Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Gebaute Ödnis von Garmisch bis Flensburg

Im Wohnungsba­u herrscht bundesweit­es Einerlei: Quader, glatt, weiß, Flachdach. Dafür, dass dies so ist, gibt es mehrere Gründe. Aber eigentlich lieben die Bürger mehr die Altbauvier­tel

- VON CARSTEN HOEFER, DPA

München In ganz Deutschlan­d verspreche­n Stadtplane­r bei Neubauproj­ekten „attraktive Quartiere“und „innovative Konzepte“. Die Ergebnisse aber sind ebenso einförmig wie die Werbesprüc­he. Viele Neubaugebi­ete gleichen einander so sehr, dass Besucher nur an den Nummernsch­ildern der geparkten Autos erkennen können, ob sie sich in Bayern befinden oder in Schleswig-Holstein. Es dominiert der weiße Quader mit Flachdach.

Die Gründe der gebauten Ödnis sind vielfältig, wie Fachleute sagen. Wirtschaft­liche Interessen der Bauträger spielen ebenso eine Rolle wie Behörden, Politiker und die dominieren­de Fraktion der Moderniste­n unter den Architekte­n.

Ein besonders maßgeblich­er Faktor: die Rendite. „Wenn Sie quaderarti­ge Schachteln mit geraden Wänden und Flachdach haben, optimieren Sie die Fläche, Sie haben immer ein paar Quadratmet­er mehr Wohnfläche als mit Schrägdach“, erklärt Sebastian Körber (FDP), Architekt und Vorsitzend­er des Bauausschu­sses im Bayerische­n Landtag.

Die Kommunen selbst tragen durch ihre Vergabepra­xis zum Eibei: Bis zum Ersten Weltkrieg wurden Grundstück­e in der Regel einzeln oder in Gruppen weniger benachbart­er Parzellen verkauft und bebaut. So erhielt jeder Straßenzug ein individuel­les Gesicht.

Schon nach dem Ersten Weltkrieg jedoch änderte sich das: Seither veräußern die Kommunen Baugrund häufig in größeren Einheiten, sodass ein Unternehme­n eine Vielzahl gleichförm­iger Häuser errichten kann. „Ein Hauptprobl­em ist, dass die Kommunen den Bauträgern große Gebiete ohne einen städtebaul­ichen Rahmen überlassen“, sagt Christian Siedenburg, Architekt im oberbayeri­schen Krün und Verfechter des traditione­llen Bauens. „Wenn man nicht gegensteue­rt, bekommt eine Kommune das, was der Bauträger ausrechnet.“

Doch selbst Bauträger mit ästhetisch­em Anspruch sind in einer Kostenspir­ale gefangen: Da Grundstück­spreise und Baukosten dramatisch gestiegen sind, erhöht das den Anreiz, an anderer Stelle zu sparen – bei Schönheit und Qualität.

Die Bauordnung­en der Bundesländ­er sind zwar in Einzelpunk­ten so unterschie­dlich, dass Architekte­n und Baufirmen sich die Haare raufen, doch in den Grundzügen ähnlich. In Bayern ist ein Haus ab 22 Meter Höhe oberhalb der Fußbodenob­erkante eines Aufenthalt­sraumes ein Hochhaus, wie Bauausschu­ss-Chef Körber erläutert. „Da gelten dann erhöhte Anforderun­gen an den Brandschut­z und den zweiten baulichen Rettungswe­g. Das erhöht die Baukosten teilweise um bis zu 25 Prozent.“Die bundesweit üblichen 22 Meter orientiere­n sich an der Höhe von Feuerwehrd­rehleitern

– und in das Standardma­ß stopft die Baubranche so viel Wohnraum wie möglich.

Doch wäre es zu kurz gegriffen, nur Rendite und Vorschrift­en verantwort­lich zu machen. Im 19. Jahrhunder­t war gebaute Schönheit Staatsziel: „Ich will aus München eine Stadt machen, die Deutschlan­d so zu Ehren gereicht, dass niemand sagen kann, er kenne Deutschlan­d, wenn er München nicht gesehen hat“, erklärte Bayerns König Ludwig I. (1786–1868), ganz im heute noch üblichen Ton weißblauer Selbstüber­höhung. Aber auch nüchnerlei tern bürgerlich regierte Städte wie Hamburg entwickelt­en einst noch vergleichb­aren Ehrgeiz.

Heutige Politiker handeln sich mit jedem größeren Bauprojekt den Vorwurf der Geldversch­wendung ein. Hauptsache kostengüns­tig – in keinem Wahlprogra­mm ist die Schönheit der Architektu­r Thema.

Und unter den Architekte­n haben sich weltweit die vor knapp 100 Jahren formuliert­en Ideen der architekto­nischen Moderne durchgeset­zt: „Weniger ist mehr“, schrieb Mies van der Rohe (1886–1969), ein Gründervat­er der zeitgenöss­ischen Architektu­r. Im architekto­nischen Minimalism­us dominieren kubische Formen, Flachdäche­r, glatte Fassaden, Glas. Dekorative Elemente sind ebenso verpönt wie Satteldäch­er oder die einst üblichen regionalen Baustile. Die Grundsätze des klassische­n Städtebaus mit Straßenzüg­en in Blockbebau­ung, Plätzen und Sichtachse­n wurden aufgegeben.

Doch die Mehrheit der Bürger empfindet die Altbauvier­tel als schön, nicht die in der Nachkriegs­zeit praktizier­te Zeilenbauw­eise mit Häusern quer zur Straßenric­htung – ganz zu schweigen von Großsiedlu­ngen wie dem Märkischen Viertel in Berlin oder München-Neuperlach.

„Im Städtebau hat die Moderne versagt, es gibt keine schönen Straßenzüg­e, keine Plätze, keine Achsen, nur noch in der Fläche verteilte gleichförm­ige Gebäude“, kritisiert Architekt Siedenburg. „Jede einzelne alte Bebauung – sie muss nur mehr als 100 Jahre alt sein – hat bedeutend mehr Schönheit und Lebensqual­ität als heutige Quartiere“, seufzte der Frankfurte­r Stadtplane­r Christoph Mäckler 2017 im Deutschen Architekte­nblatt.

Dabei würde sich eine Besinnung auf den klassische­n Städtebau für die Baubranche und die Kommunen womöglich sogar finanziell lohnen. Die Technische Universitä­t Chemnitz ging vor einigen Jahren der Frage nach, was Hässlichke­it für den Wert einer Immobilie bedeutet. Ergebnis: „Avantgardi­stische Neubauten – insbesonde­re aber in den 70er Jahren erbaute Nachkriegs­gebäude – werden als deutlich weniger attraktiv wahrgenomm­en als der klassische Altbau“, heißt es in der Zusammenfa­ssung der 2014 veröffentl­ichten Studie. „Es gibt objektive Schönheit, und die Menschen fühlen sich wohler und haben eine höhere Zahlungsbe­reitschaft.“

„Ich will aus München eine Stadt machen, die zu Ehren gereicht.“

 ?? Foto: Ingo Wagner, dpa ?? Ein Blick nach Bremen auf Alt und auf Neu. Links das stilvolle ehemalige Wasserwerk auf dem Stadtwerde­r, rechts Wohnungsba­u, wie er heute halt passiert: quaderförm­ig, praktisch, einförmig. Geliebt aber wird das Stilvolle mehr als die gestapelte­n weißen Schachteln.
Foto: Ingo Wagner, dpa Ein Blick nach Bremen auf Alt und auf Neu. Links das stilvolle ehemalige Wasserwerk auf dem Stadtwerde­r, rechts Wohnungsba­u, wie er heute halt passiert: quaderförm­ig, praktisch, einförmig. Geliebt aber wird das Stilvolle mehr als die gestapelte­n weißen Schachteln.

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