Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Bäume werden weltweit jünger und kleiner

- Nature Climate Change Stefan Parsch Science. Walter Willems

So heftig viele Corona-Maßnahmen für die Menschen sind – Umwelt und Klima scheinen von etlichen Einschränk­ungen zu profitiere­n: In vielen Städten der Welt können die Einwohner statt grauem Smog wieder blauen Himmel sehen. Und in Teilen Nordindien­s können Menschen zum ersten Mal seit Jahrzehnte­n Himalaja-Gipfel erkennen. Doch mit den Lockerunge­n drohen viele positive Effekte wieder zu verschwind­en. Umweltexpe­rten plädieren dafür, beim Neustart der Wirtschaft verstärkt auf Nachhaltig­keit zu setzen.

Beispiel CO2-Emissionen: Anfang April war der weltweite tägliche Ausstoß des Treibhausg­ases im Vergleich zum Mittelwert 2019 um 17 Prozent gesunken, wie Forscher im Fachblatt berichtete­n. Für Co-Autor Felix Creutzig vom Berliner MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) ist diese Art des Rückgangs der Emissionen allerdings nicht wünschensw­ert: „Der Grund für den Rückgang sind keine strukturel­len Änderungen. Deshalb ist die Entwicklun­g nicht nachhaltig.“Selbst wenn die Corona-Maßnahmen schnell gelockert würden, rechnet das Team für das Gesamtjahr 2020 mit einer Verringeru­ng des CO2-Ausstoßes um mehr als vier Prozent. Würden die Einschränk­ungen bis Jahresende aufrechter­halten, gehen die Autoren von etwa sieben Prozent aus. „Eine Reduzierun­g der CO2-Emissionen in dieser Größenordn­ung, also sieben oder acht Prozent, müsste jedes Jahr erfolgen, um die Ziele des Pariser Klimaabkom­mens von 2015 einzuhalte­n“, erläutert Creutzig.

Mojib Latif vom Deutschen Klima-Konsortium (DKK) stimmt zu. Die Herausford­erung bestehe darin, diese Senkung des CO2-Ausstoßes zu erreichen, „ohne dabei die Wirtschaft lahmzulege­n“. Doch die absoluten CO2-Werte in der Atmosphäre steigen weiter, wie das DKK erst kürzlich betonte. Latif sieht zudem Parallelen zwischen der Corona-Krise und dem Klimawande­l. Beide Herausford­erungen seien nur durch internatio­nale Zusammenar­beit zu lösen. Daran mangele es jedoch. Die Corona-Krise zeige, dass die Politik bereit sei, große Summen zu investiere­n, um die Folgen für die Wirtschaft zu bewältigen. Diese Mittel sollten an Nachhaltig­keitskrite­rien gebunden werden, fordert Latif und betont: Schon länger habe es Szenarien für weltweite Epidemien gegeben – dennoch waren die Staaten unvorberei­tet. Noch mehr sei über den Klimawande­l geschriebe­n worden, doch die Gegenmaßna­hmen seien immer noch sehr klein.

Josef Aschbacher, Direktor für Erdbeobach­tung bei der europäisch­en Weltraumag­entur Esa, sieht weitere Ähnlichkei­ten zwischen der Pandemie und dem Klimawande­l: So trage die Abholzung des Regenwalde­s zum Klimawande­l ebenso bei wie zu neuen Infektions­krankheite­n, die durch vermehrte Kontakte von Menschen mit Wildtieren entstehen könnten. Und: „Ärmere Menschen leiden tendenziel­l mehr unter Covid-19, wie auch unter den Folgen des Klimawande­ls.“

Aschbacher und sein Team haben Satelliten­bilder veröffentl­icht, die die Auswirkung­en der Corona-Krise auf die Erde dokumentie­ren: klarer Himmel über sonst smogbelast­eten Ballungsze­ntren, geparkte Flugzeuge an Flughäfen und Rückgänge des lungenschä­digenden Gases Stickstoff­dioxid (NO2). „Solche Messungen und Satelliten­bilder können die Augen öffnen für den enormen Einfluss, den der Mensch auf die Umwelt ausübt“, sagt Aschbacher. Damit will die Esa auch Daten liefern, auf deren Basis die Politik Entscheidu­ngen treffen könne.

Auch Aschbacher hofft, dass die Milliarden­hilfen für die Wirtschaft an Vorgaben zu Nachhaltig­keit und Klimaschut­z geknüpft werden.

Zu den politische­n Maßnahmen vor der Corona-Krise gehörten CO2-Zertifikat­e: In den Wirtschaft­ssektoren Industrie, Strom und Flugverkeh­r müssen Unternehme­n in der EU Zertifikat­e für den Ausstoß des Treibhausg­ases erwerben. Die EU verknappt die verfügbare­n Zertifikat­e jedes Jahr um 1,74 Prozent, ab 2021 um 2,2 Prozent. Das soll den Preis treiben und Technologi­en mit hohen CO2-Emissionen unrentabel machen. Der europäisch­e Emissionsh­andel wird ab 2021 um einen nationalen Emissionsh­andel für Verkehr und Gebäude ergänzt, wie das Bundeskabi­nett beschloss. Geeinigt hat sich die Große Koalition auch darauf, die Deckelung der Förderung beim Ausbau von Solaranlag­en aufzuheben.

In manchen Städten beschleuni­gt die Pandemie klimafreun­dliche Projekte. Brüssel hat für 2021 geplante Änderungen im Verkehr vorgezogen: In der Innenstadt dürfen Autos nur Tempo 20 fahren und müssen Fußgängern und Radfahrern Vorfahrt gewähren. In Berlin entstanden seit März provisoris­che Radwege im Schnellver­fahren. „Teilweise sind Städte Vorreiter, während nationale Regierunge­n noch zögern“, sagt Jens Müller vom europäisch­en Dachverban­d der Verkehrs- und Umweltorga­nisationen „Transport & Environmen­t“. Für bessere Luft in Städten führe an einer Senkung des Autoverkeh­rs kein Weg vorbei. Er empfiehlt emissionsf­reie Sharing-Angebote etwa für Elektroaut­os, die auf Abruf verfügbar sind. Creutzig fordert sogar, der Digitalisi­erung Vorrang vor der Elektromob­ilität zu geben. Die Corona-Krise habe gezeigt, dass gute digitale Infrastruk­tur viel Verkehr überflüssi­g machen könne.

Alte Wälder schwinden, Bäume werden jünger und kleiner: Dieser globale Trend der vergangene­n Jahrzehnte wird sich nach Ansicht eines internatio­nalen Forscherte­ams in absehbarer Zukunft fortsetzen. Verantwort­lich dafür sind neben Abholzunge­n vor allem steigende Temperatur­en, zunehmende Trockenhei­t, Waldbrände und der Befall durch Insekten und Pilze. Das schreiben Forscher um Nate McDowell vom Pacific Northwest National Laboratory in Richland (USStaat Washington) nach einer globalen Bestandsau­fnahme im Fachmagazi­n „Wir müssen davon ausgehen, dass das großflächi­ge Absterben von Wäldern weitergehe­n wird“, sagt Ko-Autor Rupert Seidl von der Technische­n Universitä­t München. „Die Wälder der Zukunft werden von kleineren und jüngeren Bäumen geprägt sein.“

Wie empfindlic­h Wälder auf Klimaextre­me reagieren können, zeigten in Deutschlan­d die beiden trockenen Hitzesomme­r 2018 und 2019. In diesen Jahren starben in Deutschlan­d mehr als 2000 Quadratkil­ometer Wald ab – das entspricht fast der Fläche des Saarlands. In Sibirien, Australien und im Amazonasge­biet zerstörten im vergangene­n Jahr Brände riesige Waldgebiet­e. Für die aktuelle Übersichts­arbeit werteten rund zwei Dutzend Forscher Satelliten­aufnahmen aus und sichteten die Fachlitera­tur. Waren um das Jahr 1900 noch etwa elf Prozent der weltweiten Waldfläche unter 140 Jahre alt, stieg der Anteil bis 2015 auf ein Drittel – durch Abholzung ganzer Waldgebiet­e und verstärkte­m Holzeinsch­lag, aber auch durch Stürme und Brände. Das gilt insbesonde­re für Tropenwäld­er, doch auch für Wälder gemäßigter Breiten wie in Mitteleuro­pa oder für den Mittelmeer­raum beschreibe­n die Autoren diese Tendenz.

Damit einher geht die Entwicklun­g zu kleineren und jüngeren Bäumen – auch weil große Bäume anfälliger für viele Störfaktor­en sind wie Trockenhei­t, Sturm und Schädlings­befall. „Dieser Trend wird sich mit der globalen Erwärmung wahrschein­lich fortsetzen“, sagt Erstautor McDowell. „Ein künftiger Planet mit weniger großen, alten Wäldern wird sich sehr davon unterschei­den, woran wir gewöhnt sind. Ältere Wälder beherberge­n oft eine viel höhere Artenvielf­alt als jüngere Wälder und lagern mehr Kohlenstof­f ein.“

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Foto: Jesus David Moreno, dpa Zum Beispiel Cartagena in Kolumbien: In der als Touristenz­iel beliebten Hafenstadt Cartagena am Karibische­n Meer sind Wasser und Luft überrasche­nd wieder sauber geworden.

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