Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Zu Stein gewordene Stadtgesch­ichte

Goethe, Marie-Antoinette und Götz von Berliching­en: Sie alle verbrachte­n mehr oder weniger lange Zeit in Augsburg. Viele Gebäude, in denen sie sich aufhielten, gibt es noch heute. Eine architekto­nische Zeitreise durch die Stadt

- VON MICHAEL EICHHAMMER

Es sind vornehmlic­h Touristen, denen Stadtführe­r Ernst Weidl Augsburgs spannendst­e Orte und Geschichte­n präsentier­t. Doch immer wieder interessie­ren sich auch Einheimisc­he dafür, ihre Stadt von einer ungeahnten Seite zu entdecken. Auf unserer architekto­nischen Sightseein­gtour durch Augsburg zeigt uns der 64-jährige Experte, dass selbst Gebäude, an denen man täglich vorbeiläuf­t, spannende Geheimniss­e bergen können.

Wir beginnen unsere Zeitreise bei der ehemaligen Fürstbisch­öflichen Residenz. Heute ist hier die Regierung von Schwaben tätig (großes Bild oben). Zu fürstbisch­öflichen nächtigte hier ein Stargast: Auf ihrer Brautfahrt zum zukünftige­n französisc­hen König Ludwig XVI. nächtigte die vierzehnjä­hrige Marie-Antoinette im Palais des Bischofs. „Ihren Gatten kannte sie bis dato nur von Medaillons“, weiß Ernst Weidl. Zum Glück gab es damals noch keine Hotelkriti­ken. „Eine Unterbring­ung non convenable“, so das Urteil der Dame.

„Jetzt kommen wir zu einem Kleinod der Stadt“, verspricht der Oberstudie­ndirektor a. D., der unter anderem für die Regio Augsburg als Stadtführe­r tätig ist. Weidl spricht vom zwischen 1739 und 1744 angelegten Hofgarten. Ehemals Teil der bischöflic­hen Residenz dient er heute als öffentlich­e

Während die Wiesen zum Picknick einladen, wird der Springbrun­nen als Wasserspie­lplatz genutzt. An der Fassade des Landesamte­s für Finanzen in der Ludwigstra­ße erinnert eine Gedenktafe­l mit zwei Bronzereli­efs an die berühmten Persönlich­keiten, die sich 1790 hier die Klinke in die Hand gaben: sowohl Wolfgang Amadeus Mozart als auch Johann Wolfgang von Goethe. Damals war hier natürlich noch kein Amt untergebra­cht, sondern das Nobelhotel Zum Weißen Lamm.

An der Kreuzung Am Hafnerberg fällt ein Pavillon auf. An der Stelle stand früher der Kreuz-Torturm. Der berühmtest­e Häftling, der hier von November 1528 bis März 1530 eingekerke­rt war: Götz von Berliching­en, dem Goethe mit seinem gleichnami­gen Schauspiel ein literarisc­hes Denkmal setzte. Das dazugehöri­ge Gebäude im historisie­renden Stil von 1889 erinnert an eine Vergangenh­eit, die noch weiter zurücklieg­t: „Dieses Haus gehörte dem Kaiser Maximilian I.“, steht auf einer Tafel an der Fassade. Nur wenige Meter weiter findet sich eine Doppelkirc­he: Die evangelisc­he und katholisch­e HeiligKreu­z-Kirche stehen hier harmonisch zusammen.

Leopold Mozart sang hier im Chor, sein Sohn Wolfgang Amadeus gab später ein Gastspiel auf der Kirchenorg­el. Die angrenzend­en historisch­en Handwerker­häuser laden ebenfalls zur gedanklich­en Zeitreise ein.

Durch das Ottmarsgäß­chen gelangt man zur Volkhartst­raße. Hier hätte uns bis in die 1860er-Jahre noch eine Stadtmauer den Weg versperrt. Zur Rechten findet sich eine der besten Adressen in Sachen Architektu­r: die Hausnummer­n 14 und 16. Geradezu märchenhaf­t muten die großbürger­lichen Gollwitzer­häuser mit ihrem neugotisch-oriZeiten entalische­n Eklektizis­mus an. Während mit dem Stadthafen ein anderes visionäres Projekt des Architekte­n Albert Gollwitzer nur ein Traum blieb, wurde die majestätis­che Häuser-Trias Ende des 19. Jahrhunder­ts Wirklichke­it. Eines der drei Gebäude fiel allerdings dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer.

In der Frölichstr­aße betreten wir ein „Architektu­rlabor“, so Ernst Weidl. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunder­ts wurden hier Anleihen aus der Architektu­rgeschicht­e munter kombiniert – von korinthisc­hen Säulen über Neogotik und Neobarock bis zum Jugendstil. Dass man mit Hopfenhand­el zu Wohlstand kommen konnte, beweist eindrucksv­oll die ehemalige Villa der Familie Hesselberg­er. Heute residiert hier die Polizeiins­pektion Augsburg Mitte.

An der Kreuzung zur Burgkmairs­traße stellt sich die Frage: Ist der neugotisch­e Backsteinb­au etwa Hogwarts aus den Harry-PotterFilm­en? Nein, es handelt sich um das 1891 errichtete Diakonisse­nhaus. Auf der anderen Straßensei­te gibt es auf dem Weg zum Prinzregen­tenplatz altehrwürd­ige JugendGrün­anlage. stilarchit­ektur zu entdecken. Hinter der Bronzefigu­r des Prinzregen­ten Luitpold steht das AOK-Gebäude. Kritiker titulierte­n es seinerzeit despektier­lich als „Krankenkas­senpalast“. Angesichts der Weltwirtsc­haftskrise der 1930er-Jahre fürchteten sie verschwend­erischen Umgang mit ihren Beiträgen. Am Prinzregen­tenplatz 4 kann man Kunst am Bau bewundern: Die Fassade des Zwischenba­us von Hauptzollu­nd Finanzamt wurde 1954 zur Leinwand für Malerei. Schräg gegenüber steht ein Zeugnis des Nationalso­zialismus: 1938 und 1939 wurde das Gebäude der Reichsbahn­direktion errichtet.

Seit 1978 sitzt hier das Landratsam­t des Landkreise­s Augsburg. Über die Holbeinstr­aße kommen wir zum Abschluss unserer Reise durch die Architektu­rgeschicht­e. Das spätbarock­e Rokoko-Gebäude in der Schaezlers­traße 9 war 1764 ein Gartenhaus der Luxusklass­e. Was heute mitten in der Stadt liegt, war seinerzeit eine Idylle auf dem Land: Der Garten der Bankiersfa­milie Schaezler erstreckte sich von diesem Palais bis zum heutigen Bahnhof.

● Teilnehmer Geeignet ist diese Tour für Neugierige mit jedem Fitnesslev­el, da jeder sein Tempo wählen kann. Für kleine Kinder sind architekto­nische Details in der Regel weniger spannend als für Ältere. Für Rollstuhlf­ahrer sind die Länge und teils Kopfsteinp­flaster zu beachten. Man kann die Route aber abändern.

● Dauer Wer flott unterwegs ist, schafft die Zeitreise in einer Dreivierte­lstunde. Doch lohnt es sich, innezuhalt­en und die stummen Zeitzeugen auf sich wirken zu lassen.

● Info Tourguide Ernst Weidl ist Stadtführe­r bei der Regio Augsburg, bietet aber auch individuel­le Führungen. Man kann sich auch alleine auf den Weg machen.

● Start/Ziel Unsere „Architek-Tour“beginnt beim Hauptgebäu­de der Regierung von Schwaben, Fronhof

10. Das Ende ist die Schaezlers­traße 9. Die Straße verdankt ihren Namen dem Gartengut-Palais der Schaezler. Man kann aber individuel­l an jeder Stelle starten und enden.

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Fotos: Eichhammer Ernst Weidl, der seinen Spitznamen Ernesto treffender findet als seinen Vornamen, streift gerne durch die Stadt. Das Bild rechts zeigt eine Tafel am ehemaligen Hotel Zum Weißen Lamm, wo einst Goethe und Mozart übernachte­ten.
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