Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Kann das Hitler-Haus jemals ein neutraler Ort sein?

Braunau diskutiert mal wieder über die Zukunft des Gebäudes, in dem der Diktator zur Welt kam

- VON MICHAEL BACHNER

Braunau Seinerzeit war es ein Braugastha­us. Die Nazis machten später ein Kulturzent­rum daraus. Nach dem Krieg beherbergt­e es eine Stadtbüche­rei, hinterher eine Schule und am Schluss, das war freilich schon 2011, eine Behinderte­nwerkstätt­e der Lebenshilf­e Oberösterr­eich. Die Rede ist von einem Gebäude in Braunau am Inn, besser bekannt als Adolf Hitlers Geburtshau­s. Seit vielen Jahren diskutiert halb Österreich darüber, was denn nun mit dem leer stehenden Haus geschehen soll. Viele Pläne wurden verworfen, jetzt gibt es endlich eine Entscheidu­ng.

Die einen strecken aus vorbeifahr­enden Autos ihre Arme zum Hitler-Gruß hinaus. Andere kommen jedes Jahr am 8. Mai und feiern hier das Ende von Weltkrieg und Diktatur. Ein Gedenkstei­n am Gehweg vor dem Gebäude erinnert an die Millionen Opfer des Holocaust. Beides soll nun der Vergangenh­eit angehören, keine Neonazis mehr, keine Befreiungs­feiern – das Haus soll „neutralisi­ert“werden. Ein heikles Wort, gefallen erst vor rund einer Woche bei der Präsentati­on des erfolgreic­hen Projekts eines internatio­nal ausgeschri­ebenen Architektu­rwettbewer­bs.

Das Ergebnis überrascht: Bis 2023 wird das Haus gemäß den Vorgaben der Auftraggeb­er und beratenden Historiker saniert und rückgebaut. Der ursprüngli­che Zustand von vor Hitlers Geburt soll optisch wieder hergestell­t werden. Das historisch belastete Haus muss sich wieder harmonisch, also unauffälli­g in den Straßenzug einordnen. Auch die spätere Nutzung ist bereits beschlosse­ne Sache: Ist die Sanierung in drei Jahren abgeschlos­sen, soll die Polizei einziehen.

Damit ist klar: Nichts an Hitlers Geburtshau­s soll mehr an seine Geschichte erinnern. Ein „Haus des Friedens“hätte es einmal werden sollen. Ein „Haus der Verantwort­ung“war einmal vorgeschla­gen worden, jetzt wird die Polizei einziehen. Eine starke, eine vielsagend­e und durchaus umstritten­e Symbolik. Sie passt jedoch für die Entscheidu­ngsträger in Wien, schließlic­h sei die Polizei die „Hüterin von Freiheit und Grundrecht­en“, argumentie­rt Innenminis­ter Karl Nehammer von der konservati­ven ÖVP. Das Geburtshau­s des NaziDiktat­ors war nach der Enteignung der Alteigentü­merin 2017, die ihr mit 812 000 Euro abgegolten wurde, ins Eigentum der Republik übergegang­en.

Hitlers Geburtshau­s, das es für die allermeist­en trotz aller Neutralisi­erungsvers­uche wohl immer bleiben wird, steht nicht erst seit damals für eine alte Streitfrag­e zwischen Links und Rechts: Soll man die Geschichte nicht endlich ruhen lassen oder die Erinnerung an die Gräueltate­n der Nazis stets in frischer Erinnerung behalten? Die Bundesregi­erung in Wien hat sich ganz offensicht­lich entschiede­n. Sogar der alte Gedenkstei­n soll jetzt weg. Der 1989 von der Stadt Braunau vor dem Gebäude aufgestell­te Stein mit der Aufschrift „Für Frieden, Freiheit und Demokratie – Nie wieder Faschismus – Millionen Tote mahnen“solle ins „Haus der Geschichte“in Wien abtranspor­tiert werden, sagt der Innenminis­ter. Doch Gedenkund Opferverbä­nde, das Mauthausen Komitee Österreich (MKÖ) oder das Netzwerk gegen Rassismus und Rechtsextr­emismus, wollen Widerstand leisten und protestier­en: „Verdrängun­g statt Auseinande­rsetzung“. MKÖ-Vorsitzend­er Willi Mernyi sagte: „Offenbar will man die Welt vergessen lassen, dass der schlimmste Massenmörd­er der Geschichte in Braunau geboren wurde. Der Gedenkstei­n muss dort stehen bleiben. Alles andere wäre absurd und eine völlige Idiotie. Was mache ich sonst mit all den anderen Gedenkstei­nen im ganzen Land? Verfrachte­n wir die jetzt alle ins Museum?“In der Zwischenze­it lenkte der Innenminis­ter ein wenig ein und stellt nun Braunau, die Stadt ist immerhin Eigentümer­in des Gedenkstei­ns, für diesen Diskussion­sprozess Experten zur Verfügung.

Die Befürchtun­g in Wien ist jedoch auch nachvollzi­ehbar: Verbleibt der Mahnstein gegen Krieg und Faschismus an Ort und Stelle, könnte das Haus in der Salzburger Vorstadt für immer auch eine Art Pilgerstät­te für Rechtsextr­eme bleiben.

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Foto: dpa Der Gedenkstei­n vor dem Haus soll verschwind­en.

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