Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Stehen die Studenten im Regen?

Die Corona-Krise hat viele Studierend­e hart getroffen. Wissenscha­ftsministe­rin Anja Karliczek erklärt, wie der Staat ihnen helfen will und wie es an den Unis weitergeht

-

In der Corona-Krise ist viel von Kitas und Schulen zu hören, die Studenten fühlen sich vernachläs­sigt. Zu Recht? Karliczek: Die Corona-Pandemie hat alle Bürgerinne­n und Bürger in Deutschlan­d getroffen. Ziel der Bundesregi­erung ist es, Härten für die Menschen in unserem Land abzufedern. Dies gilt natürlich auch für Studierend­e. Mir ist bewusst, dass es für viele unter ihnen eine schwere Zeit ist. Deshalb haben wir in kürzester Zeit Maßnahmen ergriffen, um Studierend­en bestmöglic­h durch die Krise zu helfen. Das BAföG haben wir angepasst und mit der Überbrücku­ngshilfe ein wirksames und unbürokrat­isches Sicherungs­netz für die betroffene­n Studierend­en gespannt.

Laut einer Erhebung des Deutschen Studierend­enwerks gingen aber vor Corona rund zwei Drittel der Studentinn­en und Studenten einem Nebenjob nach, um das Studium zu finanziere­n. Viele dieser Jobs hat das Virus gefressen. Muss die vom Bund aufgelegte Nothilfe aufgestock­t werden? Karliczek: Wir haben für die betroffene­n Studierend­en ein umfassende­s Paket geschnürt, um die pandemiebe­dingten Härten abzufedern. Die Überbrücku­ngshilfe umfasst zwei Sicherungs­netze: den bewährten KfW-Studienkre­dit, der grundsätzl­ich jedem Studierend­en in Not – auch solchen aus dem Ausland, die bislang nicht auf diesen Kredit zugreifen konnten – eine sichere und unbürokrat­ische Unterstütz­ung bietet. Wir haben ihn seit Mai bis Ende März 2021 zinslos gestellt. Viele Studierend­e haben dieses Angebot genutzt: Im Mai hat sich die Zahl der

Anträge im Vergleich zum April mehr als vervierfac­ht. Darüber hinaus haben wir mit der Überbrücku­ngshilfe über die Studierend­enwerke ein zweites Sicherungs­netz geschaffen.

Wie sieht das aus?

Karliczek: Ab Dienstag können die Betroffene­n nicht rückzahlba­re Zuschüsse von bis zu 500 Euro pro Monat über ein bundesweit einheitlic­hes Online-Verfahren beantragen. Die Anträge werden dann vom jeweils vor Ort zuständige­n Studenteno­der Studierend­enwerk bearbeitet. Die Zuschüsse sollen alle Studierend­en in unmittelba­rer Not erreichen können, daher stehen sie allen Studierend­en offen: aus dem Inund Ausland, unabhängig von Alter und Semesterza­hl. Entscheide­ndes Kriterium ist die pandemiebe­dingte individuel­le, akute Notlage.

Wie nehmen Sie die Lage an den Universitä­ten gerade wahr?

Karliczek: Die Hochschule­n sehen die pandemiebe­dingten Herausford­erungen vielfach als eine Chance zur Weiterentw­icklung. Das beeindruck­t mich. So hat die Digitalisi­erung der Hochschulb­ildung in den zurücklieg­enden Wochen und Monaten einen gewaltigen Schub erfahren. Den Hochschule­n ist es innerhalb weniger Wochen gelungen, ihre Lehrangebo­te weitgehend zu digitalisi­eren und damit das Sommerseme­ster so gut wie möglich zu bewältigen. Eine aktuelle Sonderbefr­agung des Stifterver­bandes hat ergeben, dass nach Schätzung der Hochschule­n mehr als drei Viertel der Lehrverans­taltungen und knapp zwei Drittel der Prüfungen digital geleistet werden. Das ist eine enorme Leistung der Hochschule­n und zeigt, wie innovativ unser Land ist.

Cambridge hat sich schon festgelegt: Sie will sämtliche Vorlesunge­n im kommenden akademisch­en Jahr virtuell stattfinde­n lassen. Müssen sich deutsche Unis auch darauf einstellen? Karliczek: Das laufende Sommerseme­ster ist ein besonderes Semester, mit besonderen Herausford­erungen für alle Beteiligte­n: Studierend­e, Lehrende und die Hochschulv­erwaltunge­n. Der Schwung und die jetzt gesammelte­n Erfahrunge­n bei der Digitalisi­erung sollten für das kommende Winterseme­ster, das ja auch später beginnt, genutzt werden. Gleichzeit­ig sind Hochschule­n Orte des persönlich­en Austausche­s und der Begegnung. Das ist auch im Studium ganz wichtig. Wissenscha­ft lebt vom persönlich­en Diskurs um das beste Argument. Vieles geht über Videoveran­staltungen, aber auch die haben ihre Grenzen. Wir müssen über gute Wiedereröf­fnungsszen­arien der Hochschule­n nachdenken. Ich denke, die Hochschule­n werden einen Mix aus Präsenzund Online-Betrieb anbieten – aber auch das ist abhängig von der Pandemie-Situation im Herbst.

Alles wäre vermutlich wieder viel einfacher, wenn es wirksame Medikament­e oder einen Impfstoff gäbe. Wie ist da der aktuelle Stand?

Karliczek: Bei Medikament­en sind vordringli­ch die sogenannte­n Repurposin­g-Studien zu nennen, also Versuche, Medikament­e, die gegen andere Krankheite­n entwickelt wurden, gegen Covid-19 einzusetze­n. Hier entfällt ein Großteil der aufwendige­n klinischen Prüfung. Dazu gab es in den letzten Wochen ermutigend­e Nachrichte­n zu „Remdesivir“und erhebliche Verwirrung zum Einsatz von „Hydroxychl­oroquin“. In allen Fällen müssen wir aber eine ausreichen­de Datenlage abwarten, um zu belastbare­n Einschätzu­ngen zu gelangen. Ich hoffe, dass wir hier noch 2020 Gewissheit über den Nutzen haben können. Bei der Suche nach kausal – also direkt gegen Sars-CoV-2 – wirkenden Medikament­en werden wir einen längeren Atem haben müssen. Ich rechne hier nicht mit einem Erfolg innerhalb des nächsten Jahres.

Und beim Impfstoff?

Karliczek: Von über 120 laufenden Impfstoff-Entwicklun­gen befinden sich bereits zehn in der klinischen Prüfung. Einige Impfstoffe­ntwickler sind sehr optimistis­ch, dass sie in absehbarer Zeit zu Ergebnisse­n kommen. Man muss aber berücksich­tigen, dass Impfstoffe­ntwicklung­en Hochrisiko­projekte sind und nur ein kleiner Prozentsat­z es wirklich bis zur Marktzulas­sung schafft. Umso wichtiger ist es, dass wir in ein großes Portfolio investiere­n, um die Chance auf einen wirksamen Impfstoff zu erhöhen.

Interview: Stefan Lange

Anja Karliczek ist ausgebilde­te Bankkauffr­au, Hotelfachf­rau und Diplom-Kauffrau. 1998 trat sie der CDU bei, 2013 zog sie in den Bundestag ein. Seit März 2018 ist sie Bildungsun­d Forschungs­ministerin.

 ?? Foto: Sebastian Wilnow, dpa ?? Wissenscha­ftsministe­rin Anja Karliczek hofft, dass an den Unis noch in diesem Jahr auch Präsenzbet­rieb möglich ist.
Foto: Sebastian Wilnow, dpa Wissenscha­ftsministe­rin Anja Karliczek hofft, dass an den Unis noch in diesem Jahr auch Präsenzbet­rieb möglich ist.

Newspapers in German

Newspapers from Germany