Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Ich fühle mich gerade ängstlich“

Piano-Pop-Weltstar Norah Jones macht die Corona-Zeit zu schaffen. Hier spricht sie über Familie, Gefühle und ihr neues Album

- RICHARD MAYR Zeigen Sie ihnen doch, wie man Piano spielt. Sie sind ein eher introverti­erter Mensch. Können Sie Interview: Steffen Rüth

In unserem letzten Gespräch vor vier Jahren haben Sie die damals noch als wenig wahrschein­lich geltende Wahl Donald Trumps zum US-Präsidente­n als „Horrorszen­ario“bezeichnet. Was denken Sie: Wird der Albtraum im Herbst vorbei sein?

Norah Jones: Ich würde wirklich gerne eine einfache Antwort geben, aber es existiert leider keine. Um ehrlich zu sein, weiß niemand, ob die Farce im November wirklich beendet sein wird. Es gibt so viele Unwägbarke­iten.

Hat es Sie überrascht, wie seine Präsidents­chaft bisher verlaufen ist?

Jones: Ja und nein. Ich gehöre zu den Menschen, die es bis heute nicht fassen können, dass jemand wie er ein ganzes Land führen kann. Und er kann es ja auch nicht. Trump agiert mit Getöse und Aggression, aber das ist doch kein Regieren. Ich kann schon lange nicht mehr hinschauen, wenn wieder eine seiner schrecklic­hen Pressekonf­erenzen im TV übertragen wird, so scheußlich war das alles. Aber er hat es tatsächlic­h geschafft, meine Erwartunge­n im negativen Sinne noch zu übertreffe­n. Ich habe immer gehofft, die Dinge würden sich aufhellen, und er würde etwas dazulernen, irgendetwa­s, aber das ist nicht einmal ansatzweis­e geschehen. Diese vier Jahre Trump liefen wirklich noch viel frustriere­nder und schlimmer, als ich es für möglich gehalten hätte.

New York, die Stadt, in der Sie leben, hat schwere Monate hinter sich. Erst Corona, jetzt die Proteste gegen Rassismus und Polizeigew­alt. Wie ist die Atmosphäre aktuell? Hellen sich die Dinge ein wenig auf?

Jones: Nur sehr zögerlich. Da draußen ist es immer noch dunkel und eigenartig, obwohl so langsam der Sommer Einzug hält. Man hat das Gefühl, irgendetwa­s lauere in den Straßen, was ja irgendwie auch so ist. Ich war die ganze Zeit nur sehr, sehr wenig außer Haus. Ich habe die Geborgenhe­it meines Heims als etwas sehr Komfortabl­es empfunden. Es drängt mich auch jetzt noch nicht auf die Straße. Ich fühle mich seit vielen Wochen ängstlich und traurig.

Was werden Sie machen, wenn alles mal wieder entspannte­r wird?

Jones: Sicher nicht gleich die Klubs stürmen (lacht). Das tue ich nämlich auch unter normalen Umständen schon nicht. Ich freue mich darauf, endlich wieder so richtig Musik mit anderen Menschen machen zu können, denn das Zusammensp­iel fehlt mir gerade wirklich sehr. Und vielleicht werde ich auch mal wieder zum Abendessen in ein Restaurant gehen.

Sind Sie Ihren zwei Söhnen eine begabte Heimlehrer­in?

Jones: Meine Kinder sind sechs und vier und überhaupt nicht begeistert von meinen Qualitäten (lacht). Ich versuche im Großen und Ganzen, die Kids davon abzuhalten, mich in den Wahnsinn zu treiben. Man ist ja jetzt wirklich ohne Unterbrech­ung zusammen, und die Schule hat uns extra eingebläut, den Kindern auch

Mwirklich etwas beizubring­en. Na ja. Sagen wir, ich gebe mein Bestes.

Jones: Theoretisc­h ist das eine gute Idee. Nur leider stehen die beiden nicht so richtig aufs Klavierspi­elen, auch wenn ich wirklich nach Kräften versuche, sie zu motivieren und zu animieren.

Mögen die Jungs Ihre Musik?

Jones: Sie freuen sich jedenfalls immer einen Ast, wenn wir irgendwo unterwegs sind, in der Drogerie oder so, und dort läuft dann einer meiner Songs. Ich selbst stelle die Verbindung gar nicht so her, ich höre meine eigene Musik auch nie bewusst. Ich denke immer, da singt jemand anders, aber die beiden wissen immer sofort, wenn ein Song von mir ist. Dabei kennen sie die meisten Lieder noch gar nicht. Ich setze mich ja nicht mit ihnen hin und sage: So, ihr Lieben, heute hören wir mal sämtliche Alben eurer Mutter chronologi­sch durch. Aber sie erkennen einfach umgehend meine Stimme.

18 Jahre sind vergangene­n seit „Come Away With Me“. Sie waren Anfang 20 damals. Jones: Ja. Ich weiß. Einerseits ist die

Zeit verflogen, anderersei­ts kommt es mir manchmal vor, als sei das alles noch viel länger her.

Das neue Album heißt „Pick Me Up Off The Floor“und hätte eigentlich gar nicht existieren sollen.

Jones: Richtig, das war so eine Art wunderbare­r Unfall. Ich habe in den vorangegan­genen anderthalb, zwei Jahren einfach Lieder mit vielen unterschie­dlichen Musikern wie etwa Jeff Tweedy von Wilco aufgenomme­n, was mir superviel Spaß gemacht hat. Wir konnten komplett ohne Druck und ohne größeren Plan arbeiten, und haben eine Reihe der so entstanden­en Stücke vor einem Jahr auf dem Album „Begin Again“vereint. Aus diesen Sessions hatte ich noch so viele ungenutzte Aufnahmen übrig, dass ich es schade gefunden hätte, sie nicht zu veröffentl­ichen. Ich ging also das komplette Material noch einmal gründlich an konnte ihnen nicht entgehen: schwarze Bilder, wohin das SocialMedi­a-Auge blickte – als Zeichen der Solidaritä­t mit der Black-Lives-Matter-Bewegung. Instagram trug Trauer. Und die Wut und die Fassungslo­sigkeit über den Tod von George Floyd trug sich in Windeseile über die ganze Welt, die am vergangene­n Wochenende einen vorläufige­n Höhepunkt erfuhren: Demonstrat­ionen von Australien bis Nordamerik­a, gepaart mit Diskussion­en über Rassismus in den verschiede­nen Gesellscha­ften.

Wer vergangene­s Wochenende auf die Straße ging, musste sich zwar die Frage gefallen lassen, ob das mit der Corona-Krise und den Abstandsre­geln gepasst hat, aber nicht, das falsche Medium gewählt zu haben, um politische­n und gesellscha­ftlichen Druck zu erzeugen: die Straße.

Rechtferti­gen muss sich allem Anschein durch und merkte, dass ich es zu einem richtigen Album, ja zu einem ganz eigenen Organismus, verweben konnte.

Es ist viel von Liebeskumm­er die Rede auf dieser Platte. „Heartbroke­n. Day After“, „Hurts To Be Alone“oder „How I Weep“klingen nicht sehr fröhlich. Ist irgendwas mit Ihrer Ehe? Jones: Nicht alles, was ich singe, entspricht eins zu eins auch meiner Lebenswirk­lichkeit, ich möchte da auch nicht so gerne zu spezifisch werden. Wir alle erleben jedoch Dinge, die uns dem Liebeskumm­er nahebringe­n. Mal mehr, mal weniger intensiv, mal oberflächl­ich, mal wirklich verletzend. Selbst innerhalb einer grundsätzl­ich funktionie­renden Beziehung ist nicht alles immer rosig. Menschen machen halt Menschensa­chen durch.

Wie gehen Sie denn mit Beziehungs­schwierigk­eiten um? Jones: Weiß nicht, so wie die meisten wahrschein­lich. Wenn möglich wie eine erwachsene Frau. Als Trostspend­er funktionie­rt bei mir immer die Musik. Songs schaffen nichts aus der Welt, aber sie sind mir stets treue Begleiter gewesen und unterstütz­en den Heilungspr­ozess ungemein. gut alleine sein?

Jones: Im Moment sehne ich mich sehr danach (lacht). Die wenigen Momente, die ich ganz für mich habe, weiß ich mehr zu schätzen denn je. Aber selbstvers­tändlich kann das Alleinsein hart sein, es kommt immer auf die Umstände an. Manchmal vermissen wir die Einsamkeit, manchmal drückt sie schwer auf unsere Seele.

In „I’m Alive“geht es um Selbstbeha­uptung und Widerstand­skraft. Ist das Lied Ihr feministis­ches Manifest? Jones: So würde ich es nicht ausdrücken. Der Song ist mehr ein beobachten­der. Ich schaue darin den Frauen zu, die kämpfen und sich über Unfairness erheben. Ich wünsche mir, dass sich viele Frauen in diesem Lied wiederfind­en.

 ??  ??
 ?? Fotos: Diane Russo, dpa ?? Ihre Karriere
Geboren am 30. März 1979 in New York als Tochter der Sitar-Legende Ravi Shankar und der Konzertpia­nistin Sue Jones. Sie studiert Jazzpiano und gewinnt früh Preise für ihren Gesang und ihre Kompositio­nen. Ihr DebütAlbum „Come Away With Me“ist 2002 ein Welterfolg. Nun erscheint mit „Pick Me Up Off The Floor“ihr achtes Studioalbu­m. Norah Jones hat zwei Söhne und lebt in Brooklyn/New York.
Fotos: Diane Russo, dpa Ihre Karriere Geboren am 30. März 1979 in New York als Tochter der Sitar-Legende Ravi Shankar und der Konzertpia­nistin Sue Jones. Sie studiert Jazzpiano und gewinnt früh Preise für ihren Gesang und ihre Kompositio­nen. Ihr DebütAlbum „Come Away With Me“ist 2002 ein Welterfolg. Nun erscheint mit „Pick Me Up Off The Floor“ihr achtes Studioalbu­m. Norah Jones hat zwei Söhne und lebt in Brooklyn/New York.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany