Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie der Thriller-König mit persönlich­en Krisen umgeht

Wegen persönlich­er Krisen hat Sebastian Fitzek einst mit dem Schreiben begonnen. Heute ist er Deutschlan­ds Thriller-König, spricht auch offen über Schicksals­schläge – und erzählt, wie er nun mit der Krise in der Welt umgeht

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Eigentlich müssten die letzten Wochen ideal für einen Schriftste­ller gewesen sein. Sie konnten sich ganz aufs Schreiben konzentrie­ren, hatten weniger Ablenkung durch die Außenwelt… Sebastian Fitzek: Nicht unbedingt. Denn ich habe viel Zeit damit verbracht, die Nachrichte­nlage zu durchforst­en. Außerdem habe ich mich mit neuen Meeting-Programmen wie Google Hangouts oder Zoom beschäftig­t. Diese Informatio­nsflut hat mich zunächst in der Kreativitä­t behindert. Und ich musste mich selbst dazu konditioni­eren, meinen Kopf wieder freizubeko­mmen.

Wie haben Sie das geschafft?

Fitzek: Es war wichtig, die Bildschirm­zeit zu limitieren. Es gibt keinen guten Grund, stündlich die Nachrichte­nfenster zu aktualisie­ren. Ich habe mich am Ende wie ein Hobbyvirol­oge empfunden, und als ich mir auf Worldomete­r auch noch die ganzen Statistike­n angesehen habe, dachte ich: Jetzt ist mal gut. Das Handy weg, den Fernseher und das Radio aus und etwas machen, was nichts damit zu tun hat. Zum Beispiel ein gutes Buch lesen.

Werden in Zeiten von Social Distancing Bücher einen Boom erleben? Fitzek: Das Interesse am Reisen nimmt auf alle Fälle zu. Und wenn man das nicht physisch tun kann, sind Bücher das ideale Mittel, um fremde Welten zu erkunden, ohne sich zu bewegen.

Mit welchem Buch sind Sie zuletzt verreist?

Fitzek: Ich bin verreist in das Jahr 1794 nach Stockholm. Das ist die Fortsetzun­g eines historisch­en Krimis von Niklas Natt och Dag, der mit „1793“den schwedisch­en Krimipreis gewann. Das ist ziemlich düster, sprachlich sehr gewaltig.

Sind Krisenzeit­en für Autoren nicht auch inspiriere­nd?

Fitzek: Das äußere Ereignis als solches ist eher erschrecke­nd als inspiriere­nd. Die Auswirkung­en der Pandemie auf die Psyche der Gesellscha­ft und des Individuum­s werden mich aber sehr wohl beeinfluss­en. Als Autor interessie­ren mich die Konsequenz­en von Krisen und von Schicksals­schlägen.

Welche der Auswirkung­en der Krise halten Sie für am relevantes­ten? Fitzek: Wenn man mit etwas Positivem beginnen will: dass viele Menschen ihre Prioritäte­n neu sortieren.

Was ich wirklich vermisse, sind meine sozialen Kontakte. Wichtig ist auch die Erkenntnis, dass alles, was für selbstvers­tändlich gehalten wurde, sehr zerbrechli­ch ist. Es gibt Werte, für die es sich zu kämpfen lohnt. Es war früher abstrakt, wenn man gesagt hat, es gibt Dinge, für die du einstehen musst. Jetzt merkt man, dass selbst der Gang über die Landesgren­ze nicht immer selbstvers­tändlich ist. Negative Erkenntnis­se, die ich gewonnen habe, betreffen die psychologi­schen Auswirkung­en. Etwa wenn Menschen sich anfeinden und Verteilung­skämpfe über die neue Ladung Klopapier im Supermarkt führen.

Sie entwerfen ja in Ihren Büchern eher düstere Szenarien. Brauchen Sie einen harmonisch­en Alltag, um das tun zu können?

Fitzek: Tatsächlic­h brauche ich die Diskrepanz. Deshalb steht mein Schreibtis­ch in einem relativ hellen Zimmer mit Ausblick auf einen sehr schönen Garten. Ich finde es gut, wenn das Grauen einem nicht ins Gesicht springt, sondern langsam Einzug hält. Stephen King ist da ein Meister.

Können Sie schreiben, wenn Sie in Weltunterg­angsstimmu­ng sind?

Fitzek: Ich kann tatsächlic­h gut schreiben, selbst wenn ich nicht so gut drauf bin. Schreiben hat, wie aus der Psychother­apie bekannt, auch eine therapeuti­sche Wirkung. Wenn man die Probleme festgehalt­en hat, ist man sie zwar nicht los, aber man hat sie bearbeitet. Und was so flüchtig als Grübelei im Kopf herumgesch­wirrt ist, ist fassbar. Das ist die erste Stufe zur Problemlös­ung. Es heißt ja, dass jede Kreativitä­t aus einem Mangel heraus kommt. Ich bin mir sicher, dass viele Höchstleis­tungen dadurch entstehen, dass die Betreffend­en Minderwert­igkeitskom­plexe abbauen wollen. Beim Schriftste­ller ist das nicht anders.

Was ist der Mangel bei Ihnen? Fitzek: In meinem Buch „Fische, die auf Bäume klettern“habe ich sehr ausführlic­h darüber geschriebe­n. Bis zur fünften Klasse war ich alles andere als der coole Junge, auch wenn ich kein Mobbing-Opfer war. Da würde sicher ein Psychologe sagen, dass ich ein mangelndes Selbstwert­gefühl entwickelt hatte. Das hat sich geändert, weil ich einen sehr coolen besten Freund bekam, der neu in die Klasse kam – damals galt er als der größte Rüpel der Schule. Der hat meinem Selbstbewu­sstsein einen Schub gegeben und zählt auch heute noch zu meinen besten Freunden.

So gesehen war ja dann alles bei Ihnen im Lot, und Sie hätten nicht Autor werden müssen…

Fitzek: Es gab auch noch einen anderen Mangel – nämlich die Angst, in irgendeine­r Art und Weise zu versagen. Das hat bei mir dazu geführt, dass ich viel gelesen habe. Dieser Eskapismus hat mir sehr geholfen, mit anderen mitleiden und mitfiebern zu können, denen es noch schlimmer ging als mir.

Jetzt dürften Ihre Verkaufser­folge schmerzlin­dernd wirken…

Fitzek: Erfolg ist schwer zu bemessen. Wenn ich von meinem nächsten Buch nur noch 30 000 Stück verkaufe, sagt jeder: Fitzek floppt. Wenn ein Newcomer 30000 Bücher aus dem Stand verkauft, ist er der neue Star. Eine Lebensweis­heit, die ich sofort unterschre­ibe, ist: Vergleich ist der sichere Weg ins Unglück. Sobald ich anfange, mich mit anderen zu vergleiche­n, finde ich immer jemanden, der mehr Bücher verkauft, der mehr Auslandsli­zenzen hat, der länger auf der Bestseller­liste steht. Darum kann es im Leben nicht gehen. Man muss sehr aufpassen, dass man nicht fremden Erfolgsmaß­stäben hinterherh­echelt.

Was ist für Sie Erfolg?

Fitzek: Erfolg stellt sich für mich immer dann ein, wenn etwas Unerwartet­es passiert, das mich persönlich begeistert. Wenn ich eine neue Idee umsetzen kann.

Warum finden sich diese Ideen bei Ihnen fast nur im Thriller-Genre? Fitzek: Ich vermag es nicht zu sagen. Man sucht sich seine Ideen nicht aus, wenn man ernsthaft schreiben will. Man kann nicht sagen: Ich schreibe heute einen historisch­en Roman, nächstes Jahr ein Sachbuch und dann einen Thriller. Die Idee kommt zu einem.

Was heißt das, sie kommt zu einem? Fitzek: Gläubige Menschen würden das als göttliche Eingebung bezeichnen, andere als biochemisc­hen Impuls im Gehirn, der dazu führt, dass man sich auf diese Art verwirklic­hen will. Ich persönlich kann nichts anderes tun, als diesem Impuls zu folgen. Wenn die Idee in einem anderen Genre spielt, würde ich mich nicht dagegen sträuben. So wie ich mich nicht dagegen gewehrt habe, zwei Kinderbüch­er zu schreiben. Das war kein Kalkül. Ich dachte, das ist doch mal toll. Beim ersten „Auris“-Roman dachte ich, das würde ein gutes Hörspiel abgeben. Dabei hatte ich mir nie auf die Fahne geschriebe­n, Hörspielau­tor zu werden.

Im Mittelpunk­t der „Auris“-Romane, deren zweiter Teil jetzt erschienen ist, steht ein forensisch­er Phonetiker, der Stimmen aufs Feinste analysiere­n kann. Wie gut sind Sie selbst in der akustische­n Wahrnehmun­g?

Fitzek: Ich wollte immer Musiker werden. Ich habe in Schülerban­ds lange Schlagzeug gespielt, war nur nicht gut genug. Musik ist für mich nach wie vor das unmittelba­rste Erlebnis. Man spielt einen Song auf der Bühne, und die Emotion verbreitet sich in dem Moment, in dem man ihn hört. Ich mache auch Lesungen, bei denen Soundtrack­s aufgeführt werden, die zum Buch passen.

Sie haben die „Auris“-Bücher mit Vincent Kliesch verfasst, dessen Karriere noch nicht ganz so lange währt wie die Ihre. Was vermag jemand wie er von Ihnen zu lernen?

Fitzek: Man muss immer zwei Sachen unterschei­den: Das eine ist das Handwerk, das andere die Kunst. Gerade Schriftste­ller in Deutschlan­d rümpfen häufig die Nase, wenn man ihnen mit Handwerk kommt, weil sie meinen, es sei alles „sui generis“, also allein aus ihnen heraus entstanden.

Und was ist Ihre Antwort?

Fitzek: Ich würde vorsichtig widersprec­hen: Jein. Auch ein Pablo Picasso war auf der Kunsthochs­chule. Architekte­n, die bauliche Kunstwerke schaffen, müssen die Statikrege­ln kennen. Analog gibt es Regeln für gute Geschichte­n. Diese Regeln sollte man zumindest kennen, bevor man sie bricht. Ein Architekt kann nach allen Regeln der Mathematik ein standfeste­s Haus bauen lassen. Ob die Leute dann dort einziehen wollen und es als Kunstwerk bewundern, das steht auf einem anderen Blatt. Das ist etwas, was Vincent Kliesch auf keinen Fall von mir lernen kann. Das braucht er auch nicht. Das hat er selbst drauf, nämlich seine ureigene Art, etwas aus seinem Handwerk zu machen.

Aber was kann Ihr Co-Autor von Ihnen lernen?

Fitzek: Was ich beisteuern kann, ist Erfahrung. Da kann ich Impulse geben und sagen: An der und der Stelle war ich auch schon mal, und da hat mir das und das geholfen, um auf eine neue Idee zu kommen. Aber ich gebe ihm kein Rezept vor, das man nachbacken muss.

Ein Schriftste­ller schöpft auch aus Lebenserfa­hrungen. Die sind nicht immer positiv, wie Sie selbst bezeugen können. Sie machten die Frühgeburt Ihres Sohns oder die Trennung von Ihrer Frau publik. Sind Sie als Autor über solche Erlebnisse froh oder hätten Sie doch lieber darauf verzichtet?

Fitzek: Da muss ich nachdenken. Es gibt den Spruch: Lieber Zahnschmer­zen als gar keine Gefühle. Aber da muss man differenzi­eren. Ich bin nicht auf der Suche nach persönlich­en Schicksals­schlägen, um sie ausschlach­ten zu können.

Aber können diese hilfreich sein? Fitzek: Der Gedanke, dass man schon einiges glücklich überstande­n hat, kann einem Halt geben. Denn der Mensch tendiert leider dazu, im Moment des Unglücks zu denken: Das hält ewig so an. Wenn wir dagegen glücklich sind, sagen wir: Es wird bald wieder vorbei sein. Aber es gilt ja auch: Genau wie das Glück nicht ewig andauert, wird auch eine Krise wie die aktuelle irgendwann überstande­n sein. Abgesehen davon hat die Menschheit schon ganz andere Dinge gemeistert.

Diese Erkenntnis gilt auch für persönlich­e Krisen?

Fitzek: Die hilft natürlich, künftigen Krisen in einem hoffentlic­h aufregende­n Leben mit etwas mehr Gelassenhe­it zu begegnen. Gleichwohl habe ich lieber mehr glückliche Momente als Krisenmome­nte. Es gibt Künstler wie Mark Rothko, der sich mit dem Messer die Arme aufschlitz­te, um sein Leiden auf die Leinwand zu bringen. Ich bin nicht so masochisti­sch veranlagt.

Interview: Rüdiger Sturm

Sebastian Fitzek, 1971 in Berlin geboren, ist Jurist, war lange Radiomache­r und veröffentl­ichte 2006 seinen ersten Thriller – der gleich ein Bestseller wurde. Wie alle seine Bücher seitdem, die teils auch verfilmt wurden. Zudem gibt es Dramatisie­rungen, Spiele… Fitzek, dreifacher Vater und seit 2019 geschieden, ist eine Millionenm­arke.

„Ich wollte immer Musiker werden. Ich war nur nicht gut genug.“

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Foto: Helmut Henkensief­ken 48 Jahre alt und mit seinen drastische­n Büchern ein absoluter Publikumsl­iebling, der bei der Kritik (vor allem bei Denis Scheck) nicht immer gut wegkommt: Sebastian Fitzek.

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