Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Zu Stein gewordene Stadtgeschichte
Goethe, Marie-Antoinette und Götz von Berlichingen: Sie alle verbrachten mehr oder weniger lange Zeit in Augsburg. Viele Gebäude, in denen sie sich aufhielten, gibt es noch heute. Eine architektonische Zeitreise durch die Stadt
Es sind vornehmlich Touristen, denen Stadtführer Ernst Weidl Augsburgs spannendste Orte und Geschichten präsentiert. Doch immer wieder interessieren sich auch Einheimische dafür, ihre Stadt von einer ungeahnten Seite zu entdecken. Auf unserer architektonischen Sightseeingtour durch Augsburg zeigt uns der 64-jährige Experte, dass selbst Gebäude, an denen man täglich vorbeiläuft, spannende Geheimnisse bergen können.
Wir beginnen unsere Zeitreise bei der ehemaligen Fürstbischöflichen Residenz. Heute ist hier die Regierung von Schwaben tätig (großes Bild oben). Zu fürstbischöflichen nächtigte hier ein Stargast: Auf ihrer Brautfahrt zum zukünftigen französischen König Ludwig XVI. nächtigte die vierzehnjährige Marie-Antoinette im Palais des Bischofs. „Ihren Gatten kannte sie bis dato nur von Medaillons“, weiß Ernst Weidl. Zum Glück gab es damals noch keine Hotelkritiken. „Eine Unterbringung non convenable“, so das Urteil der Dame.
„Jetzt kommen wir zu einem Kleinod der Stadt“, verspricht der Oberstudiendirektor a. D., der unter anderem für die Regio Augsburg als Stadtführer tätig ist. Weidl spricht vom zwischen 1739 und 1744 angelegten Hofgarten. Ehemals Teil der bischöflichen Residenz dient er heute als öffentliche
Während die Wiesen zum Picknick einladen, wird der Springbrunnen als Wasserspielplatz genutzt. An der Fassade des Landesamtes für Finanzen in der Ludwigstraße erinnert eine Gedenktafel mit zwei Bronzereliefs an die berühmten Persönlichkeiten, die sich 1790 hier die Klinke in die Hand gaben: sowohl Wolfgang Amadeus Mozart als auch Johann Wolfgang von Goethe. Damals war hier natürlich noch kein Amt untergebracht, sondern das Nobelhotel Zum Weißen Lamm.
An der Kreuzung Am Hafnerberg fällt ein Pavillon auf. An der Stelle stand früher der Kreuz-Torturm. Der berühmteste Häftling, der hier von November 1528 bis März 1530 eingekerkert war: Götz von Berlichingen, dem Goethe mit seinem gleichnamigen Schauspiel ein literarisches Denkmal setzte. Das dazugehörige Gebäude im historisierenden Stil von 1889 erinnert an eine Vergangenheit, die noch weiter zurückliegt: „Dieses Haus gehörte dem Kaiser Maximilian I.“, steht auf einer Tafel an der Fassade. Nur wenige Meter weiter findet sich eine Doppelkirche: Die evangelische und katholische HeiligKreuz-Kirche stehen hier harmonisch zusammen.
Leopold Mozart sang hier im Chor, sein Sohn Wolfgang Amadeus gab später ein Gastspiel auf der Kirchenorgel. Die angrenzenden historischen Handwerkerhäuser laden ebenfalls zur gedanklichen Zeitreise ein.
Durch das Ottmarsgäßchen gelangt man zur Volkhartstraße. Hier hätte uns bis in die 1860er-Jahre noch eine Stadtmauer den Weg versperrt. Zur Rechten findet sich eine der besten Adressen in Sachen Architektur: die Hausnummern 14 und 16. Geradezu märchenhaft muten die großbürgerlichen Gollwitzerhäuser mit ihrem neugotisch-oriZeiten entalischen Eklektizismus an. Während mit dem Stadthafen ein anderes visionäres Projekt des Architekten Albert Gollwitzer nur ein Traum blieb, wurde die majestätische Häuser-Trias Ende des 19. Jahrhunderts Wirklichkeit. Eines der drei Gebäude fiel allerdings dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer.
In der Frölichstraße betreten wir ein „Architekturlabor“, so Ernst Weidl. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts wurden hier Anleihen aus der Architekturgeschichte munter kombiniert – von korinthischen Säulen über Neogotik und Neobarock bis zum Jugendstil. Dass man mit Hopfenhandel zu Wohlstand kommen konnte, beweist eindrucksvoll die ehemalige Villa der Familie Hesselberger. Heute residiert hier die Polizeiinspektion Augsburg Mitte.
An der Kreuzung zur Burgkmairstraße stellt sich die Frage: Ist der neugotische Backsteinbau etwa Hogwarts aus den Harry-PotterFilmen? Nein, es handelt sich um das 1891 errichtete Diakonissenhaus. Auf der anderen Straßenseite gibt es auf dem Weg zum Prinzregentenplatz altehrwürdige JugendGrünanlage. stilarchitektur zu entdecken. Hinter der Bronzefigur des Prinzregenten Luitpold steht das AOK-Gebäude. Kritiker titulierten es seinerzeit despektierlich als „Krankenkassenpalast“. Angesichts der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre fürchteten sie verschwenderischen Umgang mit ihren Beiträgen. Am Prinzregentenplatz 4 kann man Kunst am Bau bewundern: Die Fassade des Zwischenbaus von Hauptzollund Finanzamt wurde 1954 zur Leinwand für Malerei. Schräg gegenüber steht ein Zeugnis des Nationalsozialismus: 1938 und 1939 wurde das Gebäude der Reichsbahndirektion errichtet.
Seit 1978 sitzt hier das Landratsamt des Landkreises Augsburg. Über die Holbeinstraße kommen wir zum Abschluss unserer Reise durch die Architekturgeschichte. Das spätbarocke Rokoko-Gebäude in der Schaezlerstraße 9 war 1764 ein Gartenhaus der Luxusklasse. Was heute mitten in der Stadt liegt, war seinerzeit eine Idylle auf dem Land: Der Garten der Bankiersfamilie Schaezler erstreckte sich von diesem Palais bis zum heutigen Bahnhof.
● Teilnehmer Geeignet ist diese Tour für Neugierige mit jedem Fitnesslevel, da jeder sein Tempo wählen kann. Für kleine Kinder sind architektonische Details in der Regel weniger spannend als für Ältere. Für Rollstuhlfahrer sind die Länge und teils Kopfsteinpflaster zu beachten. Man kann die Route aber abändern.
● Dauer Wer flott unterwegs ist, schafft die Zeitreise in einer Dreiviertelstunde. Doch lohnt es sich, innezuhalten und die stummen Zeitzeugen auf sich wirken zu lassen.
● Info Tourguide Ernst Weidl ist Stadtführer bei der Regio Augsburg, bietet aber auch individuelle Führungen. Man kann sich auch alleine auf den Weg machen.
● Start/Ziel Unsere „Architek-Tour“beginnt beim Hauptgebäude der Regierung von Schwaben, Fronhof
10. Das Ende ist die Schaezlerstraße 9. Die Straße verdankt ihren Namen dem Gartengut-Palais der Schaezler. Man kann aber individuell an jeder Stelle starten und enden.