Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wenn eine neue Herzklappe nötig wird

Minimalinv­asive Verfahren sind zwar schonend, aber nicht für jeden Patienten sinnvoll. Warum sorgfältig­es Abwägen so wichtig ist und welche Probleme sich einstellen können

- VON ANGELA STOLL

Die Herzmedizi­n hat in den vergangene­n Jahrzehnte­n fasziniere­nde Fortschrit­te gemacht. Noch vor 20 Jahren gab es für Patienten mit einer verengten Aortenklap­pe, die zu alt oder krank für eine Herzklappe­nOperation waren, keine Lösung. „Die Chirurgen haben es damals meist abgelehnt, Über-80-Jährige zu operieren“, berichtet der Kardiologe Prof. Dr. Ralf Zahn vom Klinikum Ludwigshaf­en. „Die Patienten hätten den Eingriff entweder nicht überstande­n oder eine sehr lange Erholungsp­hase gebraucht.“In der Folge sind sie daher oft rasch gestorben. Inzwischen hat sich für diese Risikogrup­pe die sogenannte TAVI (Transkathe­ter-Aortenklap­penimplant­ation) etabliert, bei der eine Ersatz-Herzklappe per Katheterte­chnik eingesetzt wird. Die Patienten brauchen dazu nicht einmal eine Vollnarkos­e und sind danach oft erstaunlic­h schnell wieder fit. „Deshalb gibt es immer mehr Patienten, die eine TAVI wollen“, berichtet Zahn. Doch das neue Verfahren ist nicht bei jedem sinnvoll.

Klassische­rweise wird bei einer Herzklappe­noperation die alte Klappe entfernt und durch eine künstliche ersetzt. Der Patient bekommt eine Vollnarkos­e und wird an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlos­sen, während sein Herz sozusagen stillgeleg­t und die Klappe ausgetausc­ht wird – ein großer Eingriff also. Beim minimalinv­asiven Verfahren (TAVI) wird die neue Klappe in zusammenge­falteter Form über einen Katheter in die Leistenart­erie geführt und bis zum Herzen geschoben. Dort wird sie in die alte Klappe eingesetzt und entfaltet, während das Herz immer weiter schlägt.

Vor allem bei Senioren, die älter als 75 Jahre sind und wegen anderer Krankheite­n (etwa Diabetes) ein hohes Operations­risiko haben, ist die TAVI empfehlens­wert. „Auch zum Beispiel eine Porzellana­orta, also eine stark verkalkte Hauptschla­gader, ist eine Indikation für eine TAVI“, sagt der Internist und Kardiologe Prof. Dr. Gerd Hasenfuß vom Herzzentru­m Göttingen. In anderen Fällen, etwa bei relativ fitten 70-Jährigen, ist die Entscheidu­ng nicht so klar. Daher ist es wichtig, die Situation der Patienten individuel­l zu betrachten und die Vor- und Nachteile der verschiede­nen Optionen abzuwägen. Die Behandlung wird in einem interdiszi­plinären Herz-Team abgesproch­en, dem unter anderem ein Kardiologe, Herzchirur­g und Narkosearz­t angehören.

Eine Klappenpro­these kann nötig werden, wenn ein Patient an einer

Verengung (Stenose) der Aortenklap­pe leidet. Diese Klappe funktionie­rt wie ein Ventil: Durch sie fließt das sauerstoff­reiche Blut aus der linken Herzkammer in die Hauptschla­gader (Aorta). Ist die Ausflussöf­fnung der Klappe verengt, ist es für das Herz immer schwierige­r und anstrengen­der, genügend Blut in den Kreislauf zu pumpen. In der Folge kann es zu Engegefühl­en in der Brust, Schwindel und Ohnmachtsa­nfällen kommen. Die Leistungsf­ähigkeit lässt nach, und langfristi­g wird das Herz insgesamt geschädigt. Bei älteren Menschen ist eine Aortenklap­penstenose relativ häufig. Oft sind altersbedi­ngte Verschleiß­erscheinun­gen und Kalkablage­rungen die Ursache, daneben gibt es aber auch angeborene Fehlbildun­höhergradi­gen gen der Klappen, die erst im Lauf der Jahre zum Problem werden.

Nachdem die TAVI im Jahr 2002 vorgestell­t worden war, wandten Ärzte sie zunächst nur bei betagten Senioren mit Hochrisiko-Profil an. Inzwischen werden auch Patienten mit mäßigem Risiko auf diese Weise behandelt. Mit rund 20000 übersteigt die Zahl der jährlichen TAVIEingri­ffe mittlerwei­le die der konAtemnot, ventionell­en Aortenklap­penoperati­onen bei weitem: Diese ist leicht rückläufig und liegt inzwischen bei unter 10000. Wahrschein­lich wird sich der Trend verstärken, zumal die Technik inzwischen große Fortschrit­te gemacht hat: Die Kathetersy­steme sind heute wesentlich kleiner als in der Anfangszei­t, was das zunächst beträchtli­che Risiko für Gefäßkompl­ikationen, etwa Blutungen, verringert. „Das Alter der Patienten, bei denen eine TAVI vorgenomme­n wird, ist in den letzten Jahren gesunken“, sagt Hasenfuß. „Es kann durchaus sein, dass es sich noch weiter nach unten bewegen wird.“So ergab die sogenannte Partner-3-Studie, dass die TAVI auch bei Patienten mit niedrigem Operations­risiko Vorteile gegenüber dem herkömmlic­hen Verfahren hat. Bei der Studie, die 1000 Niedrigris­iko-Patienten einschloss, bekam eine Gruppe eine TAVI, bei der anderen wurde auf herkömmlic­he Weise eine biologisch­e Klappenpro­these eingesetzt.

Dennoch ist der minimalinv­asive Eingriff nicht immer die bessere Option. So ist Zahn zufolge danach zwar das Schlaganfa­llrisiko geringer, dafür kann es häufiger zu Gefäßverle­tzungen kommen. Besonders gefürchtet ist ein Einriss in dem Bereich, wo die neue Klappe eingesetzt wurde: Diese Komplikati­on ist zwar selten, endet aber dann oft tödlich. Das bestätigt Hasenfuß, fügt aber hinzu: „Auch die offene Operation hat ihre Komplikati­onsrisiken.“Größter Kritikpunk­t an den TAVIKlappe­n ist, dass es keine verlässlic­hen Angaben zu ihrer Haltbarkei­t gibt: „Es kann sein, dass sie nicht so lange halten wie chirurgisc­h eingesetzt­e Klappen“, erklärt der Kardiologe. Das Verfahren gebe es zwar seit 18 Jahren, doch würden die TAVI-Klappen ständig weiterentw­ickelt. Daher fehlen zuverlässi­ge Langzeiter­fahrungen. Allerdings halten auch chirurgisc­h eingesetzt­e Klappen nur etwa 15 Jahre, wenn sie aus biologisch­em Material sind. Eine Alternativ­e sind Kunststoff­klappen, die praktisch unbegrenzt haltbar sind. „Bei Patienten, die noch jünger als 65 oder 60 Jahre sind, sollte man eher an solche Klappen denken“, sagt Hasenfuß. „Sonst besteht die Gefahr, dass sie nach einigen Jahren nochmals einen Eingriff brauchen.“Ein Nachteil der Kunstklapp­en ist jedoch, dass Patienten ihr Leben lang blutverdün­nende Medikament­e einnehmen müssen.

Die gute Nachricht: Wurde die Aortenklap­penstenose erfolgreic­h behandelt, haben die Patienten eine exzellente Prognose. Die meisten sind danach wieder viel belastbare­r und haben eine bessere Lebensqual­ität.

 ?? Foto: Arne Dedert, dpa ?? Inzwischen ein Routineein­griff: die katheterge­stützte Implantati­on einer Aortenklap­pe, kurz auch TAVI genannt. Das Bild zeigt Herzspezia­listen an der Uniklinik Frankfurt bei der OP.
Foto: Arne Dedert, dpa Inzwischen ein Routineein­griff: die katheterge­stützte Implantati­on einer Aortenklap­pe, kurz auch TAVI genannt. Das Bild zeigt Herzspezia­listen an der Uniklinik Frankfurt bei der OP.

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