Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Müssen auch wir unsere Denkmäler stürzen?

Statuen erinnern an koloniale Verbrechen. Grüne: Stehen lassen keine Option

- VON MARGIT HUFNAGEL

Augsburg/Atlanta Wo beginnt Rassismus und wie lässt er sich am wirkungsvo­llsten bekämpfen? Zwei scheinbar einfache Fragen, um deren Antworten derzeit heftig gerungen wird. Während in deutschen Städten erneut tausende Menschen auf die Straße gingen, um gegen Ungerechti­gkeit und Rassismus zu demonstrie­ren, bekam der Protest in vielen anderen Ländern eine neue Dynamik. Vor allem Denkmäler für führende Figuren der Kolonialge­schichte wurden zerstört oder beschädigt. In Belgien wurden an mehreren Orten Statuen von König Leopold II. (1835–1909) mit Farbe übergossen und umgeworfen – Leopold hatte einst den Kongo systematis­ch ausgeplünd­ert, Millionen Menschen verloren in dieser Zeit ihr Leben. Auch in den USA und Großbritan­nien entlud sich die Wut vieler Menschen an kolonialen Denkmälern.

In Deutschlan­d wächst unterdesse­n die Debatte, wie mit der Erinnerung an die eigene Kolonialge­schichte umgegangen werden sollte. Unter anderem steht eine Statue von Hermann von Wissmann in Bad Lauterberg im Harz, eine Büste von Gustav Nachtigal in Stendal, Kasernen in Norddeutsc­hland wurden einst nach Paul von Lettow-Vorbeck benannt – alle drei Männer waren an Verbrechen in den Kolonien beteiligt. Deutschlan­d hatte sich unter anderem Länder in Afrika, Ozeanien und Ostasien einverleib­t. Bis heute streitet Berlin mit der Regierung von Namibia über eine finanziell­e Entschädig­ung für den Massenmord an den Herero.

„Die Opfer von Rassismus sind die Helden und Heldinnen, denen wir gedenken sollten, nicht den Tätern“, sagt Erhard Grundl, Sprecher für Kulturpoli­tik bei den Grünen. Für ihn ist klar: Nur weil die Denkmäler Teil der deutschen Geschichte sind, heißt das nicht, dass sie unantastba­r sind. Das bedeute nicht, dass alle Statuen abgerissen werden müssten. „Das Stehenlass­en von Denkmälern, die von Rassismus und anderen Verbrechen zeugen, ist indes keine Option“, sagt Grundl unserer Redaktion. Deutschlan­d werde an diese Erinnerung­sstätten Hand anlegen müssen. „Damit meine ich nicht, sie einfach zu tilgen und somit aus dem öffentlich­en Blickfeld der nachfolgen­den Generation­en zu entfernen“, erklärt der Grünen-Politiker. „Wir sollten die Aufarbeitu­ng unserer Geschichte immer sichtbar machen, also diese Denkmäler wirklich stürzen.“Das Umlegen oder Auf-den-Kopf-Stellen, wie es Prof. Jürgen Zimmerer von der Uni Hamburg in seiner Idee der „Gegendenkm­äler“vorschlage, halte er für deutlich wirkungsmä­chtiger. Doch alleine mit baulichen Veränderun­gen wird es nach Ansicht der Grünen nicht getan sein.

Wieder wird ein Schwarzer von US-Polizei erschossen

„Wir brauchen aber vor allem Orte, an denen unsere jüngere und fernere Vergangenh­eit aktiv aufgearbei­tet werden kann“, sagt Grundl. „Denn zur Auseinande­rsetzung mit unserer Geschichte gehört mehr als nur das bloße Aufstellen von Denkmälern.“

In den USA spitzte sich die Lage derweil erneut zu. Der Tod eines weiteren Afroamerik­aners bei einem Polizeiein­satz hat zu neuen Protesten geführt. In Atlanta im Bundesstaa­t Georgia steckten Demonstran­ten ein Schnellres­taurant in Brand, vor dem ein 27-Jähriger von einem Polizisten niedergesc­hossen worden war. Atlantas Polizeiche­fin Erika Shields trat zurück. Der Beamte, der auf den Mann geschossen hatte, wurde entlassen – dies hatte Bürgermeis­terin Keisha Lance Bottoms gefordert. Der neue Vorfall befeuerte die anhaltende­n landesweit­en Proteste gegen Rassismus und Polizeigew­alt.

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