Da darf es nur die handgeschmiedete aus England sein. Da gibt es keinen Schnitt ohne Liebe. Deswegen die Dramen, der Schmerz.
Ein Kampf also. Gärtner gegen Zünsler. Zwei, drei Generationen schickt der Falter pro Sommer los. Er gibt nie auf, mancher Gärtner schon. Verpackt wie Giftmüll wird dann der letzte Buchs entsorgt. Kameraschwenk jetzt rüber nach Möglingen bei Stuttgart, Martin Häussermann am Telefon, Stauden- und Gehölzproduzent in dritter Generation. Er beliefert Großhändler in ganz Süddeutschland und darüber hinaus. Auch Privatkunden. Häussermann sagt: „Buchs ist durch, zumindest in den Köpfen der Kunden.“Auf knapp einem halben Hektar stehen bei ihm Buchsbäume, manche nur handballgroß, aber auch Kugeln mit 1,50 Meter Durchmesser. Listenpreis etwa 5200 Euro. „Die wachsen da seit zwanzig Jahren und werden jedes Jahr geschnitten.“Jetzt will sie keiner mehr. Rein wirtschaftlich gesehen müsste er die Pflanzen vernichten, aber: „Wir bringen es nicht übers Herz.“
Häussermann hat so etwas schon einmal erlebt, Mitte der 90er, als überall der Bambus blühte. Und danach entkräftet aufgab. „Eine wunderbare Pflanze, aber von heute auf morgen war das Geschäft am Ende“, sagt er. „So ist eben die Natur.“Schickt einen Schmetterling aus Asien…Auf seinem Buchsbaumfeld hat er in diesem Jahr noch keinen Zünsler gesehen. Häussermanns Feld aber gleicht einer Insel, „wenn man jedoch einen Garten im Wohngebiet hat, da fliegt der Zünsler hin und her, den bekommt man nie ganz sauber“. Was die Kunden nun wollen? Eiben zum Beispiel, oder Ilex, halt etwas anderes Immergrünes. Er empfiehlt Osmanthus. Von Prinz Charles hört man, er habe auf seinem Landsitz Highgrove den Buchs rund um die Gemüsebeete durch Wintergrünen Gamander ersetzt. Wenn aber schon der ewige Hoffnungsträger Charles aufgibt?
Ende einer Karriere also, die vor mehr als 2000 Jahren begann, als die Römer den Buchs kultivierten, ihn dann auch über die Alpen brachten? Und die zuletzt den Buchs zur „Must Have“-Pflanze machte? Wobei man sagen muss, dass er als Dekopflanze im Steinbeet neben Buddhafiguren auch oft ein trauriges Dasein fristete. Außerdem kränkelte er: Pilze! Noch bevor die Zünslerraupe zum ersten Biss hier ansetzte, kamen auch Hobbygärtnern die Schreckensworte Cylindrocladium buxicola und Volutella buxi flüssig über die Lippen: Triebsterben und Buchsbaumkrebs. Es stand
schon länger nicht mehr gut um den Buchs. Dann kam der Zünsler. Und der sendete ein Requiem, unterlegt mit dem Trauermarsch von Chopin!
Film aus. Abblende? Nein, lieber Schwenk zurück in den Schlossgarten von Baldern zu Anna von Oettingen-Wallerstein. Ein Wolkenguss ist mittlerweile niedergegangen. Der Buchs glänzt! Vor zwei Jahren hat die Prinzessin den Garten rund um die einstige Sommerresidenz der Fürsten zusammen mit einer Modedesignerin angelegt. Der offizielle Titel: „Wallerstein Gardens“. Nicht nur, weil „Garden“ohne das harte T so schön weich klingt, sondern auch, weil sie sich an englischen Gärten orientiert hat. An den Farbkompositionen der legendären Gertrude Jeckyll zum Beispiel. Und Gardens deswegen, weil es hier nicht nur einen Garten gibt, sondern viele: den Asterngarten, den Pfingstrosengarten, den versunkenen weißen Garten, den schwarzen Garten oder die Stumpery, wie sie so ähnlich auch Prinz Charles in Highgrove hat: Alte Eichenwurzeln, auf denen Waldpflanzen sprießen. Alles eine Schau! Fast überall aber ist Buchs: Er säumt Beete voll Rittersporn, Katzenminze und Iris. Er thront eckig geschnitten inmitten einer Bank aus Holzstämmen, umrundet einen Wasserbassin, kugelt sich am Ende der Blickachsen. Überflüssig zu sagen: Anna von Oettingen-Wallerstein liebt den Buchs. Weil er alles kann: Wild sein, elegant sein, sich anschmiegen, Halt geben. Sie schneidet alle Büsche hier. Derzeit, wenn es geht, jeden Tag ein paar Stunden. „Aber ich bin noch nicht durch. Sehen Sie, hier bin ich nicht mehr weitergekommen…“
Als sie in Baldern all den Buchs pflanzten, war der Zünsler schon längst da. Und all die Schreckensmeldungen. Die Prinzessin sah die erste Raupe zu Hause auf Schloss Wallerstein. „Ich habe sie mir auf den Oberschenkel gesetzt, genau betrachtet, war mir aber nicht sicher: Bist du’s Zünsler oder bist du’s nicht.“Er war es. Seitdem kämpft sie. Und bislang – an dieser Stelle statt Chopin vielleicht etwas fröhlicheres wie Vivaldis „Vier Jahreszeiten“– bislang sieht es nach Happy End aus. In Baldern, knapp 15 Kilometer von Wallerstein entfernt, ist er jedenfalls nicht.
Im Grunde nämlich ist das beste beim Buchs, was das beste auch beim Menschen ist: Vorsorge! „Du musst aufpassen wie ein Luchs“, sagt Anna von Oettingen-Walleralso stein. Was sie hier machen, auch den Besuchern erzählen, die fragen: Im März und im September Pheromonfallen aufhängen, um zu sehen, ob der Zünsler da ist. Und weil man so die Männchen fängt, die dann kein Unheil mehr mit ihrer Fortpflanzung stiften können. Außerdem: Kalken mit Algenpulver. Eine Methode, die von manchen Experten belächelt werde, weil der hundertprozentige Nachweis noch fehle, sagt die Prinzessin. Aber ihre Erfahrungen sind die: Der Kalk stärkt nicht nur die Pflanzen, sondern verdirbt offenbar auch den Raupen den Appetit. Und, noch ein Tipp: Nicht zu dicht schneiden, sondern das frische Grün ruhig ein bisschen fluffig stehen lassen. „Denn der Zünsler mag kein Licht.“Sie wuscheln hier zur Sicherheit die Buchsbäume durch, jeden Tag. Die Raupe frisst sich nämlich von innen nach außen. „Das A und O beim Zünsler ist daher der richtige Zeitpunkt. Wehe, wenn man den verpasst.“
Rettung durch Vorsorge also! Wie sie auch die European Boxwood and Topiary Society empfiehlt, so etwas wie die Zünsler-Kommandozentrale, wo sich Buchsbaumexperten aus ganz Europa über ihre Erfahrungen austauschen, verschiedene Methoden diskutieren: Laufenten, Thymianextrakt, Jauche, Dampfstrahler. Auch die Saunamethode hat Anhänger – man überzieht den Buchs mit schwarzem Plastik und lässt die Raupen schwitzen.
Kurze Einblende: Am Handy erreicht man Societymitglied Milan Hajsinek, ein weltweit nachgefragter Gartendesigner. Wer sich seinen Instagram-Account (milan_greenfuture) ansieht, erkennt aber sofort:
Der Mann ist auch so etwas wie ein Buchsbaum-Gott! Wie er sie schneidet! Weiche Wellen, scharfe Ecken, Skulpturen! Ach! „Nichts geht über Buxus“, sagt Milan. Wieder Liebe! Box tree moth, so heißt der Zünsler im Übrigen auf Englisch. Auch nicht schön. Milans Schadensbilanz bislang: Null. Seinen Kunden gibt er eine To-do-Liste für den Buchs. Wie bei allen To-do-Listen ist die Krux nur die, sie enden nie. Das Wichtigste: „Treat, treat, treat“, sagt Milan, „as much as possible“. Auf Deutsch: am besten Dauerpflege. Eben weil der Buchs gern kränkelt. Und – wie auch auf Schloss Baldern – ständige Kontrolle.
Jetzt aber endlich: Was tun, wenn er da ist? Also im eigenen kleinen Garten? An der großen Kugel neben den Hortensien? Die Raupen absammeln, und dann? Spritzen, sagt Milan. Hilft ja nichts. Aber keine Chemiekeule! Er schwört auf ein biologisches Produkt, Xentari, das auf Basis des Bacillus thuringiensis wirke, der die Raupen tötet. „Dreimal im Jahr, dann sollte alles gut sein.“Es klingt schöner auf Englisch: „You should be fine.“
Sempervirens, immerlebend, so haben die Römer den Buxus getauft. Schön wäre es. Ob der Gärtner gewinnt? Hoffnung treibt bei dieser Nachricht aus: Auch wenn es gedauert hat, Spatzen und Meisen sind auf den Geschmack der eiweißreichen Raupen gekommen. Die Generalisten fressen, bestätigt der Landesbund für Vogelschutz. Aus England weiß Milan Folgendes zu berichten: Wildtierkameras erwischten den Fuchs beim Futtern! Und dann gibt es auch die Wespen, die sich an den Larven laben. In Baldern stellen sie deswegen Schälchen mit Obstessig und Honigwasser auf. Letzte Einstellung also: Der Himmel über dem Schlossgarten reißt auf. Anna von Oettingen-Wallerstein zeigt auf einen Buchs, über dem ein Schmetterling flattert. Bunt und schön. Zeit für den Abspann.
Am besten jeden Tag einmal durchwuscheln
Laufenten, Jauche, oder doch die Saunamethode?